Trauer um Mordopfer: "Den Hass überwinden"

Trauer um Mordopfer: "Den Hass überwinden"
Staatsspitze und Angehörige gedenken am Donnerstag der Opfer rechtsextremer Gewalt. Für die Familien von Opfern der Zwickauer Terrorzelle ist es ein wichtiges Signal. Ihre Begleiter warnen indes davor, die Rechtsextremismus-Debatte mit der Trauerfeier zu beenden.

Die Veranstaltung dürfe nicht "als eine Art Schlusspunkt" missverstanden werden, sagte die Ombudsfrau für die Angehörigen der Opfer der Zwickauer Terrorzelle, Barbara John, dem Evangelischen Pressedienst. Sie müsse vielmehr "der Auftakt nachhaltiger Veränderungen in Politik und Gesellschaft" werden. Nötig seien insbesondere Änderungen in der Polizeiarbeit, sagte John. "Wie in anderen Ländern längst üblich, muss künftig auch in Deutschland bei Straftaten, bei denen Einwanderer Opfer geworden sind, nach möglichen fremdenfeindlichen Motiven geforscht werden", sagte John.

John hat bei ihrer Arbeit als Ombudsfrau der Bundesregierung nach eigenen Angaben bisher 66 Angehörige von Opfern angeschrieben. Immerhin 55 davon hätten den entsprechenden Fragebogen zurückgeschickt. Gegenwärtig sei sie dabei, ein Hilfsprofil für jede einzelne Familie zu erarbeiten.

"Für die Angehörigen ist es besonders wichtig, dass mit der zentralen Gedenkfeier nochmal vor aller Öffentlichkeit klargestellt wird, dass es sich um rassistische Taten gehandelt hat", sagte John. Viele Familien hätten unter den Verdächtigungen krimineller Aktivitäten sehr gelitten. "Die Gedenkfeier ist damit eine wichtige und längst fällige Geste für die Familien", betonte John.

Kolat: "Wir brauchen eine Rassismusdebatte"

Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Kenan Kolat, erwartet von Kanzlerin Merkel den Anstoß einer Debatte über Rassismus. Er kritisiert, dass oft über Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit diskutiert werde, das Wort Rassismus in öffentlichen Erklärungen jedoch selten sei. "Mit dem Wort wird ein ganzes Phänomen verschwiegen", sagte Kolat.

Auf Rassismus müssten auch neue Strategien der Politik zielen, forderte Kolat. Die Bundeskanzlerin habe am Donnerstag die Gelegenheit, erste Schritte vorzustellen. Wichtig sei, dass es in der politischen Diskussion nicht nur um die Versäumnisse von Polizei und Verfassungsschutz gehe. "Wir brauchen keine Pannendebatte, sondern eine Rassismusdebatte", sagte Kolat.

Die Rechtsextremismus-Expertin Anetta Kahane forderte eine stärkere Ächtung von Rassismus durch die Bundesregierung. Gerade nach der Entdeckung des Hintergrundes der Mordserie sollte es nicht bei "Symbolhandlungen" bleiben, sagte die Vorsitzende der Berliner Amadeu Antonio Stiftung.

Kirchenvertreter rufen zu Nächstenliebe auf

Die Spitzenrepräsentanten der beiden großen Kirchen riefen die Gläubigen zum Gebet für die Mordopfer und deren Familien auf. Rechtsextremes Denken und Handeln seien mit dem christlichen Glauben unvereinbar, erklärten der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Nikolaus Schneider, und der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Robert Zollitsch. "Wer die Würde und das Recht von Menschen missachtet, wer andere Menschen hasst, verletzt oder gar ermordet, der handelt gegen den Willen Gottes", heißt es in dem gemeinsamen Text.

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Gerade Menschen mit anderer Herkunft und anderem Glauben seien auf besondere Fürsorge angewiesen, mahnen Schneider und Zollitsch. "Gemeinsam müssen wir Ausgrenzung und Hass überwinden und zu Frieden befähigen." Grenzen zwischen Völkern und Menschen würden durch die Gemeinschaft mit Jesus Christus überwunden. Es gehe darum, den christlichen Auftrag zur Nächstenliebe umzusetzen.

Nach Ansicht des Bielefelder Konfliktforschers Andreas Zick durchleben die Angehörigen derzeit ein Trauma. "Es werden Ängste hochgespült, die wir uns kaum vorstellen können", sagte Zick, der selbst eine Angehörige getroffen hat. Ein minimaler Reiz reiche aus, "und alles kommt wieder hoch", sagte der Psychologe. Jahrelang hätten die Angehörigen die wahren Hintergründe für den Tod eines Familienmitgliedes oder Freundes nicht gekannt. Nun müssten sie einsehen, dass ihre Lieben als "willkürliche Opfer ohne Kriterien" ausgewählt worden seien. "Das ist vergleichbar mit einem Kriegsopfer", sagte Zick.

Konfliktforscher glaubt, dass Fremdenfeindlichkeit bleibt

Der Forscher untersucht mit seinem Team am Bielefelder Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung die sogenannte gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit in der Gesellschaft. Er glaubt nicht, dass das breite gesellschaftliche Erschrecken über die Neonazi-Mordserie und deren Ablehnung langfristig die Einstellung der Deutschen verändert.

Dann hätten auch die Angriffe auf Asylbewerber in den 90er Jahren einen Einstellungswandel bewirken müssen, erklärt Zick. Seine Studie zeige aber, dass auch nach solchen schrecklichen Vorfällen auf lange Sicht die Hälfte der Bevölkerung zu der Meinung kommt, die Bundesrepublik sei "in einem gefährlichen Maß überfremdet".

Ein Neonazi-Trio aus dem sächsischen Zwickau soll in den Jahren 2000 bis 2007 insgesamt zehn Menschen ermordet haben. Neben acht türkischen Migranten zählen ein griechischer Einwanderer und eine Polizistin zu den Opfern. Zu der Gedenkfeier werden im Konzerthaus am Berliner Gendarmenmarkt rund 1.200 Gäste, darunter Angehörige von Mordopfern der Zwickauer Terrorzelle, erwartet. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und zwei Töchter von Opfern der rechtsextremen Mordserie werden Ansprachen halten.

epd