Die Frau, die den Gewürzladen am Strand von Dahab betritt, fällt auf, denn sie tritt anders auf als die meisten Touristen. Sie möchte wissen, wie es den Menschen hier geht, spricht sogar ein paar Worte Ägyptisch. Esther Ullmann-Goertz kennt sich hier aus und fühlt sich längst nicht mehr als Touristin. Die Berlinerin besucht bereits zum wiederholten Mal diese Stadt an dem schmalen Küstenstreifen des Roten Meers im Süden der Sinai-Halbinsel in Ägypten.
Sie mag das ehemalige Fischerdorf, das in den achtziger Jahren ein beliebtes Aussteigerziel für israelische Hippies war und heute als Paradies für Taucher und Surfer gilt. Die evangelische Theologin genießt die lockere Atmosphäre, die auch die hier lebenden Beduinen schaffen.
Verlorene Generation
Das Bild, das Dahab der 55-Jährigen ein Jahr nach der Revolution in Ägypten bietet, ist zwiespältig. Sie sieht einerseits die Shisha-Verkäufer und Kamelritt-Betreiber an der Strandpromenade, die durch die ausländischen Touristen gut zu tun haben. Viele Taucher sind da. Unter einigen Einheimischen spürt sie sogar Optimismus. Und Stolz, dass der verhasste Neuzeit-Pharao Hosni Mubarak endlich weggefegt ist.
Pfarrerin Esther Ullmann-Goertz und Atef Ezzat
Andererseits trifft sie auf junge Männer, die im Februar 2011 die Revolution auf dem Tahrir-Platz durch Facebook unterstützt haben und nun auf Dahabs Plätzen herumlungern. Viele ballen die Faust in der Tasche: Die Muslimbrüder sind jetzt die größte Volkspartei.
Die Parteien der Facebook-Revolutionäre gingen bei den ersten freien Parlamentswahlen fast leer aus, auch die koptischen Christen sind schlecht vertreten. Und die jungen Leute suchen Arbeit und eine Perspektive. Das alles bedrückt auch den jungen Ägypter Atef Ezzat.
Deutsch-ägyptische Freundschaft
Esther Ullmann-Goertz sitzt mit ihm an jenem Strand, wo sie sich vor drei Jahren kennengelernt haben. Damals machte sie mit ihrem Mann – er ist Pastor der evangelischen Bartholomäus-Kirche in Berlin-Friedrichshain – in einem Hotel Urlaub. Sie ließ sich von Atef Ezzat, der Chef eines Beduinenzelts am Strand war, Wasserpfeifen, Tees und frische Säfte reichen.
Berge rund um Dahab
Der fröhlichen Berlinerin, die sich schon immer für Land und Leute am Roten Meer interessiert hat, fiel der junge dünne Kerl in seiner bescheidenen Art sofort auf, erzählt sie: "Viele der jungen Burschen redeten von ausländischen Frauen, die sie heiraten wollen und von einem besseren Leben. Atef aber wollte wissen, was wir in Deutschland essen, welche Musik wir hören und welche Filme wir mögen." Seit diesen Urlaubstagen sind sie befreundet. Im Goethe-Institut in Kairo lernte er für kurze Zeit ein wenig Deutsch.
Enttäuschte Hoffnungen ...
Intensiviert wurde die Freundschaft durch Atefs unbändigem Wunsch nach Freiheit. Esther Ullmann-Goertz weiß nur zu gut, wie sich Unfreiheit anfühlt. Sie gehörte in den achtziger Jahren als DDR-Oppositionelle der "Solidarischen Kirche" an. "Für uns war freies Reisen ein Menschrecht, das eingeklagt werden muss", sagt die Berlinerin, deren Vater der bekannte Bürgerrechtler Wolfgang Ullmann war.
Schon vor drei Jahren spürte sie bei Atef Ezzat: So leuchtend und klar die Mondnächte über dem Golf von Aqaba sind - der 26-Jährige möchte dennoch auch andere Länder und Kulturen kennenlernen. Eigentlich hätte er schon im Mai 2011 in Berlin sein sollen, wohin ihn das Ehepaar Ullmann-Goertz eingeladen hatte.
Esther Ullmann-Goertz mit Einheimischen in Dahab
Die Berlinerin wollte Atef Ezzat nicht nur ihre Stadt zeigen, sondern auch das Leben der evangelischen Christen dort. Bislang aber scheiterte die Einladung stets am abgelehnten Visum für den jungen Ägypter, der sich zu Hause unter anderem mit dem Vertrieb von Drogerieprodukten über Wasser hält.
... und Solidarität nur aus der Ferne
Die Berlinerin hat bislang viel Zeit und Energie investiert, um dem jungen Ägypter zu helfen. So musste sie etwa für Atef Ezzat eine "Verpflichtungserklärung" formulieren und der deutschen Botschaft in Kairo schicken. Dort erkundigte sie sich sogar persönlich nach seinen Fall - und stieß auf eisige Ablehnung. Der erste Visumsantrag wurde abgelehnt. In Atef sah man einen Wirtschaftsflüchtling.
Esther Ullmann-Goertz war wütend, für Atef Ezzat brach eine Welt zusammen. "Ich bin ich auf dem Tahrir-Platz für Freiheit und Gerechtigkeit auf die Straße gegangen und habe mein Leben aufs Spiel gesetzt. Nun will ich als freier Bürger behandelt werden", sagt er. Esther Ullmann-Goertz spürt bei ihrem Freund eine große Enttäuschung über Deutschland, das zum Mubarak-Sturz zwar Solidaritätsgrüße schickte, Leute wie ihn jedoch nicht empfangen möchte.
Die Berlinerin dachte nicht daran, aufzugeben. Sie legte bei der deutschen Botschaft in Kairo Widerspruch ein, schrieb in Atefs Namen einen Widerspruch, eine sogenannte Remonstration, mit der Bekräftigung "dass der Grund meiner Reise ein rein freundschaftlich-touristischer ist".
Unlängst erkundigte sie sich sogar bei Außenminister Guido Westerwelle, ob er sich dieses Falles nicht annehmen könnte. "Auch von ihm erhielt ich bislang keine Antwort, was mich verletzt", sagt sie. Atef Ezzat moralisch in dieser schwierigen Phase seines Lebens zu unterstützen, ist auch ein Grund, weshalb sie in den Tagen der ersten freien Wahlen wieder nach Ägypten reiste.
"Minderwertige Menschen”?
Esther Ullmann-Goertz fährt mit Atef Ezzat nach Fayoum, wo der junge Ägypter wohnt. Die Großstadt südwestlich von Kairo zählt zu den größten Oasen Ägyptens. Angekommen bei ihm zu Hause, wird der Gast aus Deutschland von seinen Eltern und den Brüdern, Schwestern und Familien der Onkel, die hier leben, herzlich begrüßt.
Ikonen-Malereien in Atef Ezzats Elternhaus in Dahab
Wenig später sitzt die Berlinerin mit Atefs Familie im Wohnzimmer bei Huhn und Fisch. Esther Ullmann-Goertz fällt auf, dass alle in der Familie am Unterarm ein blaues Kreuz tragen. Es ist das tätowierte Glaubensbekenntnis der Kopten.
Die Ezzats sind gläubig. Im Wohnzimmer, in der Küche und im Schlafzimmer hängen Ikonen. In seinem Zimmer steht ein alter Computer, mit dem er per Chat den Kontakt nach Deutschland hält.
Koptische Kirche in Dahab
Ein Gesprächsthema bei Familie Ezzat: Auch nach den ersten freien Wahlen leiden die Kopten - mit 13 Prozent der ägyptischen Bevölkerung die größte christliche Minderheit im Nahen Osten - weiter unter Repressionen. "Wir werden als minderwertige Menschen behandelt. Wir genießen keinen staatlichen Schutz", sagt Atef Ezzat. Esther Ullmann-Goertz berührt dies. Auch weil sie aus eigener DDR-Erfahrung weiß, was es heißt, als Christ Repressalien zu erleiden.
Steiniger Weg zur Zivilgesellschaft
So begleitet sie Atef Ezzat jetzt zu seiner Kirche in der Stadt. Ein Ort, der sie berührt. Nicht nur wegen des Herzlichkeit der Menschen, die sich über jeden Gast aus Europa freuen, der sich aufrichtig für ihre Lage interessiert.
Während der Revolution im Winter hielt sich Atef dort im Kampf gegen das Tränengas von Mubaraks Schergen ein essiggetränktes Halstuch um Mund und Nase. "Wir haben unsere Kirche mit unseren eigenen Körpern verteidigt", erzählt Atef Ezzat.
Als Esther Ullmann-Goertz den Flieger in Sharm-El-Sheikh Richtung Deutschland besteigt, tut sie dies mit gemischten Gefühlen. Sie muss ihren traurigen ägyptischen Freund zurücklassen. Und sie weiß, wie schwierig die Übergangszeit von den ersten freien Wahlen zu einer Zivilgesellschaft sein kann, die diesen Namen wirklich verdient.
Vera Rüttimann ist freie Autorin in Zürich und Berlin.