Die Idee ist nicht wirklich neu: Die bayerische Landeskirche sammelte erst im vergangenen Herbst rund 70.000 Unterstützer-Unterschriften. Schon 2009 hatte die EKD in einem programmatischen Text mit dem hölzernen Titel "Transparenz und Gerechtigkeit - Aufgaben und Grenzen des Staates bei der Besteuerung" eine Mehrwertsteuer auf Geldgeschäfte in Erwägung gezogen, um weltweit öffentliche Güter zu finanzieren und um die Finanzmärkte zu stabilisieren.
Doch während Bundeskanzlerin Angela Merkel in Europa lauwarm für eine Transaktionssteuer wirbt, blockieren die Liberalen daheim das eigene Regierungsbündnis. Dabei argumentieren die Liberalen mit einem vertrauten Argument, sie fürchten das Abwandern von Zockergeschäften in Finanzzentren wie London.
Rösler: "Nur wenn alle in Europa mitmachen"
"Unsere Zustimmung zu einer Transaktionssteuer gibt es, wenn überhaupt, nur dann, wenn diese in allen 27 EU-Ländern erhoben wird", hat sich Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler festgelegt. Die Euro-Zone dürfe gegenüber anderen, gemeint sind Großbritannien und Schweden, nicht benachteiligt werden. Röslers Parteifreund und Vorgänger als Wirtschaftsminister, Rainer Brüderle, fürchtet ohne die Beteiligung der Briten gar eine "verheerende Wirkung auf den Finanzplatz Europa", London würde dagegen "zur Steueroase".
Kürzlich legte die FDP mit einem Strategiepapier nach. Darin heißt es: "Die FDP-Bundestagsfraktion hält die Einführung einer auf die Länder des Euro-Raums begrenzten Finanztransaktionssteuer nicht für geeignet, um die Probleme auf den Finanzmärkten zu lösen."
Warnungen vor einer Kapitalflucht mussten in der Vergangenheit oft herhalten, um die vom amerikanischen Wirtschaftsnobelpreisträger James Tobin bereits 1972 vorgeschlagene "Tobin Tax" zu stoppen. Heute wird zwar von vielen Regierungen vor heimischem Publikum lautstark die populäre Steuer gefordert - 65 Prozent der EU-Bürger haben sich in einer Umfrage für eine Transaktionssteuer ausgesprochen -, doch dabei bauen die Politiker darauf, dass die Steuer in der EU politisch scheitert. Angesichts der bevorstehenden Wahl in Frankreich will nun Präsident Nicolas Sarkozy vorpreschen, um "die Machbarkeit dieser Steuer zu demonstrieren", versprach Finanzminister Baroin in Paris.
Das "Ansässigkeitsprinzip" als gangbarer Weg
Einen wirklich praktikablen Vorschlag hatte EU-Steuerkommissar Algirdas Šemeta bereits im September unterbreitet: Die EU-Kommission will Finanzgeschäfte ab 2014 nach dem "Ansässigkeitsprinzip" besteuern. Alle Geschäfte mit Aktien, Anleihen und Derivaten sollen dann unabhängig von dem Ort besteuert werden, an dem sie abgeschlossen wurden. Stattdessen sollen die Beteiligten in ihrem jeweiligen Heimatland eine Mehrwertsteuer zahlen, dort also, wo der Zocker, die Bank, der Fonds ansässig ist.
Für jede Finanztransaktion, die eine französische oder deutsche Bank irgendwo auf der Welt abwickelt, würde in Frankreich oder Deutschland eine Mehrwert- oder Umsatzsteuer fällig. Damit sind Deals an der Wall Street oder in der City of London ebenso steuerpflichtig wie die Geschäfte, die in Frankfurt oder Paris getätigt werden. Um Steuerumgehung und Standortverlagerung zu verhindern, würde es ausreichen, wenn nur einer der beteiligten Banken oder Broker in den Ländern mit Mehrwertsteuer ansässig ist, also beispielsweise der Auftraggeber in Paris beheimatet ist.
Außerdem will die EU-Kommission "Finanzinstitute" so breit definieren, dass etwa eine Londoner Tochtergesellschaft der Deutschen Bank trotzdem in Frankfurt zahlen muss. Das Schlupfloch, das Röslers FDP bemängelt, wäre geschlossen, bevor es entstehen konnte.
Normalbürger kaum betroffen
Auch das zweite Gegenargument der Liberalen steht auf tönernen Füßen. Zahlen am Ende Millionen kleiner Riester-Rentner die Tobin-Steuer? Sicher nicht. Die Hauptakteure auf den zu besteuernden Märkten sind Banken, die auf eigene Rechnung spekulieren, sowie große Fonds, die mit Hilfe von Bankkrediten täglich billionenschwere Geldgeschäfte kreuz und quer über den Globus tätigen.
Entsprechend träfe die Mehrwertsteuer vor allem Banken und Fonds. Bürger und Unternehmen wären von der Steuer ausgenommen. Auch Kleine-Leute-Geschäfte wären zwar vereinzelt von einer solchen Transaktionssteuer indirekt betroffen, doch die Kosten wären minimal und kaum zu spüren, da die Steuersätze milde ausfallen dürften.
Umsätze mit Aktien und Anleihen will die EU-Kommission mit 0,1 Prozent besteuern; für Derivate wie die weitverbreiteten Termingeschäfte ist ein Satz von 0,01 Prozent vorgesehen. Trotz dieser Minimalsätze könnten von den europäischen Regierungen insgesamt 57 Milliarden Euro auf diese Weise jährlich eingenommen werden, kalkulierte Šemeta.
Allerdings könnte ein solcher Niedrigsteuersatz nicht die Zockerei auf den Finanzmärkten unterbinden, wie die EKD hofft. Dazu sind Spekulationsgewinne zu hoch. Aber immerhin könnte der Finanzsektor "einen angemessenen Beitrag zu den Kosten der Krise leisten", begründet die EU ihre Pläne. Und das wäre doch auch schon etwas.
Hermannus Pfeiffer ist Journalist und Wirtschaftsbeobachter in Hamburg.