Die Muppets und das Ende von Sex und Gewalt

Die Muppets und das Ende von Sex und Gewalt
Humor für Kinder und Erwachsene gleichermaßen - die US-Puppenriege liefert das seit Jahrzehnten. Die Ursprünge der temperamentvollen Getüme reichen bis in die 60er Jahre zurück.
17.01.2012
Von Harald Keller

Wer um 1970 herum das New Yorker Hauptquartier der Muppets besuchte, stieß auf ein handgemaltes Firmenschild: "Henson Associates and Muppets Inc. Dieses Schild wird durch ein schöneres und wertvolleres ersetzt werden … Eines Tages … vielleicht." Eigentlich hätte sich das Unternehmen damals längst eine prunkvollere Visitenkarte leisten können. Jim Henson, 1936 geboren, war von Kindesbeinen an künstlerisch aktiv. Er zeichnete Comics, experimentierte mit der Super-8-Kamera, versuchte sich an Animationsfilmen, war musikalisch interessiert.

All diese Steckenpferde fanden zusammen, als er sich dem Puppenspiel zuwandte. Henson verstand es, das klassische Figurentheater mit den Mitteln des Fernsehens zu verbinden. Gemeinsam mit seiner späteren Ehefrau Jane Nebel entwarf und baute er Puppen, die ganz auf telegene Wirkung ausgerichtet waren. Ihre charmanten Kreaturen nannten sie "Muppets", eine Wortschöpfung, die die angelsächsischen Begriffe moppet, marionette und puppet zusammenführt.

Die Muppets kamen an, wurden für Reklamefilme gebucht und gastierten in Late-Night- und Varietyshows. Rolf (im Original Rowlf), der klavierspielende Hund mit dem frechen Mundwerk, wurde sogar Sketchpartner in der "Jimmy Dean Show". Um 1969 erhielt Henson den Auftrag, Segmente für eine neuartige Vorschulserie namens "Sesame Street" zu produzieren, die Bildungsdefizite von Kindern aus unterprivilegierten Kreisen ausgleichen, aber auch Erwachsene ansprechen sollte, weshalb es in jeder Folge auch Auftritte prominenter Stars gab.

Kalauer mit Sprengstoff

42 Jahre später sind die sympathischen Getüme aus Jim Hensons Werkstatt selber Weltstars: Ernie und Bert, das Krümelmonster ... Und natürlich Kermit, der Frosch, der wie Rolf von Jim Henson selbst geführt und gesprochen wurde. Die Hensons und Weggefährten Jerry Juhl und Frank Oz ließen es nicht dabei bewenden. Sie wollten zurück zur Erwachsenenunterhaltung.

Mit "The Muppet Show: Sex and Violence" (Sex und Gewalt) wurde 1975 eine Pilotfolge produziert. Zu Beginn donnerte ein Gong, es folgte die Ansage: "Ladies and gentleman – presenting the end of sex and violence on television" (das Ende von Sex und Gewalt im Fernsehen). Dazu sah man die Worte "Sex" und "Violence" monumental in Stein gehauen. Crazy Harry trat ins Bild, drückt irre lachend einen Hebel und jagte "Sex" und "Violence" in die Luft.

Die Sendung bot Kalauer in Fülle, Parodien, Anspielungen auf die Geschichte der Figuren – Rolf beklagt seine schwindende Popularität, Ernie tanzt – soviel zum Thema geschlechtliche Orientierung – mit einem verkleideten Bert.

Und doch schien die "Muppet Show" ohne Zukunft. Die großen US-Senderketten fürchteten, dass eine Puppen-Show von den Zuschauern nicht angenommen würde. Anders der Brite Lew Grade. Der TV- und Kinoproduzent unterbreitete ein attraktives Angebot: volle Finanzierung und absolute künstlerische Freiheit. Lord Grades entscheidender Vorteil: Er war Besitzer der nahe London gelegenen Elstree Studios. Als Brite hatte er zudem einen anderen Zugang zu dieser Form der TV-Unterhaltung, denn in seinem Heimatland drehte der Produzent Gerry Anderson seit langem TV-Marionettenserien für Erwachsene.

Zuhause in den Filmstudios

Für Teile der Henson-Belegschaft wurden die Elstree Studios zeitweilig zur zweiten Heimat. Dort entstanden Puppenwerkstätten und die Kulissen der "Muppet Show". Den einheimischen Mitarbeitern dürfte dieser anarchische Humor gefallen haben; er erinnerte an "Monty Python's Flying Circus" und andere junge Komiker, die die Comedy-Sparte des britischen Fernsehens revolutioniert hatten. Die "Muppet Show" wurde bald zum Welterfolg und in über hundert Länder verkauft.

Angelegt als Parodie auf eine Variety Show nebst Blick hinter die Kulissen, servierte jede Ausgabe visuelle und textliche Gags in hohem Tempo. Der wöchentliche Turnus erlaubte zudem, die wiederkehrenden Figuren weiterzuentwickeln, mit ihren Temperamenten zu spielen, selbstbezügliche Scherze einzubauen.

All das schien verschwunden, als sich das Team 1979 an einem Kinofilm ("The Muppets Movie") versuchte. Wo sich im TV die Scherze und manchmal auch die Protagonisten förmlich überschlugen, zog sich die dramaturgisch missratene Kinoversion arg in die Länge. Noch weniger vertrug sich der einst so explosive Muppets-Humor mit Literaturadaptionen wie "Die Muppets-Weihnachtsgeschichte" (1992) oder Genreparodien wie "Muppets aus dem All", dem bislang letzten Muppets-Kinofilm von 1999. Seit 2004, Jim Henson verstarb 1990, gehört die Rasselbande inklusive Namensrechten übrigens dem Disney-Konzern. Damit sind die Zeiten von Sex und Gewalt wohl endgültig perdu.


Dieser Beitrag ist mit freundlicher Genehmigung der Ausgabe 1/2012 von epd-Film entnommen.