Soziale Spaltung vergrößert die Gefahr von Rechts

Soziale Spaltung vergrößert die Gefahr von Rechts
Die Zehn-Jahres-Studie eines Forscherteams um den Bielefelder Soziologen Wilhelm Heitmeyer zeigt die "deutschen Zustände": Kulturell entspannter, sozial härter, politisch hilfloser, wirtschaftlich unberechenbarer - und eine gewaltbereite Rechte.

In Deutschland gehen rechtspopulistische Einstellungen zurück, die Gefahr von Rechts ist aber nicht geringer geworden. Das ist eines der Ergebnisse der Langzeitstudie "Deutsche Zustände", deren abschließende Folge der Bielefelder Soziologe Wilhelm Heitmeyer am Montag in Berlin vorstellte. Die vergangenen zehn Jahre, das "entsicherte Jahrzehnt", so Heitmeyer, birgt neue Gefahren durch Krisen und eine "massive" soziale Spaltung. Die vergangenen Jahre haben aber auch zu einem entspannteren Umgang mit Minderheiten geführt.

Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD) sprach vor dem Hintergrund der Neonazi-Morde die "fatale Aktualität" der Studie an: Zu den "deutschen Zuständen" gehöre auch, "dass es ein braunes Netzwerk gibt" und ein Klima, in dem zunächst die Angehörigen der Opfer verdächtigt worden seien. Er warnte davor, allein um ein Verbot der NPD zu streiten und die tieferen Ursachen des rechten Terrors nicht ausreichend zu ergründen, sprach sich zugleich aber deutlich für ein NPD-Verbot aus.

Weniger Rechtspopulisten, aber mehr Gewaltbereitschaft

9,2 Prozent der Bundesbürger sind aktuell zu den Rechtspopulisten zu zählen. 2003, zu Beginn der Befragungen, waren es noch 13,6 Prozent. Zugleich sei aber zu beobachten, dass die Rechten protest- und gewaltbereiter seien und von den großen Parteien nicht mehr integriert werden können, so die Studie. Rechte wählen nicht mehr bevorzugt konservative Parteien, sondern gehen zunehmend nicht zur Wahl und verteilen sich auf SPD und Union fast gleich.

Über 40 Prozent der Rechten würden aber heute für ihre Ziele auf die Straße gehen, im Jahr 2009 waren es noch knapp 30 Prozent. Die Gewaltbereitschaft ist in diesem Jahr auf das höchste gemessene Niveau gestiegen. Dem Satz: "Manchmal muss ich Gewalt einsetzen, um nicht den Kürzeren zu ziehen", stimmen 29 Prozent aller Personen mit einer rechten Einstellung zu. 2003 war es jeder Vierte, in der Gesamtbevölkerung weniger als jeder Zehnte.

Die Bielefelder Forscher untersuchen in ihrer Langzeitstudie die Ursachen und die Entwicklung von Vorurteilen und Diskriminierung ganzer Bevölkerungsgruppen. Unter dem Oberbegriff "Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit" fassen sie Einstellungen und Verhaltensweisen wie Antisemitismus, Ausländerhetze, Sexismus und die Abwertung von Arbeitslosen, behinderten oder obdachlosen Menschen zusammen. Tendenziell gehen antisemitische, fremdenfeindliche, sexistische und schwulenfeindliche Einstellungen kontinuierlich zurück, so die Ergebnisse der Langzeituntersuchung.

Jeder Zweite sieht Deutschland "überfremdet"

Im zurückliegenden "entsicherten Jahrzehnt" prägten aber soziale und wirtschaftliche Krisen sowie die fortschreitende Spaltung der Gesellschaft die Einstellungen der Menschen. Ein Teil wendet die eigene Verunsicherung gegen schwächere Gruppen. Jeder Zweite fühlt sich durch die Krisen bedroht und sieht Deutschland "in einem gefährlichen Maß überfremdet".

Die Diskriminierung von Arbeits- und Obdachlosen steigt, von Menschen also, die als ökonomisch "nutzlos" angesehen werden. Die Besserverdienenden reagierten auf die wirtschaftlichen Risiken mit einer rigiden Verteidigung ihrer Privilegien und vertieften dadurch die soziale Spaltung, sagte Heitmeyer. Er machte die Politik für menschenverachtende Einstellungen mitverantwortlich. Wenn die Politik nicht gegensteuere, sei sie für Zerfallsprozesse und Diskriminierung mitverantwortlich. Alle Studien zeigten, dass eine Gesellschaft umso gewalttätiger werde, je größer die sozialen Ungleichheiten seien.

Bevölkerung fühlt sich machtlos

Angesichts der ökonomischen Krisen mache sich in weiten Teilen der Bevölkerung ein Gefühl der Machtlosigkeit breit und ein sinkendes Vertrauen in die Demokratie. "Entsicherung, Richtungslosigkeit und Instabilität sind zur neuen Normalität geworden", schreiben die Bielefelder Forscher. Die Nervosität steige in allen sozialen Gruppen: "eine explosive Situation als Dauerzustand".

Mit der zehnten Folge der "Deutschen Zustände" wird das Forschungsprojekt abgeschlossen. Die Langzeitstudie ist nach Angaben der Bielefelder Forscher die weltweit größte Vorurteilsstudie. Jedes Jahr wurden dafür rund 2.000 repräsentativ ausgewählte Personen telefonisch interviewt. Die letzte Befragung erfolgte im Mai und Juni dieses Jahres.

epd