"Das Glück beim Einkauf lässt sich nicht umtauschen"

"Das Glück beim Einkauf lässt sich nicht umtauschen"
Einkaufen macht glücklich. Warum das so ist und weshalb der Konsum allein aber noch lange keine Gesellschaft glücklich macht, erklärt Prof. Wolfram Boucsein. Er ist dem Glück auf der Spur.
13.12.2011
Die Fragen stellte Markus Bechtold

In der Adventszeit stürmen viele Menschen in die Kaufhäuser. Macht Einkaufen glücklich?

Wolfram Boucsein: Ja, einkaufen macht glücklich, weil man sich Wünsche erfüllt. Vergleichbar ist das mit einem Ziel, das man sich selbst setzt und schließlich erreicht. Wenn man etwas besitzen möchte, es dann auch tatsächlich besitzt, macht das einen eben oft glücklich.

Was macht glücklicher: Allein der Gedanke, gleich einkaufen zu gehen, oder der Kauf der Ware?

Boucsein: Das ist schwierig zu beantworten. Ich denke, Sie sprechen vom Glück des Augenblicks: Man findet im Kaufhaus etwas, das man schon immer haben wollte. Oder man grübelte lange Zeit, was man einem Menschen schenken soll und auf einmal steht man vor dem passenden Geschenk. In solchen Momenten empfinden wir Glück. Verkäufer versuchen übrigens ganz gezielt, dieses Glücksgefühl beim Kunden hervorzurufen.

In der Vorweihnachtszeit werden viele Geschenke eingekauft, mit dem Ziel, andere Menschen glücklich zu machen. Werden Käufer und Beschenkte gleichermaßen vom Glück überschüttet?

Boucsein: Wenn man das richtige Geschenk für den Betreffenden erwischt hat, kann das sein. An und für sich ist die Situation des Schenkens gerade in der Weihnachtszeit als Win-Win-Situation geplant. Ob das dann immer tatsächlich so ausgeht, ist aber letztendlich eine andere Frage.

Zurzeit sind die Geschäfte voller Menschen. Ist das ein Zeichen, dass wir eine glückliche Gesellschaft sind?

Boucsein: Nein, das kann man nicht sagen. Konsum allein macht keine glückliche Gesellschaft. Wir sind eine Gesellschaft, die sich vieles leisten kann. Ein Maßstab des Glücklichseins ist bei uns, möglichst viel zu besitzen. Aber das individuelle Glück ist nicht von der Menge der eingekauften Ware abhängig. Menschen können mit kleinen Dingen ebenso glücklich sein wie mit vielen Waren aus einem übervollen Kaufhaus.

Ist das erkaufte Glück nicht auch ein trügerisches Glück?

Boucsein: Alle Dinge, die Glücksgefühle verschaffen, können zur Sucht werden. Menschen verfallen dem Kaufrausch. Es gibt sogar Menschen, die krank sind, weil sie unter einer Kaufsucht leiden. Wer in der Vorweihnachtszeit gezielt einkaufen geht und sich vorab überlegt, wem er was schenken will, der läuft wenig Gefahr, in so eine Art von Kaufrausch zu verfallen.

"Glück kann

uns ins

Schwitzen bringen"

 

Lässt sich das Glück überhaupt messen?

Boucsein: Glück ist eine Emotion, ein Gefühl, das sich zwar erfragen lässt. Meistens erhält man aber von den Befragten keine objektiven Antworten. Das hat zwei Gründe: Ersten wissen viele Menschen oft selbst nicht genau, welche Gefühle sie haben. Zweitens wollen viele ihre Gefühle vor anderen einfach nicht gerne offen legen. Daher verlassen wir uns nicht auf Aussagen, die Menschen in einer Umfrage über sich selbst machen. Wir messen körperliche Reaktionen von Menschen. Die Versuchspersonen erleben bei uns spezielle Situationen, von der wir annehmen, dass sie beim Menschen bestimmte Gefühle auslösen. An den Versuchspersonen messen wir dann die Begleitreaktionen von starken Gefühlen. Die kann auch jeder an sich selbst beobachten: Veränderte Gesichtsausdrücke wie hochgezogene Mundwinkel, ein schneller werdender Herzschlag oder Schwitzen an den Händen, wie auch an anderen Körperteilen.

Glück kann uns richtig ins Schwitzen bringen. Beim Einkauf legen wir den Versuchspersonen Elektroden an. Ein kleines Gerät am Bauch registriert ihre Gefühlsausbrüche. Wir beobachten auch sehr subtile Gefühle in einer Phase, in der sie bereits vorhanden sind, aber noch nicht nach außen hin gezeigt werden. Zum Beispiel messen wir das Glück, bevor es sich im Lächeln abzeichnet. Dazu erfassen wir die elektrischen Ströme der Muskeln, noch bevor sie die Mundwinkel hochziehen. Zusätzlich zeichnet eine Kamera das Verhalten der Versuchsperson auf. Unsere Messergebnisse zeigen uns, was sich im Gehirn zum Zeitpunkt des Einkaufs abgespielt. Aus bestimmten Reaktionsmustern versuchen wir zu erschließen, ob man das Ergebnis als Auftreten eines Glücksgefühls interpretieren kann. Negative Gefühlsausbrüche zeigen manchmal ähnliche Begleitreaktionen.

Wo wohnt das Glück im Menschen?

Boucsein: Das Glücksgefühl ist sicherlich im Gehirn zu lokalisieren. Wo dort genau, das kann bislang niemand sicher sagen. Wahrscheinlich ist es im so genannten limbischen System anzusiedeln. Entwicklungsgeschichtlich betrachtet ist es das älteste System im menschlichen Gehirn. Heute versucht man oftmals, Vorgänge im Gehirn visuell sichtbar zu machen und farbig zu veranschaulichen, indem man den Sauerstoffverbrauch im funktionellen Kernspintomografen misst. Dabei wird von einem hohen Sauerstoffgehalt auf eine Aktivierung der Gehirnzellen geschlossen. Aber das sagt noch relativ wenig darüber aus, ob das gesuchte Phänomen auch wirklich in diesem Gehirnareal seinen Ursprung hat. Auch ist die "Röhre", wie sie im Volksmund heißt, beim Einkaufen nicht einsetzbar.

Gibt jemand, der eine selbst gekaufte Ware umtauscht, auch sein Glück zurück?

Boucsein: Nein, das Glück kann einem niemand mehr nehmen. Möglicherweise ist er glücklich, dass er das Ding los ist und vielleicht was Neues kaufen kann. Das ist aber ist eine andere Geschichte. Das Glück ist nicht an die Ware, sondern an die Situation gebunden. Glück ist immateriell und lässt sich auch nicht materialisieren. Das Gefühl entsteht im Moment, lässt sich nicht festhalten und nur im Augenblick genießen. Damit kann Ihnen dieses Glück niemand mehr nehmen.


Wolfram Boucsein (67) war 28 Jahre Universitätsprofessor für Physiologische Psychologie in Wuppertal. Nach seiner Emeritierung Anfang 2009 machte sich mit der Firma "Psyrecon" selbstständig. Er ist überzeugter und praktizierender Christ.