Streit um Gebetsraum in Schule vor Bundesgericht

Streit um Gebetsraum in Schule vor Bundesgericht
Ein muslimischer Junge aus Berlin kämpft um das Recht, in der Schule zu beten. Die Schulverwaltung fürchtet jedoch, dass dies den Alltag in dem Weddinger Gymnasium empfindlich stören könnte. Am heutigen Mittwoch geht es zum Bundesverwaltungsgericht. Nach Angaben eines Gerichtssprechers ist bereits für den gleichen Tag mit einer Entscheidung zu rechnen.
30.11.2011
Von Stephanie Höppner

Rund zwölf Jahre ist es her, dass die muslimische Lehrerin Fereshta Ludin in Baden-Württemberg den sogenannten Kopftuchstreit entfachte. Die Frage, welches Gut an staatlichen Schulen höher zu bewerten ist - freie Religionsausübung oder weltanschauliche Neutralität - bestimmt seitdem immer wieder die bundesdeutsche Debatte. An diesem Mittwoch landet eine ähnlich sensible Frage wieder bei einem höchsten Gericht. Dann verhandelt das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig, ob muslimische Schüler in der Pause beten dürfen.

Gerichte kamen zu gegensätzlichen Entscheidungen

Angestoßen wurde der Prozess vom mittlerweile 18-jährigen Yunus M., der in Berlin das Diesterweg-Gymnasium besucht. 2007 legte der Junge in einer Mittagspause seine Jacke auf den Flur der Schule, ließ sich nieder und begann gemeinsam mit einigen Klassenkameraden seine Suren zu sprechen. Es ist das längste der fünf Gebete und soll nach traditioneller Auslegung möglichst zwischen zwölf und drei Uhr nachmittags gehalten werden. Direktorin Brigitte Burchard untersagte dies.

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Unterstützt von seinem Vater - einem deutschen Konvertiten - klagte Yunus gegen das Verbot der Schulleiterin und bekam vom Verwaltungsgericht Recht. Weil das Gymnasium nicht wollte, dass der Schüler vor anderen betet, stellten sie ihm einen 20 Quadratmeter großen Raum zur Verfügung, den er in der Mittagspause nutzen konnte.

Das Land Berlin ging jedoch in Berufung. Die Schulverwaltung fürchtete um die weltanschauliche Neutralität und den ungestörten Tagesablauf im Gymnasium. In zweiter Instanz gab das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg dem Land Recht. Die Begründung: An der Schule treffe eine Vielzahl unterschiedlicher Religionen und Glaubensrichtungen aufeinander. Dies könnte zu Konflikten führen, weswegen Neutralität gefragt sei. Die Schulleitung, aber auch die türkische Gemeinde Berlin begrüßten das Urteil. Kritik kam vom türkisch-islamischen Verband DITIB in Köln.

"Das friedliche Miteinander ist gefährdet"

Der Humanistische Verband Deutschlands hofft nun für Mittwoch auf eine Bestätigung des Urteils. "An der Schule kann schnell ein Streit unter der Schülerschaft ausbrechen darüber, wie muslimischer Glaube korrekterweise praktiziert werden sollte", sagt Thomas Hummitzsch. "Die Gebete werden ja innerhalb der muslimischen Communities unterschiedlich bewertet, dadurch kann auch Druck entstehen, der das friedliche Miteinander nicht gerade fördert."

Mit seinen fast 30 Nationalitäten ist die Schule von Yunus ein Abbild des Berliner Kiezes Wedding. Fast die Hälfte aller Einwohner und etwa 77 Prozent aller jungen Leute haben hier ausländische Wurzeln. Am Diesterweg-Gymnasium sind nicht nur alle Weltreligionen vertreten, sondern mit Sunniten, Schiiten und Aleviten auch die verschiedenen Strömungen des Islams. Konflikte beherrschen den Schulalltag, zum Beispiel darüber, ob Mädchen ein Kopftuch tragen sollten oder ob der Verzehr von Schweinefleisch mit dem Koran vereinbar sei. Diese Streitigkeiten begründeten auch das Urteil des Oberverwaltungsgerichts.

Gebet nachholen, um Konflikte zu vermeiden?

"Die grundlegende Frage ist: Wie wollen wir das Leben innerhalb einer immer bunter werdenden Gesellschaft organisieren", sagt Hummitzsch vom Humanistischen Verband. Wenn alle ihre Praktiken auslebten, entstünde Chaos, vermutet er. Außerdem sei es im Islam möglich, Gebete nachzuholen, was auch vom Göttinger Islamwissenschaftler Tilman Nagel im vorangegangen Prozess vorgebracht wurde.

Nach Ansicht von Human Rights Watch geht diese Argumentation in die falsche Richtung: " Wieso soll ich jemandem vorschreiben, wie er zu beten hat", fragt Deutschlanddirektor Wenzel Michalski. Zudem sollten Schulkonflikte mit pädagogischem Handwerkszeug gelöst werden, anstatt die Toleranz zu beschneiden. "Sie sind ein guter Zeitpunkt, um über Religionsfreiheit zu diskutieren."

Sollte das Bundesverwaltungsgericht am Mittwoch den Gebetsraum verbieten, könnte sich der Prozess noch weiter hinziehen. Dem Schüler steht dann noch das Bundesverfassungsgericht offen. Der Prozess startet am Mittwoch, 30. November, um 10.30 Uhr.

epd