Unterschiedlicher könnten die Gesichter des Castor-Protests kaum sein: In Dannenberg demonstrieren bei der zentralen Anti-Atom-Kundgebung Familien mit Pudelmützen, singend und mit bunten Fahnen, auch Rentner mit Rollatoren sind dabei. Entlang der Schienenstrecke, auf der am Wochenende elf Atommüll-Behälter rollen müssen, geraten dagegen immer wieder Atomkraftgegner und Polizisten aneinander. Einsatzkräfte gehen mit Schlagstöcken und Pfefferspray gegen Castor-Gegner vor. An einem anderen Ort fliegen an den Tagen zuvor Brandsätze gegen Polizeiwagen und Steine gegen die Beamten.
Seit Jahrzehnten bestimmt der Atom-Widerstand die Gegend im niedersächsischen Wendland - daran kann auch der nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima beschlossene Atomausstieg in Deutschland nicht viel ändern. Allerdings gehen die Einschätzungen von Polizei und Demonstranten bei der Kundgebung weit auseinander: Die Sicherheitsbehörde in Lüneburg spricht von rund 8.000 Demonstranten und etwa 400 Traktoren - Anti-Atom-Gruppen sehen gar mehr als 23.000 auf der großen Wiese in Dannenberg versammelt.
"Für uns ist es ein wichtiges Zeichen, heute hier ein friedliches Gegenbild zu liefern", sagt eine junge Mutter aus Lüchow, die ihren Namen nicht nennen möchte. Die Bilder von Polizisten, die mit Schlagstöcken und Wasserwerfern gegen Demonstranten vorgehen, machen ihr Angst. "Zuhause bleiben wollte ich aber nicht. Dazu ist das hier zu wichtig." Außerdem dürfe die große Masse der friedlichen Demonstranten den wenigen "Idioten" nicht kampflos den Platz in den Schlagzeilen überlassen. Ihre beiden Kinder habe sie aber nicht mitgenommen, betont die Frau: "Sicher ist sicher."
Schuld für Zwischenfälle liegt bei Polizei und ihrer "unangemessenen Machtdemonstration"
Klare Worte, die auch in den Aussagen der Organisatoren der verschiedenen Umweltverbände und Anti-Atom-Organisationen mitschwingen. Auch wenn in ihren Augen die Hauptschuld für die Zwischenfälle bei der Polizei und ihrer "unangemessenen Machtdemonstration" zu suchen sind. Es sei jedoch ein wichtiges Zeichen, das von den vielen tausend friedlichen Demonstranten ausgehe, betonten sie unisono.
"Gorleben muss leben, das geht aber nur ohne Atommüll", ruft am Rande des Demonstrationsplatzes eine ältere Dame mit badischem Akzent der Menge entgegen. Sie habe bislang gegen jeden der 13 Castor-Transporte ins Wendland protestiert und dafür auch die lange Anreise aus Baden-Württemberg auf sich genommen. "Ich will nicht, dass meine Enkel in einem Land aufwachsen, wo die Atomlobby entscheidet, was richtig und falsch ist", sagt Lisa Zapf weiter. Verständnis für die Gewalt habe sie keine - egal, ob von Polizisten oder Demonstranten.
In dem unübersichtlichen Waldgebiet - Göhrde genannt - kommt es derweil stundenlang zu einem Katz-und-Maus-Spiel zwischen Castor-Gegnern und der Polizei. Die "Schotterer", die Steine aus dem Gleisbett holen wollen, schleichen sich an, eine Polizeikette stoppt sie erst kurz vor den Schienen. "Bleiben Sie ruhig, kommen Sie erstmal auf Normalpuls", ruft ein Demonstrant den Beamten zu. Kurz danach setzt ein massiver Polizeieinsatz der Protestaktion ein Ende. Es gilt die harte Linie: Null Toleranz gegen "Schotterer". Wie viele Verletzte es bei den Zusammenstößen gab, lässt sich noch nicht überschauen - genau wie die Ankunftszeit des Atom-Zuges.