Nur ein paar Klicks zum evangelischen Widerstand

Nur ein paar Klicks zum evangelischen Widerstand
Wenn Flash-Animationen Plakatwände ersetzen: Eine Ausstellung zum evangelischen Widerstand in der Zeit des Nationalsozialismus ist ausschließlich online zu sehen. Das innovative Projekt wurde am Dienstag am Rande der Magdeburger EKD-Synode vorgestellt.
08.11.2011
Von Bernd Buchner

Die Geschichte des deutschen Protestantismus in der Zeit des Nationalsozialismus ist geprägt von zwei Extremen: Auf der einen Seite formierten sich die "Deutschen Christen" zum Schulterschluss mit dem Regime, auf der anderen Seite widersetzte sich die Bekennende Kirche den diktatorischen Methoden und der radikalen Menschenfeindlichkeit des Hitlerstaates. Auch wenn es zu wenige waren, die Widerstand leisteten: Ihr Vorbild prägte die evangelischen Christen nach dem Zweiten Weltkrieg.

Eine Ausstellung folgt nun den Spuren jener, die Nein zu Hitler sagten. Die Schau ist die "erste ihrer Art", wie der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Nikolaus Schneider, am Dienstag bei der Präsentation in Magdeburg erläuterte. Denn sie wurde ausschließlich für das Internet konzipiert. Unter www.evangelischer-widerstand.de können sich Interessierte von Mittwoch an das ganze Spektrum protestantischen Einspruchs gegen den NS-Staat erschließen. An die 600 historische Dokumente in Form von Texten, Fotos, Audios und Videos sind dabei zu entdecken.

Erinnerungskultur im Online-Zeitalter

Anders als in einem Ausstellungsgebäude navigiert der Nutzer eigenständig durch Zeitperioden und erschließt sich biografische Schicksale sowie regionale Besonderheiten. 27 Fachleute haben die Quellen zusammengestellt und die Texte verfasst, fünf Jahre hat die Vorbereitung gedauert. Träger der Schau ist die Evangelische Arbeitsgemeinschaft für Kirchliche Zeitgeschichte. Deren Vorsitzender Harry Oelke sagte bei der Vorstellung, angesichts des Aussterbens der Zeitzeugen sei für nachwachsende Generationen das Online-Medium geeignet, um sich ein wichtiges Thema der Erinnerungskultur zu erschließen.

Die Schau, für die es nichts als eine Internetverbindung und ein Adobe-Flash-Programm braucht, gliedert sich in vier Teile. Der Bereich "Zeiten" wirft einen Blick auf die Vor- und Nachgeschichte des Widerstands sowie die vier Phasen zwischen 1933 und 1945. In "Regionen" wird deutlich, dass viele Protestaktivitäten vor Ort verankert waren. Die Sektion "Menschen" beleuchtet Lebensgeschichte und Entscheidungssituationen von Personen des Widerstands, während die Schau in "Grundfragen" Anstöße gibt, um über die Bedeutung des Glaubens für den NS-Widerstand nachzudenken.

Die verschiedenen Ausstellungsbereiche sind eng miteinander vernetzt, eine bequeme Navigation erleichtert dem Nutzer die Orientierung und macht ihm die Zeitgeschichte auf anschauliche und lebendige Weise zugänglich. Kritischen Fragen geht die Schau mit dem Titel "Widerstand!?" dabei nicht aus dem Weg. "Wir wollen auch die Ambivalenzen verdeutlichen", so Claudia Lepp, Leiterin der Forschungsstelle für Kirchliche Zeitgeschichte in München. Nur ein winziger Bruchteil der evangelischen Christen war im Widerstand, und unter diesen war bei weitem nicht jeder ein Demokrat im heutigen Sinne.

Auf Facebook und Twitter vertreten

"Wirkliche Online-Ausstellungen sind in Deutschland noch kaum vorhanden", erläutert Lepp den innovativen Anspruch der Schau, deren mobile Bereiche im HTML 5-Standard programmiert sind. Dialog und Austausch mit den Usern liegt den Ausstellungsmachern besonders am Herzen. Eine begleitende Facebookseite erinnert an Jahrestage, weist auf aktuelle Fernseh- und Hörfunkbeiträge hin und versteht sich als Diskussionsforum der Besucher. Diese können der Schau über den Hashtag @ev_widerstand auch über Twitter folgen.

Noch nicht ausgebaut ist gegenwärtig der Ausstellungsbereich "Regionen", der die Geschichte des evangelischen Widerstandes in einzelnen Landeskirchen nachzeichnet. Er soll ab Frühjahr 2012 folgen, ebenso ist ein Begleitbuch in Vorbereitung. Das Projekt, das bisher rund 200.000 Euro gekostet hat, ist zunächst für sechs Jahre angelegt. Die Schau wird sich in dieser Zeit permanent weiterentwickeln. Wie es dann weitergeht, wird sich zeigen, vor allem auch von der technischen Seite her. "Sechs Jahre im Netz", sagt Claudia Lepp, "sind sechs Lichtjahre."


Bernd Buchner ist Redakteur bei evangelisch.de und zuständig für das Ressort Kirche + Religion.