Enchi, eine Kleinstadt im Westen Ghanas an der Grenze zur Elfenbeinküste: Im Wartesaal des "Gesundheitszentrums" der Presbyterianischen Kirche drängen sich über einhundert Patienten. Dabei ist es erst acht Uhr morgens. Im Neonlicht sitzen auf gelben Holzbänken Mütter in bunten Gewändern mit ihren kranken Kleinkindern. Daneben warten erschöpfte Männer auf ihre Behandlung. Eine ältere Frau hat den Kopf eines fiebernden Halbwüchsigen in ihren Schoß gebettet. An ihr vorbei wird eine Patientin durch das Gedränge geführt, deren Gesicht voll verschleiert ist – um ihre entzündeten Augen zu schonen.
Viele von ihnen haben vor Tagesanbruch ihre Urwalddörfer verlassen, um sich hier behandeln zu lassen. Sie sind stundenlang die ungeteerten Waldpisten dieses abgelegenen Distrikts entlang gewandert und mussten dabei den rötlichen Staub einatmen, den die großen Trucks der Holzfäller aufwirbeln. Vor der Eingangstür des "Presbyterian Health Centres", eines gelben Flachbaus oberhalb von Enchi, wurde ihnen eine Nummer zugeteilt. Jetzt warten sie darauf, zur Konsultation gerufen zu werden.
Einen Arzt allerdings gibt hier es nicht. Ärzte findet man in Ghana nur in den großen Hospitälern. Die Chefin hier ist eine Hebamme, Philomena Yakong. Die freundliche 56jährige im weißen Kittel versammelt gerade ihren Stab zur morgendlichen Besprechung. Diese findet in einem Winkel des Wartesaals statt, direkt neben den Patienten. Philomena ist verantwortlich für insgesamt 39 Mitarbeiter; die meisten arbeiten hier im Haus, einige wenige in den beiden Außenstationen "im Busch". Die Mehrzahl davon sind junge Hilfskrankenschwestern und -pfleger.
Morgengebet: Warum man Gott auch bei Krankheit loben kann
An diesem Mittwochmorgen im August 2011 hat die Klinikleiterin Besuch mitgebracht: drei Gäste aus der pfälzischen Partnerkirche und die ghanaische Pfarrerin Elizabeth Aduama. Diese übernimmt spontan die Leitung des Morgengebets, das Patienten und Mitarbeiter der Klinik täglich miteinander feiern. Die Kranken sind dicht zusammengerückt, um sie zu hören: In der Landessprache Twi erklärt die fremde Pfarrerin, aus welchen Gründen man Gott auch bei Krankheit noch loben kann. Ihre humorvollen Beispiele muntern die Patienten auf. Einige unterstreichen das Gesagte mit begeisterten "Amen!"-Rufen.
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"Wir müssen unseren Patienten auch ihre spirituellen Bedürfnisse erfüllen", sagt Philomena Yakong wenig später in ihrem Büro. Auch ihr und den Mitarbeitern gibt das tägliche Gebet Kraft für die vielen Herausforderungen des Berufs: "Wenn unsere Hebamme Lucy und ihre Helferinnen Schwierigkeiten mit einer Entbindung haben, fangen sie an zu beten, während sie arbeiten. Das hilft!"
Dabei ist es egal, dass zehn Prozent der Mitarbeiter muslimischen Glaubens sind und die übrigen sich auf alle möglichen christlichen Denominationen verteilen. Philomena zum Beispiel ist Katholikin. Ihr designierter Nachfolger, der junge Augenkrankenpfleger Aziz, ist Muslim. Sie alle fühlen sich akzeptiert und beten gemeinsam. Und tun für ihre Patienten, was sie nur können. Die Ambulanz wird erst dann geschlossen, wenn alle Patienten des Tages versorgt sind.
Dass in dieser 2006 eröffneten Klinik ein besonderer Geist weht, hat sich herumgesprochen unter den 170.000 Einwohnern des Grenzdistriktes Enchi: Allein in den ersten sechs Monaten dieses Jahres gab es täglich etwa 215 ambulante und stationäre Patienten. Das sind fast zwanzig Prozent mehr als im Vorjahr. Zwar muss die Presbyterianische Klinik schwere Fälle – bestimmte Malariatypen oder Kaiserschnittgeburten – an das benachbarte Regierungshospital überweisen. Dort gibt es immerhin einen Arzt samt Operationssaal. Doch viele Betroffene sträuben sich und wollen in der kirchlichen Klinik bleiben – wegen der besseren Fürsorge. So bekommt Philomena an diesem Tag von einer Patientin zu hören: "Ehe ich woanders hin überwiesen werde, gehe ich lieber nach Hause um zu sterben!"
Spenden kommen aus Böhl-Iggelheim in der Pfalz
Enchis presbyterianische Urwaldklinik würde ohne die Hilfe der deutschen Partner nicht bestehen. Jedes Jahr überweist die pfälzische Landeskirche etwa 6.000 bis 7.000 Euro aus Mitteln des Kirchlichen Entwicklungsdienstes nach Enchi. Die Protestanten in Ghana und der Pfalz sind gleichberechtigte Partner im internationalen Netzwerk des "Evangelischen Missionswerkes Südwestdeutschland" (EMS). Viel Unterstützung kommt auch von Enchis direkter pfälzischer Partnergemeinde Böhl-Iggelheim: Gemeindemitglieder dort helfen den Ghanaern, Anträge an deutsche Hilfsorganisationen zu stellen – und spenden regelmäßig selbst.
Klinikleiterin Philomena Yakong und die Pfälzer Pfarrerin für Weltmission Marianne Wagner vor dem Klinikauto, das regelmäßig in die Urwalddörfer fährt. Das Auto wurde von den Christen in der Pfalz gesponsert. Foto: Martin Rothe
So wurde mit Geld aus Böhl-Iggelheim die Entbindungsstation aufgebaut, die 2006 eröffnet wurde.
Neben Böhl-Iggelheim unterstützen auch andere pfälzische Kirchengemeinden Projekte ihrer jeweiligen Partnergemeinden in Ghana – unter anderem Schulen, Kindergärten und einkommensfördernde Maßnahmen. Viele Kirchengemeinden in dem westafrikanischen Land hoffen allerdings noch auf eine Partnerschaft, beispielsweise Enchis Nachbarstadt Dadieso.
Doch so dankbar die Menschen in Enchi für diese Unterstützung sind: Es gibt noch unendlich viel zu tun, bis die medizinische Versorgung in Enchi auch nur annähernd europäischen Standard erreicht hat. Die Landarbeiterfamilien auf den Kakaoplantagen des Distrikts haben kaum Zugang zu Strom und zu sauberem Trinkwasser. In der Regenzeit sind die Urwaldpisten kaum passierbar – oft genug eine Tragödie für Schwerkranke oder Gebärende.
Arzt und Fachkräfte dringend gesucht
Allwöchentlich bringt der Geländewagen der Klinik eine Krankenschwester in elf ausgewählte Dörfer "im Busch": Dort versammeln sich die Patienten und Schwangeren aus jeweils 60 anderen umliegenden Weilern. Die Krankenschwester kontrolliert dann vor Ort die Gewichtsentwicklung der Kinder, gibt Tipps zu Ernährung, Gesundheit, Familienplanung und Erster Hilfe. Sie immunisiert gegen Kinderkrankheiten und impft Schwangere gegen Tetanus.
Ernsthaft Erkrankte werden zur Klinik mitgenommen. Allerdings fällt auch im "Gesundheitszentrum" in Enchi zwei- oder dreimal pro Woche der Strom aus. Zum Glück funktioniert dann der Notstrom-Generator. Meistens. Mit Medikamenten ist die hauseigene Mini-Apotheke besser ausgestattet als das Regierungshospital. Aber es fehlen dringend benötigte Geräte für Ultraschall-, Ohren- und Augen-Untersuchungen. Deren Kosten übersteigen das Klinikbudget.
Die Leiterin Philomena Yakong sucht händeringend nach Fachkräften. Insbesondere ein Arzt wäre hochwillkommen: "Es ist immer ein gefährlicher Zeitverlust für die Schwerkranken, wenn wir sie wegschicken müssen, weil nur ein Doktor ihnen helfen kann", sagt sie. Deshalb wollen die Presbyterianer in Enchi ihr Gesundheitszentrum vergrößern zu einer Polyklinik mit Operationssaal und Krankenwagen. Dies – und ein neu zu bauendes Wohnhaus – sind die Voraussetzungen, damit sich ein Arzt an der Klinik niederlassen kann. Auch ein Mediziner aus dem Ausland wäre willkommen – wenn er einen Unterstützerkreis hat, der seine Kosten trägt.
Philip Ntaah vom Partnerschaftskomitee der Presbyterianischen Gemeinde hofft, dass die deutschen Protestanten weiter mithelfen: "Unser Wunsch ist der gemeinsame Ausbau der Klinik – damit wir hier das Evangelium glaubwürdig predigen können, indem wir Leben retten!"
Martin Rothe ist freier Journalist, hat unter anderem Religionsgeschichte studiert und die Evangelische Journalistenschule in Berlin absolviert. Seine Schwerpunktthemen sind unter anderem Kirche, Weltreligionen und Ökumene.