Literatur auf der Straße: Öffentliche Bücherschränke

Literatur auf der Straße: Öffentliche Bücherschränke
Warum auf der Jagd nach kostenlosen Büchern über die Buchmesse hetzen? Gute Literatur findet sich auch direkt auf Deutschlands Straßen, gratis obendrein.
07.10.2011
Von Franziska Fink

Neuerscheinungen und Klassiker, Nachwuchstalente und etablierte Schriftsteller, Lesungen und Verlagsparties: Die Frankfurter Buchmesse hält jeden in Atem, der auf Literaturjagd ist und dabei vielleicht auch noch das ein oder andere kostenlose Buch ergattern will. Das wird sicherlich wieder spannend und aufregend sein – aber so manchen Buchmessegänger auch ermüden und überfordern.

Dabei kann man Literatur auch woanders und in aller Ruhe entdecken – direkt vor der Haustür, auf der Straße und garantiert kostenlos. Seit Ende der 1990er Jahre gibt es "öffentliche Bücherschränke" in Deutschland und in den vergangenen drei Jahren führten diese einen regelrechten Siegeszug durch die ganze Bundesrepublik.

Angefangen hat alles mit einem Kunstprojekt des Aktionskünstler-Duos Clegg & Guttmann. Sie installierten 1991 in Randbezirken von Graz frei zugängliche Büchervitrinen. Eine "Gebrauchsanweisung" forderte dazu auf, ein Buch auszuborgen, nach einer angemessenen Zeit wieder zurückzubringen und die "offene Bibliothek" mit eigenen Bücherspenden auszustatten. Das Kunstprojekt sah weder Sicherheits- oder Kontrollmaßnahmen vor, sondern zielte auf die selbstverantwortliche Benutzung durch Passanten und Anwohner. Auch war die Installation nicht als Kunstwerk markiert. Zunächst "funktionierte" nur einer von drei Bücherschränken über einen längeren Zeitraum, die anderen beiden Schränke wurden leer geräumt und mutwillig zerstört. 

Ein Bücherschrank bei Wind und Wetter

Trotzdem wurde das Kunstprojekt in anderen Städten fortgesetzt. In Hamburg und Mainz wurde die Aktion weiterentwickelt und durch soziologische Studien begleitet. Die Reaktionen reichten von Demolierung bis zu Begeisterung, aus der sich schließlich zahlreiche Bürgerinitiativen entwickelten. Der Durchbruch kam dann 2002, als die Designerin Trixy Roÿeck für einen Ideenwettbewerb der Bürgerstiftung Bonn einen Prototyp für einen Bücherschrank entwarf, der den Witterungsbedingungen im Freien standhält. 

Bücherschrank "BOKX" am Merianplatz in Frankfurt. Foto: Franziska Fink

Seitdem wurde die Idee zum Stadtmöbel "BOKX" weiterentwickelte und in vielen anderen Städten aufgestellt, allein in Frankfurt am Main gibt es sechs davon. Zwar zielen die öffentlichen Bücherschränke noch immer auf die Selbstverantwortung von Benutzern, trotzdem gibt es mittlerweile auch Bücherschrank-Paten, die nach dem Rechten schauen.

Olaf Kriszio, Antiquar aus Frankfurt und Pate für den Bücherschrank am Merianplatz hat jedoch die Erfahrung gemacht, dass die Buchtausch-Aktion wie von selbst läuft: "In den Sommermonaten standen vor den Häusern in den Straßen eh Bücherkisten mit dem Hinweis 'Bitte mitnehmen'."

Für ihn sind gerade die Bewohner aus den Stadtteilen Nordend und Bornheim das ideale Publikum: "Die Leute hier haben sich schon immer sehr darum gekümmert, dass die Bücher nicht einfach weggeworfen werden und dann fanden wir, dass ein fester Anlaufpunkt wo das einigermaßen geregelt ist, eine ganz gute Idee ist." 

Mittlerweile sind auch ganz neue Formen von öffentlichen Bücherschränken entstanden: So werden in vielen Städten leere, nicht mehr funktionstüchtige Telefonzellen als Bücher-Tauschbörsen genutzt. In Magdeburg wurde sogar ein ganzes Gebäude als öffentlicher Bücherschrank konzipiert. Das "Lesezeichen Salbke" ist eine Kombination aus öffentlichem Bücherschrank, Veranstaltungsbühne und Lärmschutz und wurde archiktektonisch so entworfen, dass sich auf der Westseite frei zugängliche Büchervitrinen befinden. Im Jahre 2010 wurde das "Lesezeichen Salbke" mit dem bedeutenden europäischen Architekturpreis "European Prize for Urban Public Space 2010" ausgezeichnet. 

"Lesezeichen Salbke". Foto: Wikipedia/Olaf2)

In Berlin entstand ein ganzer "Bücherwald". Er besteht aus fünf ausgehöhlten Baumstämmen mit Regalfächern, die Platz für mindestens 100 Bücher bieten. Gleichzeitig ist der "Bücherwald" ein Beitrag zur nachhaltigen Berufsbildung und thematisiert die Wertschöpfungskette Wald-Holz-Buch. 25 Auszubildende, darunter angehende Förster, Tischler, Buchhändler und Medientechniker, arbeiteten neun Monate an dem Projekt, das schließlich sogar vom Deutschen Nationalkomitee der Unesco ausgezeichnet wurde. 

Schundromane und Literaturperlen

Aber was findet sich alles in einem öffentlichen Bücherschrank? Bücher, die sowieso keiner lesen will? Groschenromane? Oder etwa doch die ein oder andere Literaturperle? "Das ist zum Teil auch ganz kurios", meint Bücherschrank-Pate Kriszio. "Da sind auch mal spanische oder englische Bücher drin. Eine Zeitlang waren sogar Vinylschallplatten dabei. Sie finden auch einen Text von Foucault oder von Joseph Stiglitz in englisch da drin, genauso wie einen Schundroman." Vorbeischauen und stöbern lohnt sich also.

Dass der Bücherschrank am Merianplatz in Frankfurt intensiv genutzt wird, ist für Kriszio offensichtlich: "Das ist alles immer nur eine Frage von ein, zwei Tagen und dann ist der ganze Bücherbestand komplett ausgetauscht. Und natürlich ist es so, dass die interessanten Sachen auch sehr, sehr schnell weg sind."

Zum Glück kommt auch immer wieder Nachschub, manchmal sogar kistenweise: "Es gibt immer mal wieder Leute, die auch größere Mengen abgeben wollen. Dann nehmen wir Bücherschrankpaten die Bücherkisten entgegen, um diese dann sukzessive einzustellen, weil es sonst doch ein bisschen chaotisch wäre", so Kriszio. Ansonsten läuft aber alles wie im Schnürchen. Der Bücheschrank steht seit über zwei Jahren am Merianplatz und wurde, abgesehen von ein paar Schmiereien, nie ernsthaft beschädigt.

"Die Leute kapieren, dass der Bücherschrank für sie ist", freut sich Kriszio. "Wir sind sehr froh, dass das Projekt sehr intensiv genutzt wird und dass eben Bücher einfach so umverteilt werden und an interessierte Leute kommen. Und die Leute kümmern sich auch drum und deswegen gibt es auch wenig Beschädigungen, weil sie sich ja sonst selber schaden würden und das ist den meisten auch klar."

Einen öffentlichen Bücherschrank gleich um die Ecke zu finden ist übrigens ganz einfach: Unter www.tauschgnom.de/offene-buecherschraenke sind deutschlandweit die meisten aufgelistet.


Franziska Fink arbeitet als freie Journalistin für evangelisch.de.