Filmkritik der Woche: "Der große Crash - Margin Call"

Filmkritik der Woche: "Der große Crash - Margin Call"
Rette sich wer kann: Der Film "Der große Crash - Margin Call" komprimiert den Hypothekencrash von 2008 in einer einzigen New Yorker Nacht.
27.09.2011
Von Georg Seeßlen

Nächtliche Krisensitzung in New York: Die Leitung eines Investment-Unternehmens versucht, den drohenden Untergang der Firma abzuwenden. Mit seinem Kinodebüt "Der große Crash - Margin Call" präsentiert Regisseur J. C. Chandor einen stimmigen Film zur Finanzkrise von 2008, der kühl analysiert und darauf verzichtet, das Geschehen dramatisch aufzuheizen. Im Zentrum der Katastrophe stehen ganz normale Menschen, die sich irgendwie verhalten müssen, weil sie mit dem Rücken an der Wand stehen.

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Eine Crew von knallharten Spezialisten sortiert in dem Investment-Unternehmen eiskalt Angestellte aus, Anfänger ebenso wie verdiente Mitarbeiter der Firma, darunter auch der Top-Risk-Analyst Eric Dale (Stanley Tucci). Dale war gerade mit einer Analyse der augenblicklichen High-Risk-Situation beschäftigt, doch nun muss er sofort seinen Arbeitsplatz räumen, sein Wissen ist nicht mehr von Interesse.

Trotzdem gelingt es dem Gefeuerten, die Informationen seinem "Schützling" Peter Sullivan (Zachary Quinto) zuzustecken, einem Quereinsteiger in die Finanzwelt, der als Mathematikgenie entsprechend schnell erkennt, was er da für ein brisantes Material auf den Schirm geladen hat: Der todsichere Untergang der Firma ist keine Frage von Wochen, sondern von Stunden. Aus "hochriskanten" sind mehr oder weniger wertlose Papiere geworden. Noch in der Nacht versammelt sich nach und nach die Firmenleitung zur Krisensitzung.

Die Charaktere stammen aus der Typenlehre des Finanzgeschäfts und sind zudem hochgradig besetzt: Paul Bettany als der Lead Trader Emerson, der das schnelle Leben und den Kitzel des Risikos liebt, Kevin Spacey als Sullivans Vorgesetzter Rogers, der sich viel darauf zugutehält, wie er seine Mitarbeiter motiviert, Simon Baker als Cohen, der klassische Blender-Manager, der sich die Verdienste seiner Mitarbeiter unter den Nagel reißt, und Demi Moore als Sarah Robertson, Leiterin der Risikoabteilung, das weibliche Gesicht der Szene, eine halbverhärtete Powerfrau und selbst schon zum Opfer erkoren.

Zwischen Karrieresucht, Luxus, Zynismus und Restskrupeln

Die verschiedenen Charaktere zwischen Karrieresucht, Luxus, Zynismus und Restskrupeln funktionieren pyramidal: Unten gibt es Sachverstand, in der Mitte Delegationsgeschick, oben nur den blanken Willen zur Macht und zum Profit. Dort herrscht Jeremy Irons als gutgekleideter Konzernchef John Tuld.

Es gibt nur zwei Möglichkeiten: durch den eigenen Bankrott eine Krise auszulösen oder sich auf Kosten anderer in Sicherheit zu bringen, was natürlich komfortabler erscheint. Der Thrill dieses Szenarios besteht darin, zu verfolgen, ob und wie sich die Mitarbeiter in diesen Plan einspannen lassen, der über Nacht ein Segment der Finanzwirtschaft in den Ruin führen wird. Am nächsten Morgen wird die Krise beginnen, die vielen Menschen den Job, die Zukunft, die Hoffnung nehmen wird.

J. C. Chandor erklärt sie nicht in einer faszinierend-bösen Gestalt. Da er die Welt der Finanzmakler von seinem Vater, der bei Merrill Lynch arbeitete, her kennt, balanciert der Regisseur zwischen "System" und "Charakter". Es gibt Punkte in der Geschichte dieser 24 Stunden, in denen man erwartet, nun würde sich die moralische und psychische Spannung in einem persönlichen Drama entladen. Doch hier wird niemand aufgerüttelt, schockiert oder "betroffen gemacht".

USA 2011. R, B: J. C. Chandor. Mit: Kevin Spacey, Paul Bettany, Jeremy Irons, Zachary Quinto, Penn Badgley, Demi Moore, Mary McDonnell. L: 109 Min. FSK: ab 6, ff. Film des Monats Oktober der Jury der Ev. Filmarbeit.

epd