Berlin hält sich die Palästina-Abstimmung offen

Berlin hält sich die Palästina-Abstimmung offen
Grundsätzlich ist die Sache klar: Deutschland ist für eine "Zwei-Staaten-Lösung" zwischen Israelis und Palästinensern. Aber was, wenn die Palästinenser schon nächste Woche mit einem eigenen Staat in die UN wollen? Gerät Berlin erneut ins Abseits?
16.09.2011
Von Christoph Sator

Vor einem halben Jahr war es noch Deutschlands UN-Botschafter Peter Wittig, der die Hand heben musste. Die Folgen sind bekannt: Mit der Enthaltung zum Libyen-Einsatz im Sicherheitsrat geriet Berlin international ins Abseits. Nächste Woche, in einer ähnlich schwierigen Frage, muss Außenminister Guido Westerwelle in New York nun selbst Farbe bekennen: Was tun, wenn die Palästinenser jetzt schon einen Antrag auf Aufnahme in die Vereinten Nationen stellen?

Bislang gibt es aus Berlin noch keine rechte Antwort darauf. Schwarz-Gelb hält sich die Optionen offen. Das liegt zum einen am speziellen Verhältnis zu den Palästinensern. 1994 war Deutschland das erste Land überhaupt, das in den Palästinensergebieten eine eigene Vertretung eröffnete. Seit Mai 2010 gibt es einen gemeinsamen "Lenkungsausschuss". Zudem wurden mehr als 685 Millionen Euro Entwicklungshilfe gezahlt.

Das Bekenntnis zu einer "Zwei-Staaten-Lösung" zwischen Palästinensern und Israelis ist für deutsche Politiker Allgemeingut. Dazu gehört stets aber auch das Bekenntnis, dass Deutschland wegen seiner Geschichte eine besondere Verantwortung für Israel habe. Gegen dessen Willen, ohne den Abschluss von Friedensverhandlungen, käme die Anerkennung eines Palästinenserstaats für Berlin nicht infrage.

Besondere Verantwortung Deutschlands

Die Bundesregierung hält sich aber auch bedeckt, weil die Gemengelage vor der alljährlichen Generalversammlung der 193 UN-Mitgliedstaaten diesmal besonders kompliziert ist. Noch weiß keiner genau, was nächste Woche eigentlich zur Entscheidung steht. Und gerade in Europa hoffen einige darauf, dass sich das Thema in letzter Minute möglicherweise doch noch vertagen lässt.

Derzeit sind die Palästinenser bei den Vereinten Nationen nur als einfacher "Beobachter" dabei. Ziel ist die Vollmitgliedschaft. Dazu bräuchten sie jedoch sowohl die Zustimmung des Sicherheitsrats als auch eine Zwei-Drittel-Mehrheit in der Vollversammlung.

Die Mehrheit von 129 Staaten bekämen sie wohl zusammen. Mehr als 110 Länder haben Palästina bereits diplomatisch anerkannt. Im Sicherheitsrat würden jedoch zumindest die USA mit Nein stimmen und ihr Veto einlegen. Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy hingegen ließ erkennen, dass er für die Ungeduld der Palästinenser viel Verständnis hat. Für das nicht-ständige Mitglied Deutschland wiederum lehnte Kanzlerin Angela Merkel alle "einseitigen Schritte" ab.

Wahrscheinlicher ist, dass die Palästinenser gleich in die Vollversammlung gehen und dort beantragen, vom einfachen "Beobachter" zum "Beobachterstaat" aufgewertet zu werden. Eine solche Rolle hat bislang schon der Vatikan. Eine Mehrheit dafür wäre praktisch sicher - auch bei den EU-Mitgliedern, von denen einige wie Polen oder Tschechien die Palästinenser schon diplomatisch anerkannt haben.

Palästinenser bringen Sitz bei den UN selbst vorbei

Den angestrebten Sitz bei den Vereinten Nationen haben die Palästinenser schon einmal selbst mitgebracht. In einer symbolischen Aktion übergab der Vertreter der Palästinenser bei den UN, Riyad Mansour, am Donnerstag einem Protokollbeamten einen hellblauen Sessel mit dem Aufdruck "Palestine" (Palästina) auf der Lehne.

"Wir wollen Mitglied werden, und es ist unser Recht, Vollmitglied zu werden", sagte der Diplomat. "Wir wollen dieses Geschenk als gutes Omen verstanden wissen, dass hier bei den UN ganz wunderbare Dinge für das palästinensische Volk passieren."

Die Palästinenser wollen voraussichtlich in der kommenden Woche einen Antrag bei den Vereinten Nationen stellen, um als eigener Staat anerkannt zu werden. Die USA sind dagegen, solange es keine Lösung für einen Frieden mit Israel gibt. "Unser Zug ist angekommen, hier an der Grand Central Station", sagte Mansour mit Blick auf den nahen New Yorker Bahnhof. "Es ist nur noch ein kleiner Weg von hier zu den UN, und wir werden ihn gehen."

Europa könnte wieder gespalten dastehen

Für die Bundesregierung käme es wohl auf die genaue Formulierung an. Alles, was auch nur als implizite Anerkennung ausgelegt werden könnte, will man vermeiden. Und auch andere sollen daraus keine Ermunterung ableiten können, Palästina als souveränen Staat zu akzeptieren. So deutlich sagt das in Berlin derzeit aber niemand.

Groß ist die Sorge, dass sich die Lage in Nahost verschlimmert. Aber auch, dass Europa - wie beim Libyen-Einsatz, wie bei der Anerkennung des Kosovos - wieder einmal gespalten da stehen könnte. So wird hinter den Kulissen noch an einer neuen Erklärung des Nahost-Quartetts (Vereinte Nationen, USA, Russland und EU) gearbeitet, die einen UN-Beschluss einordnen könnte.

Noch also hofft man auf eine Lösung in letzter Minute. Deshalb blieb Westerwelle nach der Rückkehr von einer Nahost-Reise diese Woche nur im Allgemeinen: "Alles, was die Chancen des Friedensprozesses und der Wiederaufnahme direkter Friedensgespräche vergrößert, sollte getan werden. Alles, was die Chancen verringert, sollte man unterlassen." Noch sind dafür einige Tage Zeit.

dpa