Mit Beethoven gegen Terror und Staatszerfall

Mit Beethoven gegen Terror und Staatszerfall
Mit klassischer Musik gegen den alltäglichen Terror: Ein Jugendorchester setzt im Irak ein Zeichen für das Miteinander der entzweiten Volks- und Religionsgruppen. Bald spielen die jungen Musiker in Deutschland.
12.09.2011
Von Anne-Beatrice Clasmann

Im Irak bestimmen Autobomben, Christenverfolgung und Korruption den Alltag. Ein irakisches Jugendorchester soll nun ein Zeichen gegen Spaltung und Terror setzen. Es vereint Kurden, Araber, Christen, Schiiten und Sunniten. Ähnlich wie das von Daniel Barenboim geleitete West-Eastern Divan Orchestra, das junge israelische und arabische Musiker zusammengeführt hat, soll auch das irakische Orchester Vertreter politisch zerstrittener Volks- und Religionsgruppen durch Musik zusammenbringen. Ihr erstes Gastspiel geben die Iraker am 1. Oktober beim Beethovenfest in Bonn.

Zu den Gründungsmitgliedern des Orchesters, das 2009 mit britischer Hilfe von einer jungen irakischen Pianistin ins Leben gerufen wurde, gehört Tuka Saad Dschafar. Die 17-jährige Cellistin aus Bagdad ist diesen Sommer zum dritten Mal zu Proben in das kurdische Autonomiegebiet im Norden des Irak gefahren. Die Musiker treffen sich bislang nur hier, da die Sicherheitslage in dem Gebiet viel besser ist als in den anderen Landesteilen, wo Al-Kaida-Terroristen und schiitische Milizen lauern. In Bagdad haben sie noch nie zusammen musiziert. Ausgewählt wurden die 43 Musiker im Alter zwischen 16 und 28 Jahren von dem in Köln lebenden schottischen Dirigenten Paul MacAlindin, der sich von ihnen Videos schicken ließ.

Eine unbeschwerte Jugend sieht anders aus

Tuka hat einen quietschgelben Spongebob-Anhänger aus Schaumstoff an ihrer Instrumentenhülle befestigt. Während der Pausen zwischen den Proben scherzt die Musikerin mit den anderen Cellisten des Orchesters. Doch eine unbeschwerte Jugend sieht anders aus. "Ich habe schon als Kind viele Leichen auf der Straße liegen sehen, immer wieder gab es Anschläge", erzählt sie. Ihr Gesichtsausdruck wird hart und ernst.

"Während die Schönen Künste starben und die guten Musiker einer nach dem anderen das Land verließen, erhoben die Terroristen das Morden zur Kunstform. Sie dachten sich immer neue Methoden aus, um Menschen zu töten. In den letzten zwei Jahren ist der Terror zwar wieder etwas weniger geworden, aber der Fanatismus nicht. Sogar Mädchen, die Hosen tragen, werden bedroht", sagt sie.

Wenn Tuka das Haus ihrer Eltern im Schiiten-Viertel Al-Salam mit ihrem Cello verlässt, dann lässt sie das Taxi direkt vor der Türe anhalten. Hastig verstaut sie das Instrument im Kofferraum. Denn sie hat Angst, dass Fanatiker sie töten könnten, weil sie Musikerin ist. Selbst einige konservative Verwandte aus der schiitischen Pilgerstadt Kerbela hätten sie schon gefragt: "Weshalb macht denn ein so anständiges Mädchen wie du, das betet und Kopftuch trägt, so etwas Sündiges wie Musik?"

Kampf gegen Terror und Resigantion

Als Tuka 2006 Mitglied des staatlichen irakischen Sinfonieorchesters wird und neben 50-jährigen Männern spielt, ist sie zwölf Jahre alt. Sie bezieht jetzt ein Gehalt. Zwar hat die ehrgeizige Cellistin bisher nicht mehr als zwei Jahre Unterricht gehabt, doch die Orchesterleitung sucht auf dem Höhepunkt des Al-Kaida-Terrors verzweifelt nach Musikern, die genügend Mut besitzen, um zu den Proben und Auftritten zu erscheinen.

Denn ein Orchester, das aus Männern und Frauen besteht und das zudem auch noch westliche klassische Musik spielt, gilt den militanten Islamisten, die nach der US-Invasion von 2003 im Irak Fuß gefasst haben, als Sünde. Tuka ist bereit zu kämpfen - nicht mit der Waffe, sondern mit dem Klang ihres Cellos. Sie kämpft gegen Ignoranz und Terror und gegen die Resignation, die einen Teil ihrer Generation erfasst hat.

Regiert von korrupten Parteien, kaum berührt vom revolutionären Geist des arabischen Frühlings, fühlen sich die wenigen jungen gebildeten Iraker, die das Land noch nicht verlassen haben, als Verlierer, gestrandet an der Küste der Trostlosigkeit. Lediglich die Kurden, die in ihrem Autonomiegebiet einen halbwegs funktionierenden Staat im Staat aufgebaut haben, führen ein Leben ohne Stacheldraht, Panzersperren und Selbstmordattentäter. Baschdar Ahmad Sedik, der aus der kurdischen Stadt Suleimanija stammt, unterrichtet Finanzwirtschaft und hofft auf ein Stipendium für einen Masters-Studiengang im Ausland. Der 27 Jahre alte Cellist, der im Jugendorchester schräg hinter Tuka sitzt, ist - anders als die Musiker aus den unruhigen Provinzen Bagdad, Mosul und Kirkuk - entspannt, wenn er mit Fremden spricht.

Nur bei den Proben, die im Konferenzsaal eines kleinen Hotels in der Stadt Erbil stattfinden, sind die Musiker alle gleichermaßen aufgeregt. Denn die Iraker wollen sich bei ihrem Auftritt in Bonn nicht blamieren. Deshalb üben sie fast ohne Pause - jeden Tag sieben Stunden - in einem muffigen Konferenzsaal, der mit schäbigem braunen Teppichboden ausgelegt ist. Jeder Morgen beginnt mit Aufwärmübungen im Stehen, bei denen die jungen Iraker mit den Füßen stampfen, klatschen und Rumpfbeugen machen. Es folgen Einzelstunden mit Tutoren aus Deutschland, Orchesterproben und immer wieder auch spontane Hauskonzerte im Hotel, bei denen meist orientalische Klänge zu hören sind.

Zwei Uraufführungen

"Gestern Abend habt ihr arabische und kurdische Musik mit so viel Rhythmus gespielt, und jetzt, wo ist der Rhythmus?", fragt der Dirigent und reißt die Augen weit auf. "Beethoven und Haydn, das ist Musik voller Überraschungen", schärft er ihnen ein, nachdem sie den gleichen Satz dreimal hintereinander in rumpelnder Monotonie gespielt haben. Einige der jungen Frauen, die bis auf Tuka alle mit offenem Haar zur Probe erschienen sind, kichern verlegen. Die kurdischen Geiger schauen betreten zu Boden. Beim vierten Versuch ist der Dirigent halbwegs zufrieden.

Und auch Karl-Walter Keppler, ein pensionierter Lehrer aus Köln, der einen Förderverein für das Orchester gegründet hat, freut sich zum ersten Mal in diesen Tagen, die er vor allem mit der Suche nach neuen Geldquellen verbracht hat. Er berichtet, das zugesagte Geld von der kurdischen Autonomieregierung lasse auf sich warten, aus Bagdad komme ohnehin keine Unterstützung. Ohne Spenden von Firmen und Privatleuten aus Deutschland säße das Orchester auf dem Trockenen.

In Bonn, wo sie vor dem großen Auftritt noch eine Woche üben sollen, werden die Iraker auf der Bühne von 16 Streichern des deutschen Bundesjugendorchesters unterstützt. Als Solistin für Ludwig van Beethovens Violinkonzert in D-Dur op. 61 konnte das Beethovenfest die international bekannte Münchner Geigerin Arabella Steinbacher gewinnen. Außerdem stehen eine Sinfonie von Joseph Haydn und zwei Auftragskompositionen der Iraker Ali Authman und Mohammed Amin Ezzat auf dem Programm. Wenn es genügend Applaus gibt, bekommt das Publikum in Bonn außerdem noch als Zugabe ein neues Stück von Sir Peter Maxwell Davis mit dem Titel "A Reel of Spindrift, Sky" zu hören, das er extra für die Iraker komponiert hat und das an diesem Donnerstag seine Uraufführung in Erbil hat. Zwei Tage später beginnt die Reise nach Bonn.

dpa