Finanzmärkte: Keine Panik an den Börsen

Finanzmärkte: Keine Panik an den Börsen
An den Börsen machte sich Unsicherheit breit: Zwischenzeitlich fiel der Dax unter 6.000 Punkte. Heute jedoch stürzten die Kurse nicht weiter ab. Dafür gibt es gute Gründe. Denn der Wertpapierhandel ist - mehr noch als die restliche Wirtschaft - Psychologie.
08.08.2011
Von Hermannus Pfeiffer

Der Crash blieb aus. Nach dem Eingreifen der Europäischen Zentralbank in der Euro-Krise und der Herabstufung der Vereinigten Staaten durch eine Ratingagentur war ein schwarzer Montag befürchtet worden. Es wurde ein grauer: Die Kurse an den Börsen der Welt sanken, aber sie stürzten nicht ab. Doch ob nun Börsen-Panik oder Kurskorrektur, es stehen keineswegs alle Zeichen auf Sturm.

Die Weltwirtschaft zeigt sich von der tiefsten Rezession seit den dreißiger Jahren gut erholt. Seit zwei Jahren wächst die Wirtschaft in den Industriestaaten wieder, der Welthandel boomt und viele Konzerne melden Rekordgewinne. Selbst Japan, schwer erschüttert vom Erdbeben im März, produziert schon wieder mehr Güter für den Export als vor dem atomaren Gau. Dazu gelang es den Euro-Ländern, die Griechenland-Krise zu meistern, Irland und Portugal vor der Pleite zu bewahren.

Allerdings pflegen Börsen ein Eigenleben. Schon vor den aktuellen Turbulenzen rechnete mancher Analyst mit Kurskorrekturen. So war der DAX überreif, nachdem er seit Frühjahr 2009 von unter 4.000 auf über 7.000 Punkte geklettert war, am Montag rutschter er unter 6.000 Punkte. Noch rasanter zugelegt hatte in demselben Zeitraum der Dow-Jones-Index, der die größten amerikanischen Aktien zusammenfasst. Seit einer Woche sinken nun die Kurse.

Einschätzungen und Stimmungen aller Art bestimmen den Lauf der Dinge

Doch Börse ist - mehr noch als die restliche Wirtschaft - Psychologie: Einschätzungen von Kommentatoren, Prognosen von Instituten, Gerüchte im Restaurant und Stimmungen aller Art bestimmen den Lauf der Dinge. Ob nun „zur Hälfte“, wie es auf dem meist verschwundenen Börsenparkett hieß, oder „maßgeblich“ sei dahingestellt. Und in der Welt des Internets werden aus Stimmungen blitzschnell Taten, denn niemand will zu spät kommen, wenn XY doch schon verkauft oder kauft.

Eine weitere Regel liegt den aktuellen Turbulenzen zugrunde. Die Aktienanalysten begnügen sich nie mit den Gewinnen von heute, sie interessieren sich einzig für die Gewinne von morgen, in einem halben oder dreiviertel Jahr. Börsianer denken also mittelfristig. Und da sieht es ihrer Meinung nach ungünstig aus. Die Akteure auf den internationalen Finanzmärkten befürchten eine neuerliche Konjunkturdelle im Herbst oder Winter, und sie sorgen sich um die Staatsschuldenkrise in Europa, den USA und Japan. Dabei sorgt sich die Branche wenig um die absolute Schuldenhöhe, sondern nur um fällige Zinszahlungen. „Solange japanische Investoren in die Zahlungsfähigkeit ihres Staates vertrauen, bleiben die Risiken eines Zahlungsausfalls begrenzt“, heißt es beim Kreditversicherer Coface über Japan.

Doch hat dieses Vertrauen in die Politik weiter gelitten: In Japan sieht sich Ministerpräsident Naoto Kan in seiner Demokratischen Partei DPJ Putschversuchen ausgesetzt; der langwierige US-Schuldenstreit hat Zweifel an der Politikfähigkeit von Demokraten und Republikanern verstärkt und „ein Meisterstück an Ahnungslosigkeit“ - so ein Analyst - leistete sich EU-Präsident Jose Manuel Barroso. Er hatte an die Regierungen der Mitgliedsländer einen Brandbrief geschickt, in dem er vor einer Ausweitung der Eurokrise auf ganz Europa warnte. Das Bekanntwerden des Briefinhaltes löste dann tatsächlich fast eine Panik aus - Polit-Psychologie der Börsen. Dabei sollte nicht übersehen werden, dass wichtige Fonds, Großbanken und Spekulanten auch von fallenden Kursen profitieren können. Nur dauerhaft stabile Kurse sind wirklich schlecht fürs Geschäft der Börsianer.

Der Schuldenabbau dürfte also die Inflation der USA beflügeln

Immerhin zeigt der Aufkauf von Staatsanleihen durch die Europäische Zentralbank (EZB), dass „sich die Notenbank in Alarmbereitschaft befindet“, analysiert die NordLB. Dafür gibt es durchaus handfeste Gründe. Dazu gehören die Sorgen um die Stabilität des krisengeplagten Spaniens, in dem fast die Hälfte der jungen Menschen als arbeitslos gilt, und um Italien. Dessen Wirtschaft stagniert und gilt nur teilweise als international wettbewerbsfähig. Dabei geht aus volkswirtschaftlicher Sicht eine zusätzliche Gefahr von den deutlich gestiegenen Renditen der Staatsanleihen aus. Hohe Zinsen nutzen Banken - und sie belasten Unternehmen, die nun mal alltäglich auf Kredite angewiesen sind, mit hohen Kosten. Genau das versucht der französische EZB-Chef Trichet, ein früherer Sozialist, zu verhindern.

In den USA konnte mit der neuen Schuldenobergrenze lediglich Zeit gewonnen werden. Die eigentliche Verschuldung dürfte in diesen Tagen die - im Börsenjargon - „psychologisch wichtige“ 100-Prozent-Marke überspringen. „Die Vereinigten Staaten werden ihre Schulden nicht nur über Sparmaßnahmen abbauen, sondern daran auch die restliche Welt beteiligen“, erwartet die Schweizer Bank UBS. Der Schuldenabbau dürfte also die Inflation in der weltgrößten Volkswirtschaft beflügeln, auf Kosten der Schuldner in aller Welt. Inflation ist ohnehin neben Konjunktur und Staatsschulden das dritte große Menetekel, das Börsianer umtreibt.

Die Erholung der Weltwirtschaft nach der Krise kommt zwiespältig daher. „Erholung der zwei Geschwindigkeiten“, nennt es der Internationale Währungsfonds (IWF). Viele Volkswirtschaften, darunter finanzmarktorientierte Großmächte wie USA und Großbritannien, hinken Exportländern wie Deutschland und China sowie Schwellenländern mit starker Binnennachfrage, wie Indonesien und Philippinen, hinterher. Doch trotz aller Probleme und Baustellen, ist die Weltwirtschaft ordentlich aufgestellt. Die Rettungsaktionen der Notenbanken und Regierungen zeigen Wirkung. Notwendig sind nun Steuererhöhungen, um die öffentlichen Haushalte zu stärken. Anfangen könnte die Politik damit bei den Panik-Profiteuren.


Hermannus Pfeiffer ist freier Wirtschaftsjournalist in Hamburg.