Benno Fürmann: "Ich fand den Osten wahnsinnig exotisch"

Benno Fürmann: "Ich fand den Osten wahnsinnig exotisch"
Am 13. August 1961 begann die DDR mit dem Bau der Berliner Mauer. Zum 50. Jahrestag erinnert das TV-Drama "Der Mauerschütze" am 29.7. auf Arte und am 3.8. im Ersten an den Mauerbau. Der Hauptdarsteller Benno Fürmann sprach mit evangelisch.de über seine Kindheit im geteilten Berlin, Klopapier aus der DDR und seine Filmrolle als Todesschütze.
28.07.2011
Die Fragen stellte Cornelia Wystrichowski

Herr Fürmann, in Ihrem neuen Film spielen Sie einen DDR-Grenzer, der einen Flüchtling erschießt. Sie haben während der deutschen Teilung in Berlin-Kreuzberg nahe der Mauer gewohnt...

Benno Fürmann: Stimmt, aber obwohl die Mauer bei uns um die Ecke war, habe ich von solchen Sachen wie den Schüssen auf Republikflüchtlinge immer nur in den Nachrichten gehört.

Welche Bedeutung hatte die Mauer in Ihrem Alltag?

Fürmann: Sie hat einfach zum Stadtbild dazugehört, wie die Kirche oder der Supermarkt an der Ecke. Lange habe ich die Mauer gar nicht als Ausdruck eines politischen Systems gesehen. Erst mit vierzehn oder fünfzehn Jahren wurde mir der Wahnsinn eines geteilten Landes klar. Damals lag meine Tante im Krankenhaus im Osten, und ich habe mich extra mit ihr verabredet, um ihr über die Mauer zuzuwinken.

Ein Besuch am Krankenbett war nicht möglich? 

Fürmann: Na ja, die Besuche drüben waren immer sehr umständlich, mit Antragstellen und Schlangestehen verbunden. Wir waren trotzdem regelmäßig im Osten, und unsere erste Station war dann immer der Buchladen, wo wir das Geld, das man eintauschen musste, für Bücher ausgegeben haben.

Benno Fürmann und seine Kollegin Annika Kuhl in "Der Mauerschütze" . Foto: NDR 

Welche Lektüre gab es denn da, die Sie interessiert hat?

Fürmann: Alles Mögliche, die Kinderbücher um Alfons Zitterbacke genauso wie das Manifest der Kommunistischen Partei. Ich kann mich noch erinnern, dass die Bücher immer auf rauerem Papier gedruckt waren als ich das kannte. Überhauptkam mir der Ostteil der Stadt wahnsinnig exotisch und weit entfernt vor, obwohl ich ja nur 400 Meter Luftlinie von daheim weg war. Es hat anders gerochen, es hatte irgendwie etwas Graues und Verstaubtes, das Klopapier war härter und das Knäckebrot hat anders geschmeckt. Ich war immer wieder froh, wenn wir in den Westen zurück sind. 

Und wie stand die Tante aus der DDR zum real existierenden Sozialismus?

Fürmann: Meine Tante hat die Fackel des Sozialismus hochgehalten, auf der anderen Seite aber auch Missstände in der DDR kritisiert. Bei uns zuhause war die Einstellung zum Osten insgesamt eine kritische, aber keine vernichtende. Wir haben in meiner Familie sehr offen politisch diskutiert.

Also hatten Sie keine Berührungsängste, einen einstigen DDR-Grenzsoldaten zu spielen?

Fürmann:  Nein, weil das ja auch eine sehr ambivalente Figur ist. Ein Mensch mit humanistischer Grundausrichtung, der in der DDR Mediziner werden will, um Menschen zu heilen. Um einen Studienplatz zu erhalten, meldet er sich als Grenzsoldat und erschießt einen Flüchtling, nimmt ein Menschenleben. Das ist wirklich tragisch.

Der Film weckt durchaus Verständnis für die moralische Zwickmühle, in der dieser Mann steckt.

Fürmann: Natürlich ist es schrecklich, dass damals auf Menschen geschossen wurde, die in den Westen wollten. Aber natürlich ist es auch sehr leicht, dieses Land aus heutiger, aus westlicher Sicht zu verurteilen. Aus Sicht der DDR war das Ganze jedoch in sich logisch, denn wer floh, trug dazu bei, dass das System ausblutete und damit die bessere Welt, die gebaut werden sollte, sabotierte. Mit diesem ideologischen Ansatz sind die Leute schon als Schüler geimpft worden. Als jemand, der im Westen aufgewachsen ist und jemandem aus dem Osten spielt, musste ich das bei meiner Rolle natürlich berücksichtigen. 

Wie konnten Sie sich auf die Rolle als Todesschütze vorbereiten?

Fürmann: Ich habe mich unter anderem mit dem Standardwerk „Keiner kommt durch“ über Fakten wie die Häufigkeit der Patrouillen und so weiter informiert. Es gibt ja viele Dokumente über die innerdeutsche Grenze und über die juristische Aufarbeitung der Verbrechen, das kann man alles nachlesen. Zum Beispiel, dass ein Großteil der Menschen, die für die Todesschüsse an der Mauer die politische Verantwortung tragen, sehr milde davonkamen.

Ein Grenzposten an der Mauer zur DDR. Foto: epd/Norbert Michalke

Haben Sie den Film gedreht, damit dieser Aspekt der deutsch-deutschen Teilung nicht vergessen wird?

Fürmann: Nicht primär. Neben dem Politischen war für mich die Frage interessant: Wie gehen wir mit Schuld um? Ich denke, dass viele frühere Grenzsoldaten sich dahinter verstecken, dass sie ja nur Befehle befolgt haben. Dagegen wird der Mauerschütze, den ich spiele, ja von seiner Schuld eingeholt – mit weitreichenden Folgen. Generell wundert es mich aber schon, warum es viel weniger Filme über die deutsch-deutsche Vergangenheit gibt, als es dem Thema angemessen wäre.

Zum 50. Jahrestag des Mauerbaus erinnern die Medien aber recht ausgiebig an die Geschichte der deutschen Teilung.

Fürmann:Dazu würde ich gerne etwas sagen: Wir gedenken des Mauerbaus und reden von Menschen, die mit Träumen von einer besseren Welt aus der DDR mit ihren Repressalien geflüchtet sind. Das wäre doch ein guter Anlass, mal darüber nachzudenken, wie wir in der Europäischen Union mit unseren Grenzen und beispielsweise mit afrikanischen Flüchtlingen umgehen. Ich finde, dass wir zu viel über unseren Schutz vor diesen Leuten diskutieren und zu wenig über den Schutz für diese Menschen.


Benno Führmann ist Schauspieler, wohnt in Berlin (wo er auch herkommt) und ist am 29. Juli als "Mauerschütze" auf Arte zu sehen.