Pakistan kämpft mit dem Schuldenberg nach der Flut

Pakistan kämpft mit dem Schuldenberg nach der Flut
Vor einem Jahr begann die Jahrhundertflut in Pakistan, am schwersten getroffen wurden die Armen. Noch heute leiden Millionen Menschen unter den Folgen. Die Furcht vor erneuten Überschwemmungen geht um. Helfer kritisieren den Katastrophenschutz als ineffizient.
27.07.2011
Von Agnes Tandler

Jeder im Camp hat eine traurige Geschichte zu erzählen. Haji Lashari ist einer von ihnen. Auch ein Jahr nach der großen Flut in Pakistan will er nicht zurück in sein Dorf. Er gehört zu einer Gruppe von Männern, die mit ihren Familien immer noch in einem Flüchtlingslager in Razzaqabad im Norden der Hafenstadt Karatschi leben. Die Flut vor einem Jahr hat Häuser, Vieh, Vorräte, Ernte und alles andere Hab und Gut davongeschwemmt.

"Es war Gottes Wille"

"Aber wir sind glücklich, dass wir keinen aus unserer Familie verloren haben", sagt Lashari im pakistanischen Fernsehen. Ungewöhnlich heftige Monsun-Regenfälle lösten im Juli 2010 die schwersten Überschwemmungen in Pakistan seit gut einem Jahrhundert aus. Mindestens 2.000 Menschen starben, insgesamt waren mehr als 20 Millionen von den Fluten betroffen. Ein Fünftel des Landes stand unter Wasser.

Wochenlang kämpften Helfer gegen die Wassermassen. Millionen Menschen mussten ihre Dörfer und Städte verlassen. Monatelang lebten die Flüchtlinge in Lagern. Inzwischen sind die meisten Menschen zurückgekehrt. Doch nicht alle, wie das Camp in Karatschi zeigt.

"Es war Gottes Wille", sagt Lashari. Er und die anderen Männer im Camp sind Bauern, die kein eigenes Land besitzen. Sie haben auf den Feldern reicher Landbesitzer in der Umgebung von Karatschi gearbeitet.

"Wir können die Kredite nicht zurückzahlen"

Doch die große Flut im vergangenen Jahr hat die Ernte davongespült. Und das wurde den landlosen Bauern zum Verhängnis. Es ist in der Gegend üblich, dass die Landbesitzer den Bauern Geld für Saatgut und den täglichen Unterhalt leihen. Als die Bewohner des Camps mit ihren Familien nach der Flut in ihre Dörfer zurückkehrten, verlangten die Gutsherren die Rückzahlung der Kredite.

Zwar hatten Zentral- und Provinzregierung erklärt, die Schulden der armen Bauern würden gestrichen, doch die Bewohner im Lager sagen, dass nichts dergleichen geschehen sei. "Der Hauptgrund, warum wir noch im Camp sind, ist, dass wir die Kredite nicht zurückzahlen können, um ein neues Leben zu beginnen", sagt Lashari.

Auch das Internationale Komitee vom Roten Kreuz weiß, dass immer noch viele Menschen unter der Jahrhundertflut leiden. Besonders im Nordwesten Pakistans, wo die pakistanische Armee gegen die Taliban kämpft, sei es schwierig, die Menschen zu erreichen, sagt Rote-Kreuz-Sprecher Christian Cardon.

Witwen und Alleinstehende gehen oft leer aus

In den meisten betroffenen Regionen hat zwar der Wiederaufbau begonnen, doch in vielen Gegenden fehlt es weiterhin an grundlegender Infrastruktur. Beschwerden gibt es auch wegen der Watan-Karte, einem Ausweis für die Flüchtlinge, mit dem sie eine Entschädigungszahlung der Regierung erhalten sollten. Viele Menschen sind offenbar leer ausgegangen.

Witwen oder Alleinstehende etwa hatten es schwer, überhaupt einen entsprechenden Antrag zu stellen, weil nur das Oberhaupt einer Familie die Kompensationsgelder beantragen konnte. Manche Karten erwiesen sich als ungültig. Einige Menschen klagten, man habe ihnen keine ausgestellt, weil sie die erforderlichen Unterlagen, wie eine Geburtsurkunde oder einen Personalausweis, nicht erbringen konnten.

"Die Flut 2010 hat einen schwerwiegenden Effekt auf das Leben der Menschen, ihre Unterkunft und ihren Besitz gehabt", heißt es in einem Bericht der pakistanischen Regierung. Die Flut habe etwa zwei Prozentpunkte des jährlichen Wachstums der pakistanischen Wirtschaft zunichtegemacht und Schaden von zehn Milliarden US-Dollar an der Infrastruktur angerichtet. Auch die Vereinten Nationen erklären, dass immer noch "massive Anstrengungen" nötig seien, auch um sich gegen künftige solche Fluten besser zu schützen.

epd