Vor exakt 20 Jahren entschied sich der Bundestag für Berlin als Hauptstadt - ein willkommener Anlass für die Initiatoren des Medienforums NRW, eine Diskussion über Veränderungen in der politischen Kommunikation im Vergleich mit der Bonner Republik in das Konferenzprogramm einzurücken. Die Brisanz des Themas ist ja alles andere als akademisch.
Das gestörte Verhältnis von Politik und Medien
Hauptstadtjournalisten und Wissenschaftler beobachten in der "Berliner Republik" anders als zu Zeiten der Bonner einen wachsenden Medialisierungsdruck auf die Politik. Eine Flut an traditionellen und neuen Medien verlangt und provoziert in immer rascherem Tempo Futter für Meldungen, Nachrichtensendungen, Newsticker. Politik verkümmert zu einem kurzatmigen Tagesgeschäft. Öffentlich wahrnehmbar wird vor allem, was sich auf Schlagworte reduzieren oder in "Einsdreißig" etwa in der "Tagesschau" - komprimieren lässt. Ihr Wesen, Prozess zu sein und "dicke Bretter zu bohren" (Max Weber), tritt in den Hintergrund. Politiker fahren im medialen Fahrstuhl nach oben, deren Darstellungskompetenz und Inszenierungsbereitschaft die Erwartungen insbesondere der TV-Medien bedienen.
Gleichzeitig wird ein zunehmender Instrumentalisierungsdruck der Politik auf die Medien registriert. Der Politikwissenschaftler Ulrich Sarcinelli sagt, Politik und Medien "beeinflussen sich in einer Weise, bei der nicht immer klar unterschieden werden kann, wer 'Antreiber' und wer 'Getriebener' ist". Beim Medienforum in Köln war aus erster Hand zu erfahren, wie sehr dieses Szenario bereits die politische Kommunikation beherrscht und welche Risiken es für Demokratie und Partizipation bereithält. Im Spaatenhaus mit Akteuren der Szene kam erfreulich ungeschminkt das "gestörte Verhältnis von Politik und Medien" zur Sprache.
Politik beweist zu wenig Souveranität
Auf diese Formel brachte Thomas Steg, Geschäftsführer STEG Kommunikation und Beratung, seine Einschätzung der heutigen Mediendemokratie. Steg, von 2002 bis 2009 stellvertretender Sprecher der Bundesregierung unter Gerhard Schröder und Angela Merkel, beschrieb eine Schieflage zum Nachteil der politischen Instanzen. Die Medien hätten in den vergangenen eineinhalb Jahrzehnten an Einfluss und Macht gewonnen. Die Politik sei zu wenig selbstbewusst. Ihr gelinge es nicht, "einen eigenen Rhythmus zu finden". Steg ging zur Untermauerung auf die in den Medien thematisierte aktuelle "Eurokrise" ein, die in Wirklichkeit eine "Schuldenkrise" sei.
Nach Ansicht des Ex-Regierungssprechers ist die Politik durchaus im Begriff, einen eigenen europäischen Weg zu ihrer Lösung zu finden. In der Öffentlichen Wahrnehmung jedoch erscheine die Politik in der Defensive. Sie verzettele sich gleichsam von Interview zu Interview. Auch bei Rot-Grün habe die Politik im Umgang mit den Medien an Souveränität verloren. Steg erinnerte an die Einführung der Ökosteuer. Danach sei über der Regierung eine medial vermittelte "Wutwelle" der Bürger hereingebrochen. Durch Drehung an verschiedenen Stellschrauben "etwa Pendlerpauschale" habe die Politik darauf reagiert. "Dabei wäre die Wutwelle auch so nach zwei Monaten verebbt", resümierte Steg.
Der Wettbewerb steht über allem
Eva Christiansen, Referatsleiterin im Bundeskanzleramt und enge Medienberaterin Merkels, sah die Politik in einer Art digitalem Mediendilemma. Die Öffentlichen Erregungszyklen wie die Abfolge der Themen würden immer kürzer. "Was mir Kopfschmerzen bereitet ist die Beschleunigung, die das politische Tagesgeschäft durch die Online-Medien erfahren hat." Sie beobachte auf beiden Seiten Getriebene. Die Medien agierten unter dem Zwang des Wettbewerbs, jeden Tag, jede Stunde eine neue Schlagzeile produzieren zu müssen. Politik gerate in die Situation, hinter den Ereignissen herlaufen zu müssen.
Im Endeffekt wachse das Miss- und Unverstandene mit eminenten Konsequenzen für die Demokratie. "Die normalen Verbraucher", betonte Christiansen, "wenden sich von der Politik ab, schalten Medien ab. Da sind wir mit schuld." Die Merkel-Beraterin wies zwei Auswege aus dem Malheur auf. So sollten zum einen Medien die Politik erklären, "nicht sie selber bewegen wollen". Die Politiker sollten sich angesichts wachsender Komplexitäten andererseits auf eine "längere Linie" einstellen. "Wir sollten die Ruhe auch dann bewahren, wenn wir nicht optimal gestartet sind".
Medien nehmen weiter ihre Aufgaben wahr
In Bettina Schausten, Leiterin der ZDF-Hauptredaktion Innenpolitik, fand Christiansen bei der Kölner Debatte einen konstruktiven Widerpart. Die neuen digitalen Player, bestätigte die Leiterin des ZDF-Hauptstadtstudios, veränderten zwar die politische Berichterstattung. Dies mindere jedoch keineswegs die primäre Aufgabe der Medien, "Politik zu erklären und Zusammenhänge transparent zu machen". Schaustens Paradebeispiel: die Energiewende in der Folge von Fukushima, die sich in mehr als einem halben Dutzend Gesetzen und entsprechenden komplizierten Meinungsbildungsprozessen manifestiere. Die Journalisten, hob sie hervor, hätten sich bei der Vermittlung der schwierigen Materie ausschließlich auf die Sache zu konzentrieren. "Wir haben da ein reines Erkenntnisinteresse", verdeutlichte sie ihre Position.
Bonn wurde jahrelang mit dem Bild von der "Glasglocke" überzogen, unter der sich die Politik angeblich abspiele. In den Augen von Thomas Ellerbeck, Direktor der Vodafone-Konzernkommunikation, läuft Berlin womöglich eine ähnliche Gefahr, wenn auch unter weitaus höheren medialen Betriebstemperaturen. Die Hauptstadt sei für die meisten Menschen im Land weit weg, sagte Ellerbeck, der in den 90er Jahren in verschiedenen Funktionen Bundespräsident Roman Herzog diente. "Wenn ich den Menschen am Bodensee zuhöre, dann kommt in deren Unterhaltungen Politik zwischen dem Einkaufszettel und dem Neuesten aus der Nachbarschaft vor."
Gibt es im digitalen Dilemma, in dem sich die Politik verfangen hat, Rezepte gegen die Spirale des Treibens und Getriebenwerdens? In Köln gab es keine Antworten, die auf eine Kurskorrektur hindeuten könnten. Man wird bescheidener, nicht zuletzt in der Politik. Sie freue sich jedes Mal, zeigte Christiansen einen Weg auf, "wenn eine Redaktion bei einem komplexen Thema die Argumente pro und contra gegeneinander stellt." 20 Jahre nach dem Berlin-Beschluss im Bonner Wasserwerk eine fast schon tröstliche Einsicht.
Ralf Siepmann ist Medienjournalist und freier Autor in Bonn.