Nach den Attacken auf Polizeibeamte während der Besetzung einer Stuttgart-21-Baustelle hat sich die Lage in der Landeshauptstadt Baden-Württembergs am frühen Dienstagmorgen entspannt. Rund 400 Demonstranten hätten noch bis in die Nacht hinein auf dem Platz vor dem Gebäude des Grundwassermanagements ausgeharrt, teilte die Polizei in Stuttgart am Dienstagmorgen mit. Zu weiteren Zwischenfällen kam es nach Angaben der Polizei nicht. Gegen ein Uhr habe sich die Menge zerstreut.
Bei dem Vorfall am Abend sei nach ersten Einschätzungen ein "beträchtlicher Sachschaden" entstanden, dessen Höhe allerdings noch nicht beziffert werden konnte. "Das war mit Sicherheit nicht mehr friedlich, was sich einige Leute dort geleistet haben", sagte ein Sprecher.
Der als eingefleischter Stuttgart-21-Gegner bekannte Landesverkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) hat in der Nacht zum Dienstag die Demonstranten aufgerufen, zu gewaltfreien und zivilen Formen des Protestes zurückzukehren. "Gewalttätige Angriffe einzelner Demonstranten auf Polizeibeamte gehören nicht dazu", sagte er der Nachrichtenagentur dpa. Damit verspiele man die Sympathien bei den Menschen, die aus guten Gründen das Milliarden-Bahnprojekt ablehnen. "Gewalt schadet nicht Stuttgart 21, sondern dem Protest dagegen", fügte er hinzu.
Parkschützer werfen der Polizei ungerechtfertigte Dramatisierung vor
Mehrere hundert Stuttgart-21-Gegner hatten nach der traditionellen "Montagsdemonstration" gegen das Bahnprojekt die Baustelle für das Grundwassermanagement gestürmt und dabei neun Polizisten verletzt. Einer davon wurde schwer verletzt, als er einen Demonstranten kontrollieren wollte, der zuvor eine Sachbeschädigung begangen hatte. Der Zivilbeamte wurde mit Kopf- und Gesichtsverletzungen ins Krankenhaus gebracht.
Acht weitere Polizisten erlitten ein Knalltrauma, nachdem selbst gefertigte "TNT-Böller" nahe der Polizeikette gezündet worden waren. Auch sie mussten in der Klinik behandelt werden. Einige Aktivisten besetzten die Wassertanks und das Dach einer Fabrikhalle für das Grundwassermanagement für den geplanten Tiefbahnhof. Sie verließen nach drei Stunden ihre Positionen und wurden von den Beamten mit weiteren Demonstranten in Gewahrsam genommen. Eine genaue Zahl konnte die Polizei in der Nacht zum Montag nicht nennen.
Die Projektgegner stellten den Ablauf der Ereignisse völlig anders dar. "Die Polizei fantasiert, dramatisiert und kriminalisiert, um einen Keil in den Widerstand zu treiben", sagte der Sprecher der Aktivistengruppe "Parkschützer", Matthias von Herrmann, der Nachrichtenagentur dpa. Der Zivilbeamte sei von Demonstranten aus der Menge geführt worden, und zwar unverletzt. Von einer feindseligen Stimmung gegen die Beamten könne keine Rede sein.
Ein "Stück der Stadt wieder in Besitz" genommen
Sie haben laut den Beamten mit Anzeigen wegen Land- und Hausfriedensbruch zu rechnen. Hinsichtlich der Attacken auf die Beamten ermittelt die Polizei gegen Unbekannt, erhofft sich aber Aufschlüsse von den zahlreichen Fotos, die während der Besetzung gemacht wurden. Die Polizei sprach von einer schweren Aggression, feindseliger Stimmung und großer Emotionalität des Protestes.
Dagegen teilten die "Parkschützer", eine Gruppe von Aktivisten, mit, in "gelöster Feierabendstimmung" hätten rund 1.000 Protestierende ein "Stück ihrer Stadt wieder in Besitz" genommen. Die "Parkschützer" verlangen von der Bahn einen Baustopp. Die Bahn habe gar kein Baurecht, weil sie falsche Angaben zur Grundwasserentnahme gemacht habe. Die Bahn hatte durch Bohrungen festgestellt, dass sie die ursprünglich geplante Grundwasserentnahmemenge verdoppeln muss, und einen entsprechenden Antrag bei der Genehmigungsbehörde, dem Eisenbahnbundesamt, gestellt.
Aufseiten der Demonstranten gab es am späten Abend keine Verletzten. Nach Polizeiangaben hatten vorher 3.000 Menschen gegen das 4,1 Milliarden Euro teure Bahnvorhaben friedlich demonstriert. Zuletzt waren Ende September 2010 mehr als 100 Demonstranten und auch etliche Polizisten vor den Baumfällarbeiten für Stuttgart 21 im Stuttgarter Schlossgarten verletzt worden.