Auf der Farm Wimpole Estate in Cambridgeshire entscheiden seit kurzem bis zu 10.000 Laien per Online-Abstimmung, welches Getreide angebaut oder welche Schafe gekauft werden sollen – inspiriert von dem erfolgreichen Facebook-Spiel "FarmVille". Die britische Naturschutz-Organisation National Trust will mit dem Experiment das Bewusstsein der Verbraucher für die Herkunft der Nahrung stärken.
Das Landleben ist beliebt
Seit einigen Jahren nehmen Millionen Menschen weltweit an Online-Spielen teil, in denen sie sich als Landwirte betätigen können, neben "FarmVille" auch an Konkurrenzangeboten wie "Farmerama". Auch eines der in Deutschland erfolgreichsten Kaufspiele feiert das Leben als Landwirt: Der "Landwirtschafts-Simulator" hat sich in Deutschland bereits 800.000 Mal verkauft. Ähnlich wie auf dem Zeitschriftenmarkt, wo Hefte wie "Landlust" und "LandIdee" seit Jahren massiv an Auflagen gewinnen, scheint auch auf dem Spielemarkt die Abbildung des überschaubaren Landlebens weit verbreitete Bedürfnisse zu befriedigen.
Allein "FarmVille" hat derzeit knapp 44 Millionen Spieler bei Facebook. Im Juni 2009 gestartet, hat sich das einfach gestaltete Online-Spiel schlagartig verbreitet. Der Anbieter Zynga ist damit so erfolgreich, dass US-Medien Ende Mai über einen bevorstehenden Börsengang spekulierten. Den Wert des Unternehmens schätzte die Internet-Anleger-Plattform SharesPost bereits auf 8,2 Millionen US-Dollar. Laut "All Things Digital", einer mit dem "Wall Street Journal" assoziierten Webseite, soll es 2010 rund 850 Millionen Dollar Umsatz und 400 Millionen Dollar Gewinn erzielt haben.
PC-Spiele bieten 3D-Grafik und detailgetreue Maschinen
"FarmVille" gehört zu den sogenannten Sozialen Spielen, bei denen man zusammen mit seinen Online-Kontakten bestimmte Aufgaben lösen muss – in diesem Fall eben, ertragreiche Bauernhöfe aufzubauen. Will man dabei schneller vorankommen, kann man gegen echtes Geld beim Betreiberunternehmen virtuelles Spielgeld dazukaufen.
Ein anderes beliebtes PC-Spielegenre, das sich den Freuden des Landlebens widmet, sind Simulatoren - wie eben der pragmatisch benannte "Landwirtschafts-Simulator". Von der im Oktober vergangenen Jahres
veröffentlichten neuesten Version hat das Mönchengladbacher Softwarehaus Astragon bereits 300.000 Exemplare verkauft. 2010 war der "Landwirtschafts-Simulatur" laut Media Control das meistverkaufte PC-Spiel in der Preiskategorie bis 28 Euro. Anders als "FarmVille" und Konkurrenten wartet es mit aufwendiger 3D-Grafik und detailgetreuen Maschinen auf. Diese wurden sogar von den Produzenten der Original-Traktoren, -Pflüge und -Mähdrescher lizenziert.
Kritiker sehen in den Landwirt-Spielen auch Gefahren
Auf Facebook allerdings sind mittlerweile viele Nutzer genervt von den Millionen virtuellen Landwirten. Besonders, wenn Facebook sie automatisch über jeden Kauf einer neuen Kuh ihrer "FarmVille"-begeisterten Online-Freunde informiert.
Ernsthaftere Kritik schlägt Online-Spielen wie "FarmVille" schon seit längerem aus der Entwickler-Szene entgegen. Sie übten durch ihre Konzeption auf die Spieler Zwang aus, ständig online zu sein und dadurch ihren Alltag zu vernachlässigen, meint etwa der US-amerikanische Spielentwickler und -theoretiker Ian Bogost. "Es besteht zu bestimmten Zeiten Handlungsbedarf, da ansonsten die Ernte verdirbt oder die betreuten Tiere sterben", ergänzt Stefan Derpmann, der als Soziologe an der Uni Duisburg-Essen zu digitalen Spielen
forscht.
Der einfache Aufbau ist das Besondere
Außerdem instrumentalisierten sie soziale Beziehungen, kritisiert Bogost: "Freunde sind hier keine echten Freunde, sondern bloße Ressourcen." Und das nicht nur für die Spieler, sondern auch für die Entwickler, die möglichst viele von deren Facebook-Kontakten ebenfalls ins Spiel ziehen wollten. Mit seinem eigenen Programm "Cow Click" parodiert Bogost das aus seiner Sicht absurde Spielprinzip: Darin kann man nicht viel mehr machen als eine Kuh anzuklicken, was dann jedes Mal allen Facebook-Kontakten mitgeteilt wird.
Stefan Derpmann sieht den Reiz simpler Spiele wie "FarmVille" gerade im Fehlen langfristiger, komplexer Spielhandlungen. Sie böten dem Spieler die Möglichkeit, eine unmittelbare Wirkung seiner Handlungen zu sehen. In der immer komplizierter werdenden realen Welt sei eine solche direkte, übersichtliche Kopplung selten geworden, argumentieren auch die Medienwissenschaftler Ralf Adelmann und Hartmut Winkler von der Uni Paderborn in einem Aufsatz.
Mais säen, Mais ernten, Kuh füttern, Kuh melken, das Spielerleben kann einfach sein. Auf der Farm Wimpole Estate in Cambridgeshire trafen virtuelles und reales Landleben kürzlich aufeinander: Für ein Werbevideo konfrontierten die Betreiber dort ein Plastikmodell einer "FarmVille"-Kuh mit dem echten Bauernhof-Alltag. Wie eine glückliche Kuh sah sie dabei nicht aus.