Organspende ist ein sensibles Thema. Kommt künftig jeder, der zu Lebzeiten nicht widersprochen hat, als Organspender infrage? Bei der Gesundheitsministerkonferenz in Frankfurt Ende des Monats soll dieser Vorschlag auf die Tagesordnung. Der Medizinische Vorstand der Deutschen Stiftung Organtransplantation, Günter Kirste, glaubt nicht daran, "dass sich die Politik an dieses heiße Thema heranwagt". "Aber es ist höchste Zeit, dass sich politisch etwas bewegt", sagte er der Deutschen Presse-Agentur kurz vor dem "Tag der Organspende" an diesem Samstag.
"Entscheidungs-", "Widerspruchs-" oder "Zustimmungslösung"
In einer Forsa-Umfrage im Auftrag einer Krankenkasse sprachen sich Ende Mai 41 Prozent der Deutschen für die sogenannte "Entscheidungslösung" aus: Jeder Bürger wird nach seiner Bereitschaft befragt, die Entscheidung für oder gegen die Spende wird in Dokumenten wie dem Führerschein vermerkt. 23 Prozent der Befragten waren für die "Widerspruchslösung": Jeder wird zum Spender, der zu Lebzeiten nicht eindeutig widersprochen hat. Ein Drittel bevorzugt die derzeit gültige "Zustimmungslösung": Nur Besitzer eines Organspendeausweises sind auch potenzielle Spender.
[listbox:title=Infobox[Tag der Organspende: In Deutschland haben 2010 rund 1.300 Menschen nach ihrem Tod Organe gespendet. 12.000 Schwerkranke warten auf eine lebensrettende Spende. Alle acht Stunden stirbt einer von ihnen, weil kein Organ rechtzeitig zur Verfügung steht, erklärt die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO). Deshalb wird am Tag der Organspende unter dem Motto "Richtig. Wichtig. Lebenswichtig." über die Problematik informiert. Transplantierte Patienten und Angehörige von Organspendern erzählen ihre Geschichte, um mehr Menschen für ein "Ja" auf dem Organspendeausweis zu gewinnen. Seit 1982 wird der Aktionstag jeweils am ersten Samstag im Juni organisiert.]]
Derzeit warten rund 12.000 schwer erkrankte Menschen in Deutschland auf ein Spenderorgan. Alle acht Stunden müssen drei Menschen sterben, weil sie kein Organ bekommen können. Obwohl Umfragen zufolge drei Viertel der Deutschen bereit wären, ein Organ zu spenden, hat nur ein Viertel einen Ausweis, der diesen Willen dokumentiert. In allen anderen Fällen müssen die Verwandten entscheiden - und die sagen im Moment der Todesnachricht häufig Nein.
Hilft eine gesetzliche Neuregelung?
Um die Zahl der Spender zu steigern, wird zurzeit über eine Gesetzesänderung diskutiert. Die Gesundheitsminister von Hessen und Bayern, Stefan Grüttner (CDU) und Markus Söder (CSU), sind für eine "erweiterte Widerspruchslösung": Alle Verstorbenen, die dem zuvor nicht widersprochen haben, können nach dem Hirntod zu Organspendern werden, aber die Angehörigen müssen vor der Entnahme gefragt werden. Unionsfraktionschef Volker Kauder hat sich für die Entscheidungslösung ausgesprochen. Kauder hält es für möglich, dass das Thema noch in diesem Jahr auch den Bundestag beschäftigt.
Die Koordinierungsstelle für Organspenden (DSO) in Frankfurt hält das alles für gar nicht so entscheidend: "Eine Widerspruchslösung ist kein Allheilmittel", sagte Kirste. Damit bekomme man nicht zwangsläufig mehr Spender. Auch eine Entscheidungslösung, "für die sich sicher in der Bevölkerung wie in der Politik eher Mehrheiten finden lassen", helfe nur bedingt. Der Schlüssel zu mehr Organspenden liege woanders - bei "strukturellen Problemen": Die Kliniken melden zu wenig infrage kommende Spender, die Ärzte stecken zu wenig Energie in die Gespräche mit den Angehörigen, die Länder schauen den Kliniken zu wenig auf die Finger.
Steinmeier: Neues Transplantationsgesetz noch 2011
Die zentrale Veranstaltung zum "Tag der Organspende" findet in diesem Jahr in Frankfurt statt. Unter den Gästen ist auch Steinmeier: "Viele Menschen leiden, manche sterben, weil es nicht genügend Spenderorgane gibt. Wir müssen etwas unternehmen, damit sich dies ändert", sagte er vor dem Festakt in der Paulskirche.
SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier ist zuversichtlich, dass der Bundestag noch in diesem Jahr ein neues Transplantationsgesetz verabschieden wird. Die Fraktionschefs aller im Bundestag vertretenen Parteien seien sich einig, mit einer Änderung des Gesetzes zu mehr Spenderorganen in Deutschland zu kommen, sagte Steinmeier dem Rundfunksender hr-info. Die Fraktionen wollten einen überparteilichen Entwurf vorlegen.
Konkrete Angaben zu einer Lösung machte Steinmeier nicht. Er sei für die sogenannte Entscheidungslösung. Dabei wird jeder Mensch mindestens einmal in seinem Leben danach gefragt, ob er Organspender sein will. Die Entscheidung könnte dann in einem Dokument wie dem Personalausweis, dem Führerschein oder der Versichertenkarte der Krankenkasse vermerkt werden.
Das "große Drama in Deutschland" sei, dass bei Umfragen 70 bis 80 Prozent aller Deutschen sagten, dass sie zur Organspende bereit seien. Tatsächlich aber hätten nur rund 15 Prozent einen Organspenderausweis. Steinmeier hatte im vergangenen Jahr seiner Frau eine Niere gespendet.