Cannes 2011: Große Ambitionen und versöhnliches Ende

Cannes 2011: Große Ambitionen und versöhnliches Ende
Es ist die Krönung einer Karriere, wie sie es wohl kein zweites Mal in der Filmwelt gibt. Mit gerade mal fünf Spielfilmen in 40 Jahren hat sich der amerikanische Regisseur Terrence Malick auf den großen Festivals stets sehr rar gemacht. Nun siegte er mit "Tree of Life" im Wettbewerb des 64. Filmfestivals von Cannes. Mit der Verleihung der Goldenen Palme gingen die Festpiele am Sonntagabend zu Ende.
23.05.2011
Von Barbara Schweizerhof

Malicks Erstling "Badlands" war 1974 in San Sebastian mit der Goldenen Muschel ausgezeichnet worden. 1978 war er mit "In der Glut des Südens" in Cannes vertreten und erhielt den Preis für die Beste Regie. Gut 20 Jahre später, 1999, gewann er für "The Thin Red Line" auf der Berlinale den Goldenen Bären.

Als bekannt wurde, dass sein neuester Film "The Tree of Life" dieses Jahr in Cannes gezeigt würde, sprach man ihm sofort den Status des Favoriten zu. Obwohl der Film während des Festivals mit einigen Buhrufen und eher gemischten Kritiken begrüßt wurde, ehrte ihn die Jury unter dem Vorsitz von Hollywoodstar Robert De Niro mit der höchsten Auszeichnung.

Der 67-jährige Malick, dem man große Schüchternheit und gar eine pathologische Öffentlichkeitsscheu nachsagt, ließ sich auch bei der Zeremonie der Preisvergabe nicht blicken. An seiner Stelle nahm Produzent Bill Pohlad den Preis entgegen, der jedoch versicherte, dass Malick sich über die Ehre ganz außerordentlich freue.

Unerwartete Palme für Kirsten Dunst

Bei so wenigen Filmen in so vielen Jahren nimmt es kein Wunder, dass Malick in "Tree of Life" gewissermaßen ein ganzes Leben und mehr noch hineinpacken wollte. Der Film ist ein Werk von großer Ambition, das die Geschichte einer Kindheit in den 50er Jahren mit spektakulären Bildern vom Werden und Vergehen auf der Erde und im All verbindet. Mehr philosophische Spekulation als packende Erzählung, beeindruckt der Film durch den Mut, die ganz großen Fragen des Lebens anzuschneiden. Dieser offensichtliche Ehrgeiz war es denn auch, der die Jury überzeugt hat, so deutete es De Niro an.

Große Ambitionen zeichneten auch den Film des dänischen Regisseurs Lars von Trier, "Melancholia" aus, der schließlich von nichts geringerem als dem Weltuntergang handelte. Nur dass von Trier seinen Film dann durch eigenes Verschulden fast um jede Chance brachte. Er sorgte mit Äußerungen zu Hitler in Cannes für einen Skandal. Das Festival sah sich veranlasst, ihn zur "persona non grata" zu erklären. "Melancholia" aber verblieb als Beitrag im Wettbewerb.

Mit dem Preis für die beste Schauspielerin an Kirsten Dunst in "Melancholia" setzte die Jury dann aber einen für das Publikum zunächst überraschenden, aber auch sehr gelungenen Schlusspunkt unter die Affäre: Dunst spielt in eindringlicher Weise eine manisch-depressive junge Braut, die angesichts der drohenden Apokalypse aber große Nervenstärke beweist - eine verdiente Auszeichnung für die Amerikanerin.

Die Jury bewies Balance zwischen Alt und Neu

Ihren Sinn für Ausgewogenheit, diesmal zwischen "alten Hasen" und Newcomern, zwischen Arthouse- und Genrekino, bewies die Jury auch beim Rest der Preisvergabe. Mit dem zu gleichen Teilen verliehenen Grand Prix, der Silbermedaille des Festivals, an Nuri Bilge Ceylans "Once Upon A Time in Anatolia" und "Le gamin au vélo" von Jean-Pierre und Luc Dardenne wurden zwei verschiedene, gleichermaßen großartige Spielarten des europäischen Autorenkinos ausgezeichnet.

Ceylans kriminalistisches Männerdrama erobert die Zuschauer mit seinem leisen Witz und der großen Ruhe seiner Bilder. Die Dardenne-Brüder erzählen in ihrer ganz eigenen Handschrift, die stets große Nähe zu ihren Figuren hält, die ergreifende Geschichte eines Heimkindes auf der Suche nach einem neuen Zuhause. Ihrem kindlichen Hauptdarsteller Thomas Doret wurde auf der Zeremonie eine kleine stehende Ovation zuteil.

Eine wieder andere Art der Intimität mit den Figuren schafft mit den Mitteln des Dokudramas die Regisseurin Maiwenn Le Besco in ihrem Film "Polisse", der von einer auf sexuellen Missbrauch spezialisierte Polizeieinheit erzählt. Die Französin erhielt für ihr Werk, das beim Publikum sehr gut ankam, den Jury-Preis. Als ungewohntes Zugeständnis ans populäre Kino lässt sich der Regiepreis an den Dänen Nicolas Winding Refn deuten. Sein "Drive" ist ein blutiges, geradliniges Actiondrama, wie man es nur selten auf einem "Kunstfestival" wie in Cannes sieht. Gleichzeitig sind auch bei Refn die Verweise aufs europäische Autorenkino ganz unverkennbar.

Kaurismäki und Almodovar gehen leer aus

Es gab zwei große Verlierer des Abends: Zum einen Aki Kaurismäki, dessen skurriles Sozialmärchen "Le Havre" von den Kritikern sehr geliebt wurde und als heißer Favorit auf die Goldene Palme gegolten hatte. Zum anderen Pedro Almodóvar, der bislang noch mit keinem seiner Filme einen der drei Hauptpreise hat gewinnen können. Viele hatten deshalb geglaubt, dass seine Stunde mit dem Thriller "The Skin I Live In" endlich gekommen wäre.

Das deutsche Kino, im Wettbewerb nicht vertreten, konnte diesmal einen schönen Triumph in der Nebensektion "Un certain regard" verzeichnen. Andreas Dresen trug mit "Halt auf freier Strecke", einem ergreifenden und überaus realistischen Film über das Sterben eines krebskranken Familienvaters, den Hauptreis davon - den er sich allerdings mit dem Koreaner Kim Ki-duk und dessen experimentellen Selbstporträt "Arirang" teilen muss, was die Freude aber kaum trüben dürfte.

epd