Für die zwölfjährige Chanda ist die Kindheit vorbei. Zuerst soll sie für ihre verstorbene Schwester Sara einen Sarg aussuchen. Dann macht sie sich auf, den Stiefvater zu finden, der dabei ist, das Geld für die Beerdigung in einer Kneipe auf den Kopf zu hauen. Das entschlossene Mädchen nimmt es ihm ab. Auch in Zukunft wird sie sich um alles Weitere kümmern, darunter die beiden jüngeren Geschwister.
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Rund 800.000 Aids-Waisen soll es in Südafrika geben – Kinder und Jugendliche, die ohne familiäre und soziale Unterstützung auf sich allein gestellt sind. Für seinen aktuellen Film "Geliebtes Leben" adaptiert Regisseur Oliver Schmitz das 2004 veröffentlichte Jugendbuch des kanadischen Schriftstellers Allan Stratton "Worüber keiner spricht". Stratton wollte mit seinem Roman "der Pandemie ein Gesicht" geben.
Schmitz reiste dafür mit seinem Team nach Elansdoorn im Nordosten von Johannesburg – an einen realen Drehort. In der Literaturvorlage ist Chandas Geschichte hingegen in einem fiktiven Staat im südlichen Afrika verankert. Schmitz und die Produzenten des deutsch-südafrikanischen Films legen Wert auf Authentizität, wollen Stereotype über Afrika vermeiden und doch auch ein internationales Publikum unterhalten.
"Alles ist gut" als Mantra der Verzweifelten
Denn Chandas Schicksal wird zusätzlich durch das allumfassende Schweigegebot erschwert: Über Aids wird nicht geredet, niemand nimmt das Wort auch nur in den Mund. Die kleine Sara sei an Grippe gestorben. Der Sohn der Nachbarin soll bei einem Überfall ums Leben gekommen sein. "Alles ist gut" – der Satz fällt ständig, ein Mantra der Verzweifelten. Die Nachbarn verschließen mit aufgesetzter Fröhlichkeit die Augen vor der Realität.
Abweichungen von diesem Verhaltensmuster erregen Misstrauen. Chandas beste Freundin wird beispielsweise ausgegrenzt – denn sie muss sich für ihren Lebensunterhalt prostituieren, nachdem sie beide Eltern verloren hat. Als auch noch Chandas Mutter erkrankt, nimmt die Bürde der Verantwortung für die Zwölfjährige weiter zu. Doch Chanda kämpft. Sie entschließt sich Fragen zu stellen und das Schweigen zu brechen.
Diese Entwicklung wird behutsam in Szene gesetzt. Die Kamera bezieht Position, sie bewegt sich auf Augenhöhe mit den jungen Darstellern, die größtenteils zum ersten Mal vor der Kamera stehen. Spektakuläre Effekte sind nicht nötig – die Realität ist grausam genug.
Keine Erzählung jenseits der Opferrolle
Was als völlig unaufgeregter Erzählfluss beginnt, verdichtet sich nach und nach zur prägnanten Schilderung der unheimlich-klaustrophobischen Atmosphäre in der verschwiegenen Dorfgemeinschaft. Wie um Chandas Isolation visuell zu verstärken, treten Personen als schemenhafte Konturen im Gegenlicht in den Fokus, die kurz Anteil nehmen und wieder verschwinden. Dominant schieben sich dagegen Akteure in den Vordergrund, die versuchen, den Deckel auf der Wahrheit zu halten. Spirituelle Rituale und der Besuch bei einem Quacksalber, zu dem Chanda überredet wird, weisen keinen Ausweg.
Obwohl Schmitz mit seiner Geschichte ins Zentrum des Problems trifft und Stereotype vermeiden will, fühlt sich nicht jeder von dieser Perspektive repräsentiert: Nachdem Südafrikas Filmverband "Geliebtes Leben" für die Auswahl zum Oskar als "Bester fremdsprachiger Film" nominiert hatte, äußerte der Schriftsteller Don Mattera die Hoffnung, dass in Zukunft Filme berücksichtigt würden, die Südafrikas Geschichte jenseits von Krankheit und Opferrolle erzählten.
Deutschland/Südafrika 2010. R: Oliver Schmitz. B: Dennis Foon, Oliver Schmitz (nach dem Roman "Worüber keiner spricht" von Allan Stratton). Mit: Khomotso Manyaka, Keaobaka Makanyane, Lerato Mvelase, Harriet Manamela. L: 106 Min. FSK: ab 12, ff.