"Religiöse Bildung ist im Kern Herzensbildung. Und solche Bildung lebt von den Vorbildern", unterstrich Gundlach. "Evangelische Christen sind als Multiplikatoren in weltlichen Berufen erkennbar. Sie müssen in Politik und Kultur, Bildung und Wirtschaft, in Redaktionen und Wissenschaften deshalb von der evangelischen Kirche bewusst gefördert werden." Protestantische Eliten seien "ein Segen für die Kirche wie für die Gesellschaft", so der Theologe. Denn um ihres Glaubens und ihrer Überzeugung willen setzten diese sich zuerst für das Gemeinwohl ein, gibt sich das Thesenpapier überzeugt.
Allerdings soll sich die evangelische Elite weder nach Herkunft oder Besitz noch nach Bildungsstand definieren, sondern allein nach der individuellen Leistung. Grundsätzlich aber stehe jedem Menschen die gleiche Würde und der selbe Rang zu. Aber man wolle evangelische "Vorfeldarbeit" leisten, nämlich Eliteförderung im Kindergarten, in der Schüler-, Jugend-, oder Studierendenarbeit, in den Akademien, auf den Kirchentagen oder durch Hochbegabtenförderungen.
Huber: Mission in eigener Sache
Altbischof Wolfgang Huber spricht es ganz unverblümt aus. Es geht der evangelischen Kirche bei ihrer Werbung um und für neue Eliten vor allem um Mission in eigener Sache. "Selbstverständlich ist die missionarische Ausrichtung eine der wichtigsten Veränderungen der letzten 20 Jahre in unserer Kirche", so der ehemalige EKD-Ratschef. "Und selbstverständlich wäre es absolut paradox, wenn wir da die Meinungsführer im Lande aussparen würden."
So schön das Ideal von der selbstlosen nur auf das Wohl der Allgemeinheit ausgerichteten evangelischen Verantwortungselite auch klingen mag, so tun sich doch auch Widersprüche auf. Anders als etwa in den USA oder in Frankreich fehlt in Deutschland bislang die Tradition einer republikanisch-demokratisch verpflichteten Elite. Gerade die NS-Zeit war ein Beleg für das völlige Versagen der intellektuellen, wirtschaftlichen wie auch kirchlichen Elite der Weimarer Republik.
Historisch bedingte Skepsis
Seitdem sei die deutsche Gesellschaft und insbesondere eine aufgeklärte evangelische Kirche von einer gewissen Eliteskepsis geprägt. Doch davon gelte es sich mit Hilfe eines eigenen evangelischen Elitebegriffs zu emanzipieren, wie es in dem EKD-Text angeregt wird. Der Kasseler Soziologe Heinz Bude weist aber darauf hin, dass der heutige Elitebegriff in der Regel immer mit Macht, Reichtum oder Prominenz verbunden sei.
"Wir haben einen Prominenzbedarf bei der Darstellung von Macht, das ist ein wichtiger Punkt, weil es dadurch auch immer die Prominenzfalle gibt. Eliten, die sich der Öffentlichkeit stellen, kommen sofort in die Prominenzkategorie hinein. Die Bundeskanzlerin muss sich mit Lena zeigen, das ist die Frage von Performanz von Elite. Elite ist man noch nicht allein dadurch, dass man in einem Bereich Gutes oder Hervorragendes leistet", warnt Bude.
Elite will sich abheben von der Masse. Doch genau dieser heutige gesellschaftliche Elitebegriff stehe im Widerspruch zur christlichen Botschaft, meint der Marburger Theologe Gerhard Marcel Martin. Denn Jesus von Nazareth habe gerade nicht die Reichen, Schönen, Mächtigen oder Prominenten berufen. "Die Wahl Gottes - eligere heißt ja auswählen -, da ist das Kriterium gerade nicht Leistung, sondern im Zweifelsfall Liebe. Ich habe dich auserwählt, sagt Gott zum Volke Gottes, nicht weil du besonders toll bist oder leistungsfähig oder dich bewährt hast, sondern weil ich dich liebe. Und dadurch kommt eine ganz andere Dimension in die Debatte."
Mit ganz unterschiedlichen Bedürfnissen
Zwar kann sich Martin schon vorstellen, dass sich einzelne Leistungsträger der Gesellschaft durch eine intelligente evangelische Eliten- und Erwachsenenbildung ansprechen lassen. Aber eine reale Elite-Gesamtgruppe kann er sich nicht vorstellen. Denn die Klientel sei einfach zu verschieden. "Gibt es überhaupt so ein Kollektivsubjekt von evangelischer Verantwortungselite? Ich glaube das nicht", so der Marburger Theologe. "Politiker, Wissenschaftler, Gewerkschafter, Militär, Künstler, Justiz, Verwaltung, kulturell Tätige und öffentliche Intellektuelle, Erziehung, Medien, Kirche, Sport. Das sind doch alles Eliten, die verschiedene Bedürfnisse haben, die an ganz verschiedenen Stellen Verantwortung und Charisma haben."
An einem Punkt kann der Soziologe und Katholik Heinz Bude dann aber doch noch etwas am evangelischen Elitebegriff finden. Der Ort, an dem sich ein elitäres Mikroklima rund um Freiheit und Bildung entwickeln könne, sei vielleicht die christliche Gemeinde. "Das Modell der Gemeinde ist so wichtig, weil es eben nicht das Modell der Kirche ist. Die Idee der Gemeinde ist die Idee von produktiven Milieus des gesellschaftlichen Zusammenhalts wie des Wandels vor Gott.Was heißt es, etwas für sich zu tun und gleichzeitig etwas für andere tun zu können? Es ist ein Modell der Selbstsorge, die nicht egoistisch ist, sondern immer auch auf andere bezogen ist", ahnt Bude.
Thomas Klatt ist freier Autor in Berlin.
Das Papier "Evangelische Verantwortungseliten" (EKD-Texte Nr. 112) finden Sie hier im Volltext.