Die Liberalen und die babylonische Gefangenschaft

Die Liberalen und die babylonische Gefangenschaft
Seit mehr als einem halben Jahr diskutiert die FDP über ihren Vorsitzenden Guido Westerwelle, nun endlich hat er die Konsequenzen gezogen und seinen Rückzug angekündigt. Die Partei steht vor dem Scherbenhaufen ihrer Klientelpolitik. Aufgabe der neuen Führung wird eine grundlegende inhaltliche Erneuerung sein: Wie kommen wir raus aus der babylonischen Gefangenschaft der Wirtschaftsinteressen? Welcher Liberalismus ist für das 21. Jahrhundert der richtige? Und jemand muss Westerwelle sagen, dass er auch nicht mehr der richtige Außenminister ist.
05.04.2011
Von Bernd Buchner

Der politische Liberalismus ist zwar keine deutsche Erfindung, hat hier aber eine lange, ehrwürdige Tradition. Seine Rolle in der Nationalbewegung des 19. Jahrhunderts ist unbestritten. Im Parteienwesen jedoch spielten freiheitliche Gruppierungen nie eine große Rolle. Ob im Bismarckreich, in der Weimarer Demokratie oder in der Bundesrepublik: Die Liberalen kamen immer einen Schritt zu spät, um sich zu einer auch nur mittelgroßen Volkspartei zu entwickeln.

Daran hat sich bis heute nicht viel geändert. Die sensationellen 14,6 Prozent, die Guido Westerwelle (Foto: dpa) bei der letzten Bundestagswahl einfuhr, konnten darüber nicht hinwegtäuschen. Die FDP hatte noch nie ein Monopol auf freiheitliches Gedankengut, zudem streitet die Partei seit jeher darüber, was denn nun der richtige, der wahre Liberalismus ist: Wie tritt man in Zeiten des Terrors für Bürgerrechte ein? Wie lässt sich in Zeiten des globalisierten Kapitalismus die Freiheit des Marktes gestalten?

Was die Liberalen einzig einte, war ihre vergleichsweise staatskritische Haltung. Das machte sie paradoxerweise für die Kirchen zu einem relativ verlässlichen Gesprächspartner. Liberalismus und Säkularismus sind in gewisser Weise die zwei Seiten einer Medaille, und man muss den säkularen Gedanken nicht gleich als Teufelsfratze an die Wand malen, wenn man zu einer vernünftigen Balance von Staat, Gesellschaft und Kirchen kommen will. Die FDP jedenfalls gibt sich in dieser Frage zwar distanziert, aber durchaus pragmatisch.

Die Boygroup übernimmt die Macht

Pragmatisch wird die Partei auch ihre künftige Führung bestimmen. Viele Optionen hat sie nach dem Rückzug von Guido Westerwelle nicht. Philipp Rösler (Foto unten, links), Christian Lindner (rechts), Daniel Bahr. Der eine hat sich schon in der Gesundheitspolitik verkämpft, der zweite als oberster Atomwendehals Schlagzeilen gemacht, vom dritten weiß man noch weniger. Sie erinnern ein wenig an die Mainzer Boygroup, die mit ihrem musikalischen Torjubel an der Eckfahne die Bundesliga bereicherten. Doch Instrumente hatten sie nicht – und der Jubel ist längst vorbei. Von Frauen ist bei der FDP nicht ernsthaft die Rede: Sabine Leutheusser-Schnarrenberger? Gilt nicht einmal in der eigenen Partei als vermittelbar. Silvana Koch-Mehrin? Schweigen.

Bleiben die Jünglinge. Die wichtigste Aufgabe der neuen Führung dürfte zunächst sein, Westerwelle ganz aus dem Spiel zu nehmen. Der 49-Jährige, politisch früh gealtert, ist der bisher einzige bundesdeutsche Außenminister, der das Amt nicht dazu nutzte, das Ansehen des Landes zu mehren. Er hat ihm vielmehr geschadet. Als Parteichef gescheitert, im Außenamt die richtige Wahl? Undenkbar. Ohne den FDP-Vorsitz wäre Westerwelle zudem nie ins Auswärtige Amt gelangt. Er muss den Posten aufgeben. Die Liberalen täten gut daran, bei Kanzlerin Merkel für eine umfassende Kabinettsreform vorzusprechen.

Opposition, Ampelkoalition?

Und sie täte gut daran, sich aus der babylonischen Gefangenschaft des Wirtschaftsliberalismus zu lösen. Man stelle sich vor, nach der globalen Finanzkrise hätte sich ein Westerwelle hingestellt wie jetzt nach dem Atomdebakel und gesagt: Wir haben verstanden, wir geben den Kapitalismus auf. Ob der Partei in der jetzigen Konstellation eine Erneuerung gelingt, ist fraglich. Das Festhalten am Bündnis mit der Union als einziger Machtoption auf Bundesebene wird der FDP auf Dauer den Todesstoß versetzen. Bleibt der Gang in die Opposition – oder aber der Sprung ins Dunkle: in eine Ampelkoalition mit der ungeliebten SPD und dem grünen Erzfeind. 180-Grad-Wenden kennt die Partei ja nun.


Bernd Buchner ist Redakteur bei evangelisch.de und zuständig für das Ressort Kirche + Religion.