Entsetzen und Trauer bei Japanern in Deutschland

Entsetzen und Trauer bei Japanern in Deutschland
Erdbeben, Tsunami, Atomschock: Die in Deutschland lebenden Japaner sind fassungslos über das Geschehen in ihrem Heimatland. Zur Trauer um die Toten und Verletzten kommt die Unsicherheit. Viele wissen nicht, wie es ihren Verwandten und Freunden geht. Was die Menschen freut, ist jedes Zeichen der Anteilnahme. In den christlichen Sonntagsgottediensten wurde für die Opfer der Katastrophe gebetet: ein Zeichen der religiösen Solidarität mit den Japanern, die überwiegend Buddhisten sind.
13.03.2011
Von Andreas Rehnolt

Dem buddhistischen Priester ist tiefe Trauer ins Gesicht geschrieben. "Da, wo ich früher mit meiner Frau Muscheln gesucht habe, hat man nach dem Tsunami hunderte von Kinderleichen gefunden", berichtet Takao Aoyama, Hauptpriester der Düsseldorfer buddhistischen Gemeinde. Wegen der verheerenden Naturkatastrophen in Japan haben die Verantwortlichen des Shin-Tempels am Sonntag zu einer Gedenkveranstaltung für die Opfer eingeladen. In Düsseldorf leben mehr als 6.000 Japaner - es ist die größte japanische Gemeinde in Deutschland.

Der vor 18 Jahren eingeweihte Tempel ist voll besetzt: Rund 150 Menschen, Japaner und Deutsche, sind zum Gedenken zusammengekommen. Nach und nach treten die Besucher vor den Altar, auf dem eine rote Kerze brennt und verbeugen sich. Leise Glockenschläge unterteilen das Gebet, das von Priester und Gemeinde gemeinsam gesprochen wird. Auch der der japanische Generalkonsul Kiyoshi Koinuma ist gekommen. Zwei Tage nach dem Erdbeben und dem Tsunami stehe auch er unter großem Schock, sagt er.

Kein Wasser, kein Gas, kein Strom

Die Japaner in Deutschland erleben in all dem Leid aber auch eine überwältigende Anteilnahme, wie Aoyama schildert. So habe er in den vergangenen Tagen "unzählige Anfragen und Zeichen des Mitgefühls" erhalten. Er selbst hat bis vor neun Jahren an der Universität der vom Tsunami schwer zerstörten Stadt Sendai gelehrt. Immer noch habe er nicht mit seinen Freunden und damaligen Kollegen in der Heimat sprechen können, erzählt der 72-jährige Direktor des japanischen Kulturvereins besorgt. Nach wie vor sei die Stadt Sendai ohne Wasser, ohne Gas und ohne Strom.

In die Sorge um die bisherigen Opfer mischt sich immer stärker die Angst vor einer drohenden Atomkatastrophe. "Wir wissen immer noch nicht, wie viele Menschen ums Leben gekommen sind, wie viele möglicherweise noch verschüttet am Leben sind", sagte die 46-jährige Yumiko Nagato. "Und natürlich haben wir große Angst vor der drohenden Atomkatastrophe."

Eine 22 Jahre alte Studentin bangt um das Wohlergehen ihres Bruders, der in der Nähe der besonders hart betroffenen Hafenstadt Kesenuma arbeitet. "Bis jetzt habe ich noch kein Lebenszeichen von ihm, aber ich hoffe weiter auf das Beste", berichtet die junge Frau unter Tränen. Trotz der zahlreicher Fernsehkameras und Fotografen bleibt die Stimmung im kleinen Tempel getragen und feierlich. Als Aoyama die Gefahr durch die beiden beschädigten Kernkraftwerke in seiner Heimat anspricht, geht ein Stöhnen durch die Reihen der Andachts-Teilnehmer.

Die rotgeweinten Augen trocknen

"Es muss alles versucht werden, damit es jetzt nicht auch noch zu einer atomaren Katastrophe kommt", sagt ein älterer Japaner, dessen Frau sich die rotgeweinten Augen trocknet. Ihre Familie lebe zwar nicht im Katastrophengebiet, erzählt die Frau. "Aber ich weine um all die unschuldigen Menschen, die davon getroffen wurden."

Das 1993 in der NRW-Landeshauptstadt gegründete EKO-Haus, wo sich auch der Shin-Tempel befindet, gilt als das kulturelle Zentrum der japanischen Gemeinde. Doch weder hier noch im wirtschaftlichen Zentrum der Japaner in Düsseldorf rund um die Immermann-Straße sind weder Trauerfahnen noch Plakate zu sehen.

Unwissenheit ist das Schlimmste

"Das mag an unserer Mentalität liegen. Wir trauern auch eher in uns selbst", erläutert der 32 Jahre alte Nashioka, der zum Mittagessen in eines der zahlreichen japanischen Restaurants in der Innenstadt von Düsseldorf geht. Die Lokale sind meist gut besucht. Die Gespräche indes drehen sich nicht ums Essen, sondern um die Lage im Heimatland. "Das Schlimmste ist, das man immer noch nicht weiß, wie es um Freunde, Verwandte und Kollegen in den betroffenen Regionen zu Hause steht. Das Ungewisse schmerzt stark", meint eine junge Japanerin, deren Familie nahe der Stadt Fukushima lebt, wo das Kühlsystem eines Atomreaktors ausgefallen sein soll.

"Ganz sicher werden wir am Montag viele Fragen der Kinder beantworten müssen", erklärt eine junge Japanerin, die als Betreuerin in einem der vier japanischen Kindergärten in Düsseldorf arbeitet. Viele Kinder haben in den betroffenen Regionen ihre Großeltern oder Verwandten wohnen. Nach der Gedenkfeier zeigt die junge Frau auf die Weidenbäume im japanischen Garten neben dem Tempel. An den Ästen hängen hunderte tränenförmige Samenkapseln. "Selbst die japanischen Bäume weit weg von der Heimat zeigen Trauer", sagt die Kindergärtnerin.

Kirchen gedenken der Opfer

In den Sonntagsgottesdiensten beteten die Kirchen für die Opfer der Katastrophe. Angesichts der schweren Störfälle in einem Atomkraftwerk mahnten hohe Kirchenrepräsentanten zugleich eine Abkehr von der Kernenergie an. Die Katastrophe zeige "die Zerbrechlichkeit des Lebens", sagte der Ratsvorsitzende der Evangelische Kirche in Deutschland (EKD), Nikolaus Schneider, in Hamburg. Papst Benedikt XVI. gedachte beim traditionellen Angelus-Gebet in Rom der unzähligen Toten, Verletzten und Obdachlosen.

"Die Bilder des tragischen Erdbebens und des Tsunami haben uns alle zutiefst erschüttert," sagte der Papst auf dem Petersplatz in Rom. Er äußerte seine Anteilnahme am Leid der Menschen und sagte, er bete für die Betroffenen. Das Kirchenoberhaupt sprach ferner den Hilfskräften Mut zu, die sich "mit beachtlicher Schnelligkeit" um die Überlebenden kümmerten.

Der EKD-Ratsvorsitzende kritisierte die Atomtechnik als "nicht menschengerecht". Die Menschen hätten sich angewöhnt, mit Technik umzugehen, die weder einen menschlichen Fehler noch irgendwelche außergewöhnlichen Einflüsse von außen verzeihe, sagte der rheinische Präses im Eröffnungsgottesdienst der Fastenaktion "7 Wochen Ohne". Zur Geschöpflichkeit der Menschen gehöre es aber, dass sie Fehler machten. Bereits am Vorabend hatte Schneider bei einer ökumenischen Passionsandacht in Düsseldorf eine neue Diskussion um die Nutzung der Atomenergie angeregt.

Auslandspfarrerin: Betet für die Menschen

Die EKD-Auslandspfarrerin in Tokio, Elisabeth Hübler-Umemoto, appellierte an die Christen in Deutschland: "Betet bitte weiter für die Menschen hier." "Wir sind erschüttert von der Unermesslichkeit des Leids, dass über so viele Menschen gekommen ist", sagte die westfälische Theologin, die bis 1999 Pfarrerin in Herne war. Die Kirchen in Japan begannen nach ihren Angaben am Sonntag, Hilfen für die vom Tsunami betroffenen Menschen zu organisieren. Die Hilfswerke Diakonie (evangelisch) und Caritas (katholisch) riefen zu Spenden auf.

Am Samstag war mit einer Andacht im Berliner Dom der Opfer der Tsunami- und Atomkatastrophe gedacht worden. "Es sind schreckliche Bilder, die uns gestern Nachmittag erreicht haben", sagte der Berliner evangelische Bischof Markus Dröge. Viele "brennende Fragen" ließen auch Menschen in Deutschland ratlos und ohne Antwort zurück. Ein Kerzentisch lädt im Dom zum stillen Gebet ein.

epd