Das Klima der Intoleranz und des Fanatismus in Pakistan kostete den Minister für religiöse Minderheiten das Leben. Er sei der Nächste auf der Todesliste, hatte Shahbaz Bhatti, vor Wochen erklärt. Am Mittwochmorgen erschossen ihn bewaffnete Männer kaltblütig auf offener Straße in der Hauptstadt Islamabad. Zu dem Mord bekannten sich die pakistanischen Taliban.
Einziges christliches Regierungsmitglied
Bhatti, ein Katholik, war der einzige Christ im Kabinett. Er hatte sich vehement für die Abschaffung des umstrittenen Blasphemie-Gesetzes ausgesprochen, das die Todesstrafe nach sich ziehen kann. Dies wurde Bhatti nun offenbar zum Verhängnis. Von einer Fatwa, einem islamischen Todesurteil, hatte sich der 42-Jährige nicht abhalten lassen.
"Wir müssen gegen diese terroristischen Kräfte kämpfen, weil sie das Land terrorisieren", sagte Bhatti Mitte Januar. Die Fatwa islamischer Geistlicher rief Muslime dazu auf, den Politiker zu köpfen. Anfang Januar war ein anderer prominenter Politiker und Gegner des Blasphemie-Gesetzes getötet worden. Gouverneur Salman Taseer starb durch Schüsse, die sein Leibwächter auf ihn abgab.
Minister lebte in ständiger Sorge
Minister Bhatti ahnte sofort, dass er das nächste Opfer werden könnte: "Ich kann den Sicherheitsmaßnahmen nicht vertrauen", erklärte er. "Ich glaube, dass Schutz nur vom Himmel kommen kann, solche Bodyguards können dich nicht retten."
In Pakistan häufen sich zurzeit Verurteilungen und Festnahmen wegen Gotteslästerung. Im November 2010 war die 45-jährige Christin Asia Bibi wegen Blasphemie-Verdachts zum Tod am Galgen verurteilt worden. Bhatti hatte sich ebenso wie Taseer für eine Begnadigung der fünffachen Mutter eingesetzt. Nun sind beide Politiker tot.
Ist ein Mord am helllichten Tage schon schockierend, machte vielen Pakistanern die Reaktion darauf noch mehr Angst. Zehntausende Menschen gingen nach dem Tod von Taseer auf die Straße, um den Mörder zu feiern, mit Blumengirlanden zu behängen und gegen eine Revision des Gesetzes zu demonstrieren.
Umstrittenes Gotteslästerungsgesetz
Die Regierung gab daraufhin bekannt, es werde keine Änderungen am Blasphemie-Gesetz geben. Menschenrechtsgruppen fordern schon seit langem seine Abschaffung, weil es oft dazu genutzt wird, persönliche Streitigkeiten auszutragen. Meist reicht ein bloßer Verdacht der Gotteslästerung aus, um jemanden monatelang ins Gefängnis zu werfen.
Der Tod von Taseer und Bhatti ist für viele Landeskenner Teil einer besorgniserregenden Entwicklung in Pakistan. Inzwischen müssen nicht nur Angehörige religiöser Minderheiten und couragierte Politiker um ihr Leben bangen. Nachdem Ende Februar ein Amerikaner in der ostpakistanischen Stadt Lahore zwei Pakistaner unter mysteriösen Umständen erschossen hatte, wird auch das Klima für Ausländer rauer.
Der britische Journalist George Fulton, der politische Talkshows und Dokumentar-Serien im pakistanischen Fernsehen moderierte, verließ nach neun Jahren das Land. In einem berührenden Abschiedsbrief in der Zeitung "Express Tribune" schrieb er: "Pakistan, Du stehst am Abgrund. Eine hauchdünne Wand trennt dich von einem gescheiterten Staat." Und mit Blick auf Angriffe auf Christen, aber auch auf schiitische Muslime und die als Sektierer betrachteten Ahmadiyyas fragt er: "Wer wird der nächste sein?"
Bestürzte Reaktionen bei Kirchenvertretern
Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) und der Vatikan reagierten mit Bestürzung auf den Mord. Dieser schreckliche Anschlag solle offenbar weiter Unfrieden zwischen den Religionen schüren und den Druck von islamischen Fundamentalisten auf die Regierung erhöhen, erklärte EKD-Auslandsbischof Martin Schindehütte. "Es kann nicht sein, dass durch solche brutalen Gewalttaten ungehindert Angst und Schrecken verbreitet werden. Der religiöse Terror darf nicht das letzte Wort haben!"
Vatikansprecher Federico Lombardi sprach in Rom von einer besonders schwerwiegenden Gewalttat. Die Erschießung des katholischen Politikers in Islamabad demonstriere, "wie richtig die wiederholten Äußerungen des Papstes über Gewalt gegen Christen und gegen die Religionsfreiheit allgemein sind".
"Unsagbare Gewalt und Hass auf Christen"
Lombardi erinnerte daran, dass der Pakistani Bhatti als erster Katholik im Ministeramt im September von Benedikt XVI. in Audienz empfangen worden war. Der auf offener Straße erschossene Bhatti habe sich für ein friedliches Zusammenleben der Glaubensgemeinschaften seines Landes eingesetzt. Die "unsagbare Gewalt" und der Hass auf Christen in Pakistan machen es nach den Worten des Vatikansprechers absolut dringlich, die Religionsfreiheit und die Christen vor Verfolgung zu schützen.
Die katholische Bischofskonferenz des Landes sprach von einem "schwarzen Tag für die Christen in Pakistan". Der zweite Vorsitzende der Konferenz, Bischof Joseph Coutts, sagte, die Christen seien nicht nur traurig, sondern auch wütend. Die Regierung sei offenbar nicht in der Lage, den Fundamentalismus in Schranken zu halten.
Auch die Bundesregierung äußerte sich bestürzt über den Mord. Regierungssprecher Steffen Seibert sagte, man trauere mit den Hinterbliebenen und hoffe, dass den Trauerbekundungen der pakistanischen Regierung nun eine rasche Aufklärung folge. Außenminister Guido Westerwelle (FDP) sagte, Bhatti habe sich mit außergewöhnlichem Engagement und großem persönlichen Mut für die Rechte von Minderheiten in Pakistan eingesetzt. Sein Tod sei ein schwerer Verlust. Jetzt müsse alles getan werden, um die Schuldigen zur Verantwortung zu ziehen und den Schutz der Christen und aller anderen religiösen Gruppen sicherzustellen.