"Den Frieden riskieren, sich Krieg, Gewalt und Rassismus entgegenstellen. Das ist ein Drahtseilakt." So steht es auf den so genannten "Hoffnungsstreifen", den länglichen Papierstücken, die am Samstag an der Dresdner Frauenkirche verteilt wurden. Tatsächlich war es zum Teil riskant, sich am Samstag überhaupt in Dresden aufzuhalten - also auch, an einer der 54 Mahnwachen teilzunehmen. Überwiegend evangelische Christen haben sich mit dieser friedlichen Form des Protestes den Nazi-Aufmärschen entgegen gestellt. Und leider blieb es nicht überall friedlich.
An der Friedenskirche im Stadtteil Löbtau zum Beispiel tauchte völlig unerwartet eine Gruppe rechter Marschierer auf, rief den Mahnwachenteilnehmern Schimpfworte zu und zeigte 'Stinkefinger'. "Es waren ungefähr 500", berichtet Mahnwachen-Organisator Karl-Heinz Maischner. Die Rechten seien weitergezogen, begleitet von der Polizei, und hätten ein paar Straßen weiter ein linkes Wohnprojekt zerstört. "Ich verstehe nicht, wieso die Stadt diese Route genehmigt hat", wundert sich Maischner.
Es kamen viele Bürger, nicht nur Gemeindeglieder
Das war die große Unbekannte an diesem Samstag, sowohl für die Straßenblockierer als auch für die friedlichen Mahnwachen: Wo würden zu welchem Zeitpunkt wie viele Neonazis auftauchen? Mira Körlin, Referentin für die Öffentlichkeitsarbeit der beiden Dresdner evangelischen Kirchenbezirke meint, dass sich das dezentrale Mahnwachen-Konzept genau deswegen bewährt hat: "Egal wo was hätte passieren können - die Kirchgemeinden waren besetzt und boten Anlaufpunkte für Gegendemonstranten und Menschen die nicht illegal protestieren wollten." Karl-Heinz Maischner fügt hinzu: "Wir haben mit den Mahnwachen ganz viele Dresdner Bürger aktiviert, nicht nur Gemeindeglieder."
Auch der Deutsche Evangelische Kirchentag (DEKT) hat sich mit einer Mahnwache und einer größeren Andacht vor dem Kirchentagsbüro an der Ostraallee beteiligt. Gestört wurde die Aktion nur indirekt: Protestierer von "Dresden Nazifrei" hatten eine Brücke besetzt und ließen niemanden durch. Dadurch konnten nicht alle Mahnwachen-Teilnehmer rechtzeitig die Andacht von DEKT-Generalsekretärin Ellen Ueberschär und Präsidentin Katrin Göring-Eckardt erreichen. Umso mehr freute sich Pressesprecher Hubertus Grass über prominente Besucher wie Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse oder den thüringischen Innenminister Jörg Geibert.
"Gott, gib uns ein festes Herz"
Dem Kirchentagsbüro war es ein wichtiges Anliegen, an diesem Tag in Dresden präsent zu sein - denn hier wird Anfang Juni der Kirchentag zu Gast sein. "Für Gäste ist es normalerweise nicht angebracht, sich in die Tagespolitik einzumischen", schrieben Ueberschär und Göring-Eckhardt vorab in einem Gastbeitrag für evangelisch.de - doch als Christen seien sie gefordert, sich einzumischen, "weil es bei den Auseinandersetzungen in Dresden nicht um Politik, sondern um die Basis unseres Zusammenlebens geht."
So hieß es im Fürbittengebet bei der Mahnwache des Kirchentages: "Gott, gib uns ein festes Herz, damit wir die Wahrheit vertragen und verbreiten. Dass wir widersprechen, wo gelogen wird, wo schöngeredet wird, wo rechte Gewalt verharmlost wird, wo Menschenverachtung mit linkem Widerstand aufgewogen wird. Dass wir uns ein Herz fassen und Täter Täter nennen und Opfer als Opfer erkennen. Dass wir freimütig reden von der Wahrheit der Menschenwürde."
Das Konzept ist aufgegangen, meint Pressesprecher Hubertus Grass im Rückblick: "Wir haben uns gut eingereiht und es nicht an Klarheit vermissen lassen." Das Angebot des Kirchentagbüros sei von vielen Menschen angenommen worden, was sich - ganz profan - auch am Verbrauch von Suppe ablesen lässt: "Sechs Töpfe wurden geleert." Grass macht damit deutlich, was die Menschen bei den Mahnwachen suchten: Wärme. Nicht nur äußerliche, sondern auch innerliche Wärme.
Wirkung von Gebeten lässt sich nicht messen
Das Gebet selber gab vielen Mahnwachen-Besuchern Halt: "Beten tut wohl", sagte eine Frau nach einer Andacht zu Superintendent Peter Meis. "Natürlich lässt sich die Wirkung solcher Gebete nicht messen", schreibt Meis in seinem Dankesbrief an die Kirchengemeinden. "Aber klar ist: Umsonst waren sie nicht." So konnten die Dresdner Kirchengemeinden mit ihren 54 Mahnwachen keine Nazi-Aufmärsche, keine Gewaltausbrüche verhindern, aber sie konnten vielen Menschen einen Anlaufpunkt und eine Ausdrucksmöglichkeit bieten.
"Es kamen auch Leute aus der Umgebung, um ihren Gefühlen, ihrer Angst, ihrer inneren Gemengelage Ausdruck zu verleihen", berichtet Mira Körlin. Dazu seien die ausgelegten Unterschriftenlisten eine gute Möglichkeit gewesen. Hier konnten sich die Dresdner Bürger "mit ihrer inneren Hilflosigkeit erklären". Die Listen sollen der Stadtverwaltung übergeben werden. Durch ihre Unterschriften treten die Dresdner ein "für eine Stadt, in der Fremde willkommen sind und ohne Angst hier wohnen können".
Sind Mahnwachen ausreichend?
Peter Trappe, der Mahnwachen-Organisator der Lukaskirche, fand zwar die Atmosphäre bei seiner Mahnwache angenehm. Das Zusammentreffen von alten und jungen Menschen sei "sinnvoll und gut" gewesen. Trotzdem ist Trappe auch nach diesem Samstag noch zwiegespalten und ratlos. "Die große Frage war ja: Wie verhindert man das, was die Nazis machen? Wie kann man tatsächlich etwas bewirken? Wer zu den Mahnwachen kam, konnte ja nicht direkt gegen die Nazis demonstrieren."
Auch Superintendent Peter Meis kann nach diesem Samstag keine ausschließlich positive Gesamtbilanz ziehen - jedenfalls nicht, wenn er auf die Ereignisse außerhalb der Mahnwachen schaut. Durch Blockaden wurde zwar vermieden, dass Nazi-Gruppen sich zu größeren Aufmärschen zusammenschlossen, doch es kam zu Gewalt - und das ist Meis' zentrale Sorge. An sich hält er Blockaden für ein probates Mittel des zivilen Ungehorsams, doch wegen der Gerichtsentscheidungen zugundesten von drei rechten Versammlungen sei eine unübersichtliche Lage entstanden. "In dieser Unübersichtlichkeit hat sich ein Aggressionspotential aufgeladen, das sich hätte vermeiden lassen", meint der Kirchenmann.
Die Mahnwachen an sich seien mit schätzungsweise rund 1000 Besuchern insgesamt "beeindruckend" gewesen, sagt Meis. Sie hätten dazu beigetragen, "dass (…) die Aufmärsche Rechtsextremer in unserer Stadt an Terrain verloren haben". Trotzdem: Für nächstes Jahr müsse sich die Kirche gemeinsam mit den anderen Initiativen etwas anderes überlegen - nämlich wie man am Jahrestag der Bombardierung Dresdens Gewalteskalationen in der Stadt vermeiden kann.
Anne Kampf ist Redakteurin bei evangelisch.de und zuständig für die Ressorts Politik und Gesellschaft.