"Dem Rad in die Speichen fallen": Gegen Nazis in Dresden

"Dem Rad in die Speichen fallen": Gegen Nazis in Dresden
Für den kommenden Samstag, 19. Februar, haben sich in Dresden 10.000 Neonazis zu einer Demonstration angekündigt. Die Generalsekretärin des Kirchentags, der dieses Jahr nach Dresden kommt, Dr. Ellen Ueberschär und Katrin Göring-Eckardt, Präses der Synode der EKD, rufen dazu auf, der Demokratie-Feindlichkeit nicht die Straße zu überlassen. Mit Mahnwachen in ganz Dresden, auch unterstützt vom Kirchentag, fordern sie dazu auf, ein Zeichen für die Demokratie zu setzen.
18.02.2011
Von Katrin Göring-Eckardt und Ellen Ueberschär

"Das war kein Krieg, das war Mord", stand auf dem Transparent, hinter dem sich 60 Neonazis versammelt hatten und durch Dresden zogen. Man schrieb den 13. Februar 1998. Zehn Jahre später konnte die NPD, die seit 2005 im Sächsischen Landtag sitzt, schon fast 10.000 Rechtsradikale aus ganz Europa zu den so genannten Trauermärschen nach Dresden mobilisieren.

Die neuen Nazis waren nicht die ersten, die die Erinnerung an die Nacht des 13. Februar 1945, als Dresden bombardiert wurde, politisch instrumentalisierten. Schon Joseph Goebbels spannte den Angriff auf die Stadt in seine Propaganda der letzten Kriegstage ein. Ihm folgte die SED, die am 13. Februar die anti-kapitalistische Gesinnung zu schärfen suchte. Der 13. Februar in Dresden ist ein Lehrstück über die Bedeutung historischer Auslegung und den Streit um Begriffe, der mit dem Wort des "Bombenholocaust" (Sachsens NPD-Vorsitzender Apfel) seine perfide Zuspitzung fand.

Die Geschichte des Dresdner Gedenktages nach 1990 sollte uns auch über unsere Verantwortung als Christen in dieser Gesellschaft nachdenken lassen. Dass sich aus dem Aufmarsch einiger weniger Ewiggestriger in Dresden, eine alljährliche, von den internationalen Medien beachtete Großveranstaltung entwickelte, ist auch das Ergebnis einer Strategie der politischen Verantwortungsträger, die auf Beschwichtigung und Abwiegelung mehr Wert legte als auf die offensive inhaltliche Auseinandersetzung.
Bloß kein Aufhebens machen um die paar Nazis, war die Devise. Der Spuk, so die Hoffnung, würde irgendwann vorbei gehen.

Die Einigkeit der Demokraten gegen die Feinde der Demokratie

Die Hoffnung trog. Die Größe der Neonazi-Demonstration wuchs stetig an, auch die Stärke der rechtsradikalen NPD nahm zu. Der politische Streit bewegte die Parteien und die Dresdner Gesellschaft.

Während die einen, vorwiegend aus dem eher linken Spektrum, der Großveranstaltung der neuen und alten Nazis eigene Großveranstaltungen entgegen stellten und sich auch für gewaltfreie Blockaden einsetzten, wünschten sich andere das stille Gedenken zurück, zogen gegen den "Demonstrationstourismus" zu Felde und stellten "rechte und linke Chaoten" auf eine Stufe.

Was andernorts gelang, die Einigkeit unter den Demokraten gegen die Feinde der Demokratie zu schließen, misslang in Dresden. Erst im letzten Jahr wurde unter der Führung der Oberbürgermeisterin Helma Orosz (CDU) mit der Menschenkette eine Symbolik geboren, die unter dem Leitwort "Erinnern und Handeln" die politischen Gräben überwand. 2010 waren die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Menschenkette auf der einen Dresdner Elbseite noch von den denen getrennt, die auf der anderen Elbseite in friedlichen Blockaden den Marsch der Nazis verhinderten.

In der Bewertung der Ereignisse des Jahres 2010 verzichteten die Verantwortlichen erstmals darauf, die eine Form des Protestes auf- und die andere abzuwerten. Irgendwie brach sich nach dem Erfolg 2010 die Erkenntnis in der Stadt Bahn, dass es keinen guten oder schlechten Protest gibt und dass es unsinnig ist, einen Keil zu treiben zwischen Gedenken und Handeln.

Wir sind als Christen gefordert, uns einzumischen

Der Deutsche Evangelische Kirchentag ist 2011 zu Gast in Dresden. Für Gäste ist es normalerweise nicht angebracht, sich in die Tagespolitik einzumischen. Wir haben unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter um Einmischung rund um den 13. und 19. Februar gebeten, weil es bei den Auseinandersetzungen in Dresden nicht um Politik, sondern um die Basis unseres Zusammenlebens geht. Da sind wir als Christen gefordert, uns einzumischen.

Das Neue Testament gibt uns eine Fülle von Hinweisen, uns als Christinnen und Christen mutig zu bekennen. Die Herausforderung bleibt, den rechten Zeitpunkt, biblisch gesprochen: den Kairos, zu erkennen, den Bedrängten und Verfolgten bei- und den Bedrängern und Verfolgern entgegenzustehen. Dietrich Bonhoeffer schrieb im April 1933 einen Aufsatz, in dem er die christliche Pflicht begründete, dort Widerstand zu leisten, wo grundlegende Menschenrechte verletzt werden. Es gelte, so Bonhoeffer damals, "nicht nur die Opfer unter dem Rad zu verbinden, sondern dem Rad selbst in die Speichen zu fallen". Wir Nachgeborenen wissen heute: Es war zu spät, das grausame Rad noch anzuhalten, denn es gab zu wenig bekennende Christinnen und Christen von Bonhoeffers Mut und Größe.

Das Versagen der Mehrheit der Christen und ihrer Kirchen in Deutschland begann nicht erst 1933. Der nationale Rausch mit seinem festen Begleiter Antisemitismus entstand in Deutschland schon Jahrzehnte zuvor. Christlichen Widerspruch dagegen, evangelischen gar, gab es kaum. Im Gegenteil: Die nationalen Interessen wurden durch die Kirchen als gerechte Sache gepriesen und unter den Gebeten der Kirchenführung zogen die Truppen in den Ersten Weltkrieg. Hitlers Denken war nicht neu; er musste weder den nationalen Größenwahn noch den Hass auf die Juden erfinden, er konnte an Traditionslinien anknüpfen und sie radikalisieren.

Am 19. Februar für den Kirchentag gegen Nazis

"Liebe deinen Nächsten wie dich selbst." Kürzer und konzentrierter als wir Christen es formulieren lassen sich die universellen Menschenrechte kaum in Worte fassen. Zu keiner Zeit hat es an Christen gemangelt, die Nächstenliebe praktizierten; die Geschichte ist voller großer Beispiele dafür.

Nicht mit offizieller Unterstützung, aber mit Duldung der Kirche haben die Menschen 1989 dem Staatssozialismus ins Rad gegriffen, dabei ist die DDR aus dem Sattel gefallen. In Dresden und Sachsen sind jetzt viele der damaligen Akteure wieder aktiv und bieten gemeinsam mit vielen anderen durch gewaltfreie und phantasievolle Aktionen den Nazis die Stirn. Im letzten Oktober meldeten die Gemeinden und die Diakonie in der Stadt Leipzig 41 (!) Mahnwachen an. Auch ihnen war es zu verdanken, dass die Nazi-Demo in Leipzig ausfallen musste.

Bonhoeffer mahnt uns, dem Rad schon sehr früh in Speichen zu fallen. In Dresden gibt es dazu am 19. Februar wieder Gelegenheit. Bis zu 10.000 Neonazis werden an der Elbe erwartet. Eine von vielen Mahnwachen veranstaltet der Kirchentag.


Katrin Göring-Eckardt (oberes Bild) ist Kirchentagspräsidentin und Präses der Synode der EKD, Dr. Ellen Ueberschär (unteres Bild) ist Generalsekretärin des Deutschen Evangelischen Kirchentages.