Der Gemeindesaal von Modderspuit ist voll. "Man kann blind werden oder ein Bein verlieren, wenn die Krankheit nicht behandelt wird", mahnt Schwester Razana Allie. Die Menschen auf den Plastikstühlen nicken verständig. Die Diabetes-Expertin tourt mit ihrem Vortrag durch die Vororte und Viertel rund um Johannesburg.
Fettleibigkeit breitet sich rasant in Südafrika aus, entsprechend auch die Zahl der Diabetiker. Auch hier im Township Modderspuit, eineinhalb Stunden nordöstlich von Johannesburg, sitzen einige mit Übergewicht. "Wenn Du ständig Durst hast und sich dein Mund wie ausgetrocknet anfühlt, dann lasse dich auf Diabetes testen", warnt die Mitarbeiterin der Selbsthilfeorganisation "Diabetes South Africa". Aber auch Menschen, die viel essen und trotzdem abnehmen, sollten ihr Blut analysieren lassen, betont Allie. "Es ist nicht immer Aids, es könnte auch Diabetes sein".
Nach Allies Vortrag lassen sich Hunderte draußen vor dem Gemeindesaal testen. "Ich habe einen Aids- und einen Tuberkulosetest machen lassen, ich weiß alles Mögliche über Krebs, aber über Diabetes weiß ich nichts - über Aids dafür alles", sagt eine junge Frau. Ein winziger Tropfen Blut aus der Fingerkuppe genügt und Sekunden später ist das Ergebnis da. Bei ihr ist der Zuckerwert unter sieben und damit in Ordnung, bei den meisten anderen jedoch nicht.
Mehr Menschen sterben an Diabetes als an Aids
Weltweit wird alle 20 Sekunden eine Zuckererkrankung diagnostiziert, die meisten davon in Entwicklungsländern. "Aber hier in Afrika geht es immer nur um HIV/Aids bei Mitteln für Projektfinanzierungen", klagt Allie. Dabei stürben mehr Menschen an den Folgen von Diabetes als an Aids.
Im Schnitt wird in Afrika eine Zuckerdiagnose erst sieben Jahre nach Auftreten der ersten Symptome und Komplikationen gestellt. Die Sterblichkeitsrate für Diabetiker ist in Afrika zehnmal höher als in England. Die Hauptgründe: Mangelndes Bewusstsein und damit eine späte Diagnose, aber auch zu wenige Kliniken in erreichbarer Nähe und Geldmangel.
Die 64-jährige Diabetespatientin Naomi Bopane muss ihre Behandlung regelmäßig aussetzen, weil die Klinik nicht genug Medikamente auf Lager hat. Sie selbst kann sich das Insulin nicht leisten, das für einen Monat 60 bis 100 Euro kostet. "Ich bekomme monatlich 80 Euro Pension, damit müssen meine Tochter und ich zusammen auskommen." Ihre Tochter ist arbeitslos.
Das Geld reicht nicht für die teuere Medizin
Eigentlich sollten Diabetiker ihre Medizin kostenlos von Staat erhalten, sagt Allie. Wegen Geldmangels oder Fehlplanung seien jedoch häufig kein Insulin oder keine Spritzen vorrätig. Die Patienten hätten dann vielleicht genug Insulin, aber nur fünf Spritzen für den ganzen Monat. Eine unregelmäßige Behandlung führt jedoch zu Komplikationen. "Aber wie sollen sie Spritzen, Teststreifen oder Medikamente selber kaufen?", fragt Allie. "Die meisten haben nicht mal genug Geld, um Essen zu kaufen."
Für die derzeit rund fünf Millionen Diabetiker in Südafrika macht die Krankenschwester den Lebensstil der Bevölkerung verantwortlich. "Wir machen keinen Sport, wir sind gestresst, wir bauen nicht mehr unser eigenes frisches Gemüse an, wir essen zu fett."
Traditionell gilt: Wer dick ist, ist gesund
Drei bis vier Löffel Zucker im Tee sind in Südafrikas Schwarzensiedlungen, den Townships, üblich. Die Kinder trinken ohne Einschränkungen Cola und Sprite und essen Chips. Immer mehr Menschen haben Autos, kaum einer geht noch längere Strecken zu Fuß. Jeder dritte Mann in Südafrika und mehr als die Hälfte aller Frauen sind übergewichtig.
Doch am Kap gilt: Wer dick ist, ist gesund, denn Aidskranke sind dünn. Und wer dick ist, kann sich offenbar Essen leisten. Ungesundes Leben und wenig nahrhafte Lebensmittel verursachen kombiniert mit einer genetischen Veranlagung die Zuckererkrankung. Es sei noch viel Aufklärung nötig, seufzt Allie. Die 64-Jährige Bopane hat sich Allies Ratschläge zu Herzen genommen. "Ich spiele jetzt Fußball, es geht mir viel besser."