Gorch Fock – Erfahrungsbericht einer jungen Offizierin

Gorch Fock – Erfahrungsbericht einer jungen Offizierin
Das Segelschulschiff "Gorch Fock", ist auf dem Heimweg von Argentinien nach Kiel. An Bord versucht ein Team des Marineamtes herauszufinden, was sich an Bord abgespielt hat: Wurden Offiziersanwärter gezwungen, in die Takelage zu klettern? Wurden Frauen sexuell genötigt? Leutnant zur See Sabine Meier* kann sich beides nicht vorstellen.
03.02.2011
Von Sabine Meier*

Seit über 52 Jahren ist die Gorch Fock fester Bestandteil der Offizierslaufbahn bei der Marine. Auf der weißen Lady soll den jungen Offiziersanwärtern nicht nur die See in all ihrer Schönheit und Grausamkeit zugleich näher gebracht werden, sondern die jungen Menschen sollen darüber hinaus sich selbst kennen lernen. Sie sollen an ihre persönlichen Grenzen stoßen und über sich selbst hinaus wachsen. Charakterbildung nennt sich das. Auch ich war für 6 Wochen Teil der Besatzung. Ich war 2007 als junge Offiziersanwärterin an Bord, eine unter 16 Frauen, der Rest Männer.

Von "Privatsphäre" kann man an Bord eines Schiffes, insbesondere auf einem Dreimastschoner, kaum sprechen. Jeder hat seinen kleinen, aber feinen Spind, seine eigene Hängematte und zwei Ösen an den Wänden, an denen er diese seine Schlafstätte aufhängen und spannen kann. Man schläft und wohnt zusammen, mit vielen anderen in einem großen Raum unter Deck, die Frauen in einem abgetrennten Bereich.

All das weiß man, wenn man sich bei der Marine bewirbt

Die Gemeinschaft ist das alles durchdringende Motiv an Bord. Nichts geht alleine. Man isst, schläft und arbeitet gemeinsam. Man erlebt zusammen schöne, aber auch schwere Momente, besonders nachts, wenn man für vier Stunden Segelwache aus der Hängematte klettert und die Zeit im kalten, nassen Wind an Oberdeck verbringen muss. Doch all das weiß man, wenn man sich für eine Laufbahn bei der Marine bewirbt. Natürlich kann man noch nicht genau vorher wissen, wie es sich anfühlt, in der Kälte, bei Schlafentzug, bei Sturm, mit tauben Händen und brennenden Muskeln ein Segel zu setzen oder in die Takelage aufzuentern.

Das einzige, was man weiß: es wird eng, es wird hart, aber es wird auch eine unvergessliches Erlebnis werden. Wer zur Bundeswehr möchte, muss das auch wollen. Wer sich dann noch für die Laufbahn bei der Marine entscheidet, der braucht darüber hinaus noch eine ganz gehörige Portion Leidenschaft. Ohne Leidenschaft für das Leben an Bord und die See selbst, wird man nur schwer bei der Marine glücklich werden.

Ganz langsam in die Takelage klettern

Ja, 44m über dem Meeresspiegel, ganz außen auf dem höchsten Segel, der Royal, ist es verdammt hoch! Bis man dort oben ist, kann man sich nicht sichern, man ist auf sich selbst angewiesen. "Eine Hand für sich, eine Hand fürs Schiff" lautet die Devise, die für uns alle von Anfang an als Leitspruch gilt, die uns immer wieder von unseren Ausbildern eingebläut wird. Am Anfang der Segelvorausbildung, fest vertäut an der Pier im sicheren Hafen, wird jeder dazu aufgefordert, in die Takelage zu klettern.

Das geht ganz langsam, Stück für Stück. Erst ein paar Meter, bis zur ersten Plattform, dann wieder runter, alles ganz in Ruhe. Danach wird die Höhe kontinuierlich gesteigert, damit sich jeder an die wackeligen Wanten und die Aussicht gewöhnen kann. Jeder soll es versuchen, nicht gleich von Anfang an aufgeben. Nur wer zuvor schon aus ärztlicher Sicht keine "Höhentauglichkeit" besitzt, darf nicht aufentern, selbst wenn er wollte, zu gefährlich! Wer auch, nachdem er es versucht hat, sich nicht zu klettern traut, der muss auch nicht, er wird sogenannter "Nagelbanksfahrer" und unterstützt die Kameraden in der Takelage von Deck aus, indem er die entsprechenden Taue losschmeißt oder festzurrt.

Auch wer krank ist, hat seinen Platz an Bord

Keiner wird gezwungen, zu klettern, nur der aufrichtige Wille zählt. Denn was bringt uns dort oben ein verängstigter Kamerad, der völlig verkrampft sich nicht rühren kann? Er gefährdet nicht nur sich, sondern auch uns und das Schiff. Ich selbst war und wollte ganz nach oben, ganz vorne auf der Vorroyal war mein Platz, es war ein unglaublicher Ausblick! Nur einmal wollte und konnte ich nicht aufentern. Ich hatte mir eine Erkältung eingefangen und fühlte mich infolgedessen geschwächt. Ich gab dies meinen Ausbildern zu verstehen. Sie schickten mich zum Arzt und er stellte mich vom Dienst in der Takelage frei, ich bekam andere Aufgaben unter Deck, um weiterhin Teil der Gemeinschaft zu sein, mich aber gleichzeitig zu schonen.

Kurze Zeit später war ich wieder gesund und konnte zum Glück wieder an den Klettertouren teilnehmen. Keiner meiner Kameraden zog mich deswegen auf, denn sie wussten, ich wollte da hoch, konnte aber einfach nicht. Sie wussten, ich arbeitete weiterhin mit ihnen zusammen, ich hatte eben nur vorübergehend andere Aufgaben. Jeder an Bord ist wichtig, jeder auf seine Weise.

Es wird rumgebrüllt - und das ist in Ordnung

Ja, an Bord herrscht schon mal ein etwas rauerer Umgangston, und ja, es kann passieren, dass da mal rumgebrüllt wird. Dies liegt zum einen schon in der Natur der Sache. Bei manchen Manövern sind selbst die alten Seebären angespannt und leicht nervös, es darf nichts schief gehen. Da ist es nur menschlich, dass sie einen nicht in aller Ruhe höflichst um etwas bitten. Da wird dann schon mal rumgebrüllt, besonders, wenn es nicht so klappt, wie es soll. Das ist in Ordnung so, schließlich befinden wir uns noch ganz am Anfang unserer Ausbildung und müssen auch mal gescheucht werden. Außerdem ist es bei Wind und Wetter auf hoher See ohnehin etwas lauter, damit dann auch jeder alle Befehle in voll Gänze mitbekommen, muss die Stimme eben etwas erhoben werden.

Dass der ein oder andere Kamerad der Stammmannschaft meint, er müsse sich ein wenig aufspielen vor den "kleinen OA's", den Offiziersanwärtern, ist auch nicht ungewöhnlich. Aber immerhin kommen da alle 6 Wochen neue Grünschnäbel an Bord, die trotzdem glauben, alles besser zu wissen, schließlich werden sie bald schon zu Offizieren ernannt. Das soll jetzt keineswegs alles relativieren.

Ich möchte auf keinen Fall bestreiten, dass es genug Kandidaten gibt, die sich deutlich daneben benehmen, Stammmannschaft wie OA's! Doch diese werden für ihr Fehlverhalten entsprechend von der Schiffsführung bestraft. Es gibt, meiner Meinung nach, kaum etwas unangenehmeres, als bei einer allgemeinen Musterung namentlich benannt und für sein Vergehen gerügt zu werden. Der damit verbundene Strafdienst, beispielsweise zusätzlicher Küchendienst oder auch mal "Hausarrest", erscheint im Vergleich dazu fast schon, als sein man nicht erwischt worden.

Ein blöder Anmachsprüche ist eher schlecht für den Kerl

Und ja, als Frau an Bord eines Schiffes befindet man sich immer in einer Sondersituation, nicht nur, weil man in Unterzahl ist. Erst seit 2001 sind Frauen im Allgemeinen Dienst zugelassen. Es ist schon viel geschehen, mittlerweile sind Frauen überaus gern gesehen in der Truppe, so jedenfalls meine persönliche Auffassung. Unter so vielen Männern kann es auch mal zu einem blöden Anmachspruch kommen, welche oft aber so schlecht sind, dass sie weniger für einen selbst, als vielmehr für den verantwortlichen Kerl nachteilig sind. Ich selbst bin bis jetzt noch nicht dumm von einem Kameraden angemacht worden.

Natürlich hat man immer das Gefühl, dass von Frauen in einer Hinsicht mehr verlangt wird, man muss sich irgendwie beweisen. So kam es mir jedenfalls immer vor, und diesen Anspruch hatte ich auch immer an mich selbst. Ich bin immer bereitwillig an meine Grenzen gegangen, und darüber hinaus. Damit erkämpft man sich die Anerkennung seiner Kameraden. Für mich sind aber auch viele Freundschaften aus meiner Zeit auf der Gorch Fock entsprungen. Den Vorwurf sexueller Nötigung, der derzeit in den Medien herum spukt, kann ich persönlich nicht bestätigen.

Man kann das Schiff lieben oder angrundtief hassen

Ich bin mittlerweile Leutnant zur See, also im Offiziersrang. Als die Gorch Fock vergangenes Jahr in Hamburg zu Besuch war, ließ ich mir die Gelegenheit nicht entgehen, auf die alte Lady zurückzukehren. Ich habe dort tatsächlich noch ein paar aus der alten Seemannschaft von meiner Ausbildungsfahrt angetroffen. Als sie mich wiedererkannt hatten, wurde ich freudig begrüßt und wir fragten uns gegenseitig über die vergangene Zeit aus.

Als ich jedoch die verantwortlichen Vorgesetzten, unter anderem den Schiffsarzt, fragte, ob ich nicht, um der guten alten Zeiten willen, ein letztes Mal aufentern dürfe, wurde mir dies verwehrt; ich verfügte über keine aktuelle Höhentauglichkeit. Dabei ist zu beachten, dass ich aufgrund meiner späteren Verwendung jährlich eine komplette Untersuchung mit Fitnesstest etc. zu absolvieren habe, die mir meine körperliche und geistige Gesundheit und Belastbarkeit attestiert. Dennoch, aus Risiko- und Versicherungsgründen könne man auch für mich keine Ausnahme machen. Keine Diskussion.

All diese vorangegangenen Schilderungen sind rein persönlicher Erfahrung. Mit Sicherheit gibt es genug Kameraden, die die Zeit auf der Fock deutlich anders wahrgenommen haben. Man sagt, es gibt nur zwei Arten Menschen, die auf der Gorch Fock waren: die einen, die das Schiff lieben, und die anderen, die es abgrundtief hassen. Ich gehöre eindeutig zu der ersten Sorte und möchte die Zeit auf der Fock um nichts auf der Welt missen!

*Name von der Redaktion geändert


Die Autorin ist Oberleutnant zur See und wurde ebenfalls auf der Gorch Fock ausgebildet.