Proteste in Ägypten eskalieren – Tote und Ausgangssperre

Proteste in Ägypten eskalieren – Tote und Ausgangssperre
Nach den blutigen Zusammenstößen zwischen Demonstranten und der Polizei in mehreren ägyptischen Städten hat Präsident Husni Mubarak eine nächtliche Ausgangssperre verhängt. In Ägypten fordern mehr als hunderttausend Demonstranten die Staatsmacht heraus. Bei Straßenschlachten gab es Tote und Verletzte. Friedensnobelpreisträger El Baradei steht unter Hausarrest. Auch in Tunesien und Jordanien wurde demonstriert.

Das ägyptische Staatsfernsehen meldete am Nachmittag, die Ausgangssperre gelte von 18.00 bis 7.00 Uhr (17.00 bis 06.00 MEZ) in den Provinzen Kairo, Alexandria und Suez. Gleichzeitig wurden Einheiten der Armee mobilisiert, um der Polizei zur Seite zu stehen, die in einigen Stadtvierteln von Kairo, Ismailia, Alexandria und Suez von Demonstranten überrannt worden war. In Kairo hieß es außerdem, Mubarak wolle schon bald eine Ansprache im staatlichen Fernsehen halten. Es wird erwartet, dass er eine Kabinettsumbildung ankündigt.

Mehr als hunderttausend unzufriedene Menschen waren im ganzen Land trotz Demonstrationsverbots auf die Straßen gegangen. Bei Zusammenstößen mit der Staatsgewalt sollen nach unbestätigten Berichten mindestens drei Menschen getötet worden sein, zahlreiche wurden verletzt. Friedensnobelpreisträger Mohammed el Baradei wurde unter Hausarrest gestellt. Auch in Jordanien und Tunesien gab es am Freitag wieder Demonstrationen. Die Zuspitzung in Ägypten löste international Besorgnis aus.

Heftigste Proteste seit der Revolte von 1977

In Kairo war am Freitag bereits von den heftigsten Protesten seit den Hungerrevolten im Jahr 1977 die Rede. Die Massen in Kairo, Alexandria und in anderen großen Städten forderten den vierten Tag in Folge Demokratie, bessere Lebensbedingungen und eine Ende der 30-jährigen Herrschaft Mubaraks. Die Polizei antworte mit Tränengas, Wasserwerfern und Gummigeschossen. Die Demonstranten warfen daraufhin Steine und zündeten Polizeireviere und Einsatzfahrzeuge an. Die Regierung hatte am Freitag schon vor Beginn der Kundgebungen das Internet und die meisten Mobiltelefon-Verbindungen gekappt. Die Behörden ordneten eine nächtliche Ausgangssperre für die großen Städte Kairo, Suez und Alexandria an.

Augenzeugen schilderten der Nachrichtenagentur dpa, dass im Ost-Kairoer Stadtbezirk Ain Shams ein Demonstrant getötet wurde, als die Menge versuchte, den Sicherheitskräften ihre Waffen abzunehmen. Mehrere andere Protestler wurden verletzt. Nach einem Bericht des arabischen Senders Al Dschasira wurden zwei weitere Demonstranten in Kairo sowie in Suez getötet. Dicke schwarze Rauchwolken verfinsterten den Himmel über den Städten.

In der östlichen Hafenstadt Suez wurde die Polizei nach Augenzeugenberichten von den Demonstranten fast überrannt. In Suez hatte es in den vorangegangenen vier Tagen mit die härtesten Zusammenstöße gegeben, mit mindestens zwei Toten seit Dienstag. Die Sicherheitskräfte zögen sich aus der Stadt zurück, und die Demonstranten hätten sie fast übernommen, berichteten Zeugen.

Auch in Jordanien und Tunesien wird weiter protestiert

An anderen Orten kam es zu Verbrüderungsszenen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften. Auf Fernsehbildern war zu sehen, wie Protestler in Kairo einen gepanzerten Mannschaftswagen bejubelten, bei dem es sich augenscheinlich um ein Armeefahrzeug handelte. Zuvor hatten Demonstranten wiederholt das Militär aufgefordert, sie vor dem gewaltsamen Vorgehen der Polizei zu schützen.

Während des Freitagsgebets hatte die Polizei vor einer Moschee im Kairoer Stadtteil Giza eine Gruppe von Demonstranten eingekesselt, zu der auch der ehemalige Chef der Internationalen Atomenergiebehörde, Mohammed el Baradei, gehörte. Medien zufolge soll er am Abend unter Hausarrest gestellt worden sein. Der Friedensnobelpreisträger war am Donnerstag nach Ägypten zurückgekehrt. Viele Oppositionelle sehen in ihm einen möglichen Nachfolger Mubaraks.

Auch in Jordanien haben am Freitag wieder tausende Menschen für politische Reformen demonstriert. Sie forderten die Entlassung der Regierung von Premierminister Samir Rifai. Es war schon die dritte Freitagsdemonstration in Jordanien in Folge.

In Tunesien hielten trotz einer weitgehenden Regierungsumbildung die Proteste an. Sie richten sich gegen Ministerpräsident Mohammed Ghannouchi, der als einer von drei alten Gefolgsleuten des gestürzten Präsidenten Zine El Abidine Ben Ali in der Übergangsregierung verbleibt. Mehr als 1.000 Demonstranten forderten am Freitag vor dem provisorischen Regierungssitz in Tunis seinen Rücktritt.

Westerwelle: Wer Unterdrückung sät, wird Extremismus ernten

Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) appellierte eindringlich an die ägyptische Regierung, nicht mit Gewalt auf die Proteste Oppositioneller zu reagieren. Wer versuche, Freiheitswillen gewaltsam zu unterdrücken, "der wird nur Extremismus ernten", sagte er am Freitag in Berlin. Das selbstverständliche Recht der Menschen in Ägypten zu protestieren, müsse von der Regierung respektiert werden.

Angesichts der Unruhen in Ägypten bieten mehrere deutsche Reiseveranstalter derzeit keine Ausflüge nach Kairo mehr an. Dazu gehören neben Thomas Cook/Neckermann und der Rewe Touristik auch die TUI und Alltours, wie Sprecher der Unternehmen am Freitag bestätigten. Auch bei Besichtigungstouren nach Alexandria müssen Urlauber mit Einschränkungen rechnen. Kostenlose Stornierungen oder Umbuchungen biete bislang aber kein Veranstalter an, sagte Torsten Schäfer vom Deutschen Reiseverband (DRV) in Berlin am Freitag dem dpa-Themendienst. Auch sei noch keine Reise abgesagt worden.

Die Enthüllungsplattform Wikileaks veröffentlichte am Freitag zahlreiche Depeschen von US-Diplomaten aus Kairo. Die geheimen Mitteilungen belegen, dass US-Vertreter wiederholt die Menschenrechtslage anprangerten, sich aber nur vorsichtig hinter verschlossenen Türen eingemischt haben. Zugleich wird deutlich, dass die Amerikaner stark auf die Regierung von Präsident Husni Mubarak als Verbündeten im Antiterrorkampf sowie im Umgang mit dem Iran setzten.

dpa