Ich freue mich über offene Briefe, auch über den der acht Altbischöfe zum § 39 des neuen Pfarrdienstgesetzes der EKD. Das ist ja das Schöne in unserer evangelischen Kirche in Deutschland: Wir lieben die Diskussion, ja auch die wiederholte Diskussion um Einzelfragen, die dann zu kirchlichen Grundsatzfragen hoch stilisiert werden. Das ist anstrengend, aber notwendig. Darin stimme ich mit den Verfassern des offenen Briefes überein.
Als Personaldezernent der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland will ich in vier Schritten begründen, warum ich dennoch weder die inhaltlichen Aussagen noch die daraus gezogenen Konsequenzen des offenen Briefes für schrift- und zeitgemäß halte.
Vierzigjährige Geschichte mit ersten schwulen Pfarrern
1. Der Brief suggeriert, dass erst mit der Begründung des neuen gemeinsamen Pfarrdienstgesetzes der EKD die Öffnung für den ordinierten Dienst von Christen homosexueller Prägung erfolgt bzw. erreicht werden soll. Das ist falsch. Die Kirchen, die schon seit langem den wertvollen Dienst schwuler Pfarrer und lesbischer Pfarrerinnen im Auftrag des Herrn der Kirche schätzen, sind um des gemeinsamen Zieles eines Pfarrerdienstrechtes den Kirchen entgegengekommen, in denen dies (noch) nicht der Fall ist.
Die Formulierung des § 39 nimmt auf, dass sich nicht nur „in der Praxis unserer Gesellschaft Gewohnheiten und Normen der Lebensführung verändert haben“, sondern auch in der theologischen Arbeit wie in der kirchlichen Praxis schon seit langem vieles sich bewegt und bewährt hat. 1968 hat einer der bedeutenden deutschen Bischöfe, Bischof Dr. Werner Krusche, theologisch verantwortet und seelsorgerlich gründlich bedacht, entschieden, den ersten schwulen Pfarrer in seiner Kirche der Kirchenprovinz Sachsen zu ordinieren.
Das war für ihn keine leichte Entscheidung. Sie bedeutet für die eine Teilkirche, aus der die EKM entstand, eine über vierzigjährige Geschichte und Erfahrung mit der Arbeit homosexueller Pfarrerinnen und Pfarrer. Daher liegt hinsichtlich der Verengung, ja Verschärfung des Dienstrechtes, so wie die Verfasser des offenen Briefes es fordern, der Begründungszwang bei ihnen.
Biblischer Blick auf die ganze Person
2. Theologisch tue ich mich mit dem Begründungszusammenhang der Altbischöfe schwer. Am Beginn ihrer biblischen Begründung steht eine Behauptung: „Zur Begründung sind vor allem drei biblische Aussagen anzuführen, die im Ganzen der Bibel von zentraler Bedeutung sind.“ Das ist eine Behauptung, die sowohl biblisch als auch hermeneutisch zu kritisieren ist. Die historischen Kontexte der Bibelstellen, in denen es zum Beispiel um Abhängigkeitsverhältnisse geht, können nicht einfach mit heutigen gesellschaftlichen Kontexten und dem verantwortlichen Handeln homosexueller Christen in eins gesetzt werden.
In der Ablehnung des ordinierten Dienstes homosexueller Christen wird so quasi ein Segment des Verhaltens von Menschen herausgesprengt und zu der anthropologisch exklusiv definierenden Eigenschaften bestimmt. Der Begriff „widernatürlich“ macht deutlich, dass er nicht Homosexualität beschreibt und wahrnimmt, sondern sofort ein Handlungssegment eines Menschen wertet. Dies ist aber mit dem biblischen Blick auf die ganze Person, die Sünder ist, nicht übereinzubekommen.
Der Menschenfreundlichkeit Gottes, wie ich sie in der Schrift bezeugt sehe, steht hier ein ordnungstheologischer „Schöpfungsbegriff“ gegenüber, den ich theologisch als Relikt natürlicher Theologie für überholt halte. Dieser Begriff hat uns kirchengeschichtlich in manche Problematik hineingeführt. Dagegen werden die drei V (verbindlich, verlässlich, verantwortlich), die wir sowohl für die Ehe als auch gleichgeschlechtliche Partnerschaften als konstitutiv ansehen, und deren theologische Grundlegung sowie ihre Praxis ausgeblendet.
Symbolfrage wird Geschwistern nicht gerecht
3. Die Gegner der bereits in vielen Kirchen selbstverständlichen Praxis, Christen homosexueller Orientierung Pfarrdienst leisten zu lassen, machen diese theologisch unterschiedlich zu beantwortende Frage zu einer Symbolentscheidung. Dies wird weder dem Thema noch den davon betroffenen Schwestern und Brüder im Dienst gerecht. Symbolfragen verweisen grundsätzlich immer auf einen grundlegenden Konflikt hin, treffen in ihrer zugespitzten Diskussion aber immer konkrete Menschen.
Gerade dies ist der Verdienst der Bischöfe Werner Krusche, Christoph Demke, Axel Noack und Christoph Kähler, dass sie diese bestimmte Menschen zutiefst treffende Frage nicht polarisierend in der Öffentlichkeit diskutiert haben, sondern theologisch und seelsorgerlich an den für diese Fragen passenden Orten bedacht und gemeinsam mit anderen umgesetzt haben.
Christus ist die Mitte
4. Mit Paulus sind wir gefordert, Spannungen zwischen Starken und Schwachen im Glauben auszuhalten. Die Frage angesichts des Streites um die Speisegebote ist für Paulus nicht: Wer hat recht? Sondern: Wenn Christus die Mitte ist, wie geht ihr miteinander um? Es geht nicht um Beliebigkeit, sondern es gilt innerkirchlich wie in der Ökumene: Gegenseitige Rücksichtnahme ist angesagt.
Unsere Position mutet allen Seiten in der Kirche etwas zu - den homosexuellen Pfarrern selbst genauso wie denen, die Schwierigkeiten damit haben. Gemeinsam gilt es diese Zumutung fröhlich auszuhalten.
Oberkirchenrat Dr. Christian Frühwald ist als Personaldezernent der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland für die Ausbildung, die Planung, den Einsatz und die Personalentwicklung aller Mitarbeitenden im Verkündigungsdienst zuständig.