Es geht gen Süden. In der sudanesischen Hauptstadt Khartum werden bergeweise Teppiche und Matten, Schränke und Stühle, Wasserbehälter und Kochgeschirr auf Lastwagen festgezurrt. Zehntausende Südsudanesen machten sich in den vergangenen Wochen schon auf den Weg in die alte Heimat, Hunderte Kilometer weiter südlich. Am Sonntag glauben sie sich politisch am Ziel. Dann beginnt die Abstimmung des Südsudan über die staatliche Unabhängigkeit.
Viele Menschen aus dem Süden waren vor dem Bürgerkrieg (1983-2005) in den Nordsudan geflohen. Seit Kriegsende kehrten zwei Millionen Menschen zurück, wie die Vereinten Nationen schätzen. Mancher Heimkehrer erinnert sich nach all den Jahren kaum noch an den Ort seiner Herkunft. Bei anderen ist "Heimat" nur der Wohnsitz der Großfamilie.
Teil des Friedensabkommens
Trotzdem wollen Zehntausende in den Südsudan. Denn mit der Abstimmung erfüllt sich aus ihrer Sicht das Kriegsziel: Die Bevölkerung kann bis 15. Januar darüber entscheiden, ob der Süden vom Norden unabhängig werden soll. Das Referendum ist Teil des Friedensabkommens von 2005. Damals vereinbarten die von Nordsudanesen dominierte Regierung und die Rebellen der Sudanesische Volksbefreiungsbewegung (SPLM)) eine sechsjährige Übergangszeit und im Anschluss das Referendum. Seit dem Friedensschluss hat der Südsudan auch eine Teilautonomie mit einem eigenem Präsidenten, Salva Kiir.
In dem Krieg standen sich die Regierung im arabisch-muslimischen Norden und mehrere Befreiungsgruppen im afrikanisch-christlichen Süden gegenüber. Es ging aber nicht nur um die Religion, es wurde auch um Macht und Landbesitz gekämpft. Zuletzt stritt man zudem um die Einnahmen aus der Ölförderung. Das Öl wird im Süden und in der umstrittenen Region Abyei gefördert, die vom Nord- und vom Südsudan beansprucht wird. In einem eigenen Referendum sollen die Bewohner Abyeis entscheiden, wohin sie künftig gehören wollen.
Chaotische Rückkehr
Ursprünglich sollte das ebenfalls an diesem Sonntag der Fall sein. Doch in letzter Minute wurde der Termin verschoben, nachdem ein Konflikt zwischen Nomaden ausgebrochen war. "Die Situation in Abyei ist angespannt", sagte der UN-Sudan-Beauftragte Haile Menkerios an Silvester. Trotz der sechsjährigen Übergangsfrist verläuft die Rückkehr der Südsudanesen mit Bussen und Lastwagen chaotisch. "Sie werden irgendwo rausgelassen. Oft gibt es keine Wasserversorgung und kein Auffanglager", sagt Marina Peter vom Evangelischen Entwicklungsdienst, die das Ökumenische Forum Sudan in Europa koordiniert. Es sei tragisch, so in der vom Krieg zerstörten alten Heimat zu landen. Viele hätten dort keine Grundlage für einen wirtschaftlichen Neuanfang.
"Im Süden ist alles knapp. Durch die vielen Rückkehrer wird es noch knapper", sagt Adrian Edwards vom UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR. Denn im Südsudan wurden im vergangenen Jahr bereits mehr als 215.000 Menschen wegen lokaler Konflikte aus ihren Dörfern vertrieben. Hinzu kommen 333.000 Rückkehrer aus dem Exil. Das UNHCR nimmt an, dass sie alle auf längere Sicht von Hilfe abhängig bleiben. Der Südsudan ist stark unterentwickelt und verfügt auch heute noch kaum über staatliche Strukturen. Darüber könnte die Bevölkerung enttäuscht sein, doch die schleppende Entwicklung und die Korruption der entstehenden Behörden ist derzeit kaum Thema: "Im Süden denken alle nur an den Tag X", sagt Sudan-Expertin Peter, an den großen Tag des Referendums. Keiner wisse, was danach komme.
Kaum Zweifel über Abstimmungsergebnis
Kaum jemand zweifelt daran, dass eine Mehrheit der 3,9 Millionen registrierten Stimmberechtigten im Süden für die Unabhängigkeit stimmen wird. Trotz aller Beteuerungen bleibt ein Stück weit ungewiss, ob die Regierung von Präsident Omar Hassan al-Baschir in Khartum die Abspaltung akzeptieren wird. Ein neuer Krieg zwischen Nord und Süd im Sudan scheint aber unwahrscheinlich.
Umso größer ist die Gefahr lokaler Konflikte. Die Stimmung ist im ganzen Land aufgeheizt. "Im Norden ist die Angst der Menschen vor der Zukunft greifbar", erklärt Peter. "Ein nichtiger Anlass könnte einen Gewaltausbruch provozieren." Und im Süden wird nach dem "großen Tag" vermutlich die Enttäuschung kommen. Anhaltende Armut, Landkonflikte und Wut auf einen untätigen Staat könnten Gewalt provozieren.