Falk Hafendörfer, Bäckermeister einer alteingesessenen Stuttgarter Konditorei weiß, was seine Kunden besonders mögen: "Bei uns wird der saftig gefüllte Elisenlebkuchen stark nachgefragt. Dann kommen die normalen klassischen Honigkuchen – mit Honig satt und vielen Gewürzen drin."
Ob Elisen, Magenbrot oder Basler Leckerli: Sie alle verbindet ein ähnlicher Grundgeschmack: Die verschiedenen Lebkuchenarten bestehen alle aus einem Grundteig mit Honig als Süßungsmittel, der am besten längere Zeit lagert. Als Triebmittel kommen Hirschhornsalz oder Pottasche hinzu, was den Lebkuchen ihren speziellen bitteren Geschmack gibt. Und natürlich die traditionelle, streng geheime Gewürzmischung des jeweiligen Bäckers: Darin enthalten sind vor allem Zimt, Nelken, Anis, zum Teil auch Kardamon, Koriander, Ingwer, Muskat und Fenchel.
Lebkuchen gelten als besonders bekömmlich. "Das liegt zum einen daran, dass die Teige so lange lagern", sagt Bäckermeister Hafendörfer, "und zum anderen an den weihnachtlichen Gewürzen: Ihre ätherischen Öle wirken verdauungsfreundlich und beruhigend."
Fastengebäck mit Migrationshintergrund
Der Name "Lebkuchen" geht nicht auf "Leben" zurück, sondern auf den lateinischen Begriff "libum" für "Fladen". Schließlich handelt es sich um ein flaches Gebäck. Im östlichen Deutschland hat sich die altertümliche Bezeichnung "Pfefferkuchen" erhalten: Im Mittelalter bezeichnete man alle exotischen Gewürze ganz allgemein als "Pfeffer".
Der sächsische Ort Pulsnitz in der Oberlausitz bei Dresden gilt als die Pfefferkuchenstadt schlechthin. Bis in die 1990er Jahre gab es in der Bundesrepublik nur die Berufsbezeichnung "Lebküchler". Dann aber schafften es die Pulsnitzer, auch den in Mitteldeutschland traditionellen Begriff "Pfefferküchler" in die Handwerksordnung eintragen zu lassen. Wer Deutschlands ältesten Weihnachtsmarkt – den Striezelmarkt in Dresden – besucht, sollte keinesfalls die Buden der Pulsnitzer Pfefferkuchenmeister versäumen.
Der Ursprung des Lebkuchens oder Pfefferkuchens liegt aber noch viel weiter östlich. Oder besser orientalisch, denn die Gewürze, die ihm den typischen Geschmack geben, stammen aus dem Nahen Osten. Gewürzte Honigkuchen gab es schon zur Zeit der alten Ägypter, wie man aus Grab-Beigaben weiß. Nach Europa kamen die Lebkuchen erst im 12. Jahrhundert: nämlich in den Satteltaschen eines armenischen Bischofs, der nach Frankreich flüchten musste.
Früher Fastenration, heute Gourmet-Trend
Im Deutschland des Spätmittelalters verbreitete sich die Lebküchlerei zunächst nur in großen Handelsstädten wie Nürnberg, denn die exotisch-orientalischen Gewürze waren damals noch selten und teuer. Der zunehmende Wohlstand dieser Städte machte den Zucker erschwinglicher und so wurde aus dem einst herzhaften Lebkuchen eine Süßspeise.
Lebkuchen wurden damals nicht nur in der Adventszeit verzehrt, sondern ganzjährig. Sie waren Bestandteil der Fastenküche: Wenn in Fastenwochen wie zum Beispiel im Advent alle tierischen Produkte vermieden wurden, gab es Lebkuchen – oft zusammen mit einem starken Bier. Auch wegen ihrer langen Haltbarkeit waren sie beliebt. Viele Klöster lagerten für Notzeiten Lebkuchen ein und verteilten sie dann an die Armen.
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Eher die höheren Schichten der Gesellschaft im Blick haben heute jene Restaurants, die ihren Gerichten Lebkuchengeschmack verleihen. "Der Trend geht immer mehr dahin, dass Lebkuchen in der Sterneküche und in der gehobenen Gastronomie verbacken oder verkocht werden", berichtet Bäckermeister Hafendörfer. "Das gibt es in allen möglichen Varianten: vom geeisten Lebkuchen bis hin zur Beigabe zu Rotkraut."
Der Lebkuchen – ein mitteleuropäisches Weihnachtsgebäck mit orientalischem Migrationshintergrund. Ohne den Import von Gewürzen aus der nahöstlichen Welt hätte es das deutsche Lebkuchenwunder nicht gegeben. Dieses Wunder lockt inzwischen sogar die Völker des Südens an, wie eine Lebkuchenverkäuferin auf dem Stuttgarter Weihnachtsmarkt erlebt hat: "Des Komische isch: Die Schweizer kaufe ihre Basler Läbkuche am gernschten hier bei uns im Schwabenland." Und sie hat auch gleich eine Erklärung dafür: "Zu 99 Prozent sinn unsere Läbkuche besser als ihre, weil wir Eins-A-Zutaten verwende – Zitronat, Orangeat, Nüsse, Rosinen. Sie dürfe gern auch ein'n probiere!"
Martin Rothe ist Freier Journalist, hat unter anderem Religionsgeschichte studiert und die Evangelische Journalistenschule in Berlin absolviert. Seine Schwerpunktthemen sind Kirche, Islam und Integration.