"King Eric" ruft zum Umsturz am Bankschalter auf

"King Eric" ruft zum Umsturz am Bankschalter auf
Der Ex-Fußballer Éric Cantona möchte mit Massengeldabhebungen an diesem Dienstag das Bankensystem zum Einsturz bringen - und den Kapitalismus gleich mit. Er ist überzeugt: "Für diese Revolution braucht man keine Waffen, und kein Mensch wird getötet."
06.12.2010
Von Thomas Östreicher

"Wenn 20 Millionen Menschen gleichzeitig ihr Geld von der Bank abheben, dann bricht das System zusammen", zeigte sich Cantona Anfang Oktober überzeugt. Er rief den 7. Dezember zum Tag des "Bank Run" aus. "Es geht gegen ein korruptes, kriminelles und tödliches System, gegen das wir uns entschieden widersetzen, so weit wie unsere Möglichkeiten, unsere Entschlossenheit und unser Respekt vor dem Gesetz es zulassen", heißt es auf der dazugehörigen Webseite bankrun2010.com.

Aufruf zum Bankensturm

Der ehemalige französische Superstar, der in den späten 80er Jahren zunächst mit Mannschaften aus Marseille und Montpellier und zwischen 1992 und 1997 für Manchester United große sportliche Erfolge feierte, wurde 2005 zum besten Premier-League-Spieler aller Zeiten gewählt. Seit dem Ende seiner aktiven Laufbahn trat er immer wieder an die Öffentlichkeit - mit politischen Äußerungen ebenso wie Werbeauftritten für Sportartikel, Autos oder Tee und als Schauspieler in einem guten Dutzend Spielfilmen. Zuletzt spielte er sich 2009 selbst in Ken Loachs britischer Fußball-Komödie "Looking For Eric".

Eine französisch-belgische Gruppe entdeckte das Potenzial der Äußerungen des Ex-Stars und rief im Internet eine Bewegung ins Leben mit dem Motto: "Revolution! Am 7. Dezember heben wir alle unser Geld von den Banken ab!" Mittlerweile haben Agenturmeldungen zufolge über die französische Facebook-Seite mehr als 36.000 Menschen ihre Beteiligung zugesagt. Auch Cantona, den seine Fans einst "King Eric" nannten, kündigte an, an diesem Dienstag sein Konto leerzuräumen.

"Ohne Waffen, ohne Blutvergießen"

Der "King" sieht das als eine radikale politische Aktion. "Ich glaube, wir können nicht glücklich sein, wenn wir all die Armut um uns herum sehen", so Cantona in einem Gespräch, das per YouTube abrufbar ist (siehe unten). Das Reden über eine Revolution sei "toll", doch "wir können nicht herumlaufen und Leute töten. Eine Revolution ist ganz einfach umzusetzen. Wenn man das System zerstören will, dann macht man das, indem man die Banken zerstört" - durch das gleichzeitige Geldabheben von Millionen Menschen. Das gehe "ohne Waffen, ohne Blutvergießen" ab. Und offensichtlich auch ohne etablierte Organisationen: "Den Gewerkschaften muss man manchmal mit Ideen unter die Arme greifen."

Dass das gleichzeitige Geldabheben vieler Bankkunden tatsächlich verheerende Folgen für die Finanzwirtschaft haben kann, ist nicht nur Theorie. 1931 verlangten ängstliche Sparer nach dem Zusammenbruch der Nationalbank überall in Deutschland ihre Guthaben aus Angst vor einem Totalverlust zurück - und verursachten damit genau das, wovor sie sich fürchteten, nämlich den Crash praktisch sämtlicher Institute.

2008: Blick in den Abgrund

Anfang Oktober 2008 war es fast wieder so weit: Auf dem Höhepunkt der internationalen Finanzkrise und mit der Fastpleite der Hypo Real Estate bangten Millionen Privatkunden um ihre Einlagen. Der Run auf die Bankschalter verstärkte sich täglich, den Banken gingen zeitweise die 500-Euro-Scheine aus, Tausende Geldautomaten in Nord- und Ostdeutschland gaben überhaupt kein Geld mehr aus.

"Wir waren sehr nah am Abgrund", brachte die "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung" ein halbes Jahr später den Ernst der Lage rückblickend auf den Punkt. "Schon eine kleine Meldung über erhöhte Bargeldabhebungen hätte ein Chaos auslösen können." Stattdessen traten Kanzlerin und Finanzminister am Sonntagmittag, dem 5. Oktober vor die Presse und Merkel verkündete knapp: "Wir sagen den Sparerinnen und Sparern, dass ihre Einlagen sicher sind. Die Bundesregierung steht dafür ein." Die Antwort auf die Frage, woher sie die im Fall des Falles nötigen mehr als 1000 Milliarden Euro genommen hätte, blieb sie schuldig. Seine Wirkung verfehlte der Auftritt jedoch nicht: Nach einer guten Woche beruhigten sich die Sparer, der "Bankenrettungsplan" der Bundesregierung vermittelte vielen das Gefühl von Sicherheit, der Total-Crash blieb aus.

Der gewollte Zusammenbruch

Die Aktivisten des "Bank Run" 2010 wünschen sich nun genau das Szenario, das vor zwei Jahren drohte: der schlagartige Zusammenbruch der Geldwirtschaft - und damit einhergehend nichts weniger als das Ende des kapitalistischen Systems, weil Geldströme, Kreditabwicklungen und das gesamte Überweisungssystem mit einem Mal versagen.

"Sind wir uns der wirtschaftlichen Folgen bewusst, die aus dem Erfolg unserer Aktion entstehen könnten?", heißt es rhetorisch auf der Internetseite der Aktivisten, die auch gleich eine - ausweichende - Antwort geben: "Wir sind uns besonders über die Folgen im Klaren, die das deregulierte und unkontrollierte globale Finanzsystem auf unsere Arbeitsplätze hat, auf unsere Gesundheit, unsere Bildung, unsere Renten, unsere Industrien, unsere Umwelt, unsere Zukunft, unsere Würde." Weiter heißt es: "Indem wir weiterhin unser hart und ehrlich verdientes Geld in dieses kranke System hineinpumpen, machen wir uns zu Komplizen der Diebstähle, der Verbrechen, der Kriege und des Elends, die Kriege erzeugen." Gefordert wird "die Schaffung einer Bürger-Bank - einer Bank, die den Menschen dient, einer Bank, die unser Geld freihält von der Krankheit der Spekulation".

Koffer nicht vergessen!

Eine verlockende Vision, nur: Dass es (neben manchen muslimischen Geldinstituten, die Kredite zinsfrei vergeben) ethisch arbeitende Banken längst gibt und als Alternative zur Crash-Attacke mittels Bargeldabhebung auch der simple Kontowechsel denkbar wäre, bleibt dabei unerwähnt. Ebenso die Tatsache, dass Kritiker dem Verbalrevolutionär Éric Cantona Heuchelei vorwerfen und spotten, er müsse schon Koffer zur Bank mitbringen, wenn er sein Bares verlange - angesichts der immensen Gagen, die der Antikapitalist als Werbestar in den vergangenen Jahren kassiert hat.

(mit Material von dpa)

Thomas Östreicher ist freier Mitarbeiter bei evangelisch.de.