Ein Dorf nimmt Abschied von zwei toten Kindern

Ein Dorf nimmt Abschied von zwei toten Kindern
Bodenfelde nimmt Abschied: Am Freitag wurde die 14-jährige Nina beigesetzt, am Samstag soll die Trauerfeier für den ebenfalls getöteten Tobias folgen. Der Täter, ein 26-jähriger Mann, hat den Doppelmord gestanden. Das Entsetzen über das Geschehen lähmt die Dorfbewohner noch immer - Bodenfelde wird nie mehr sein, was es einmal war, sagen sie.
26.11.2010
Von Kathrin Streckenbach

Die Trauer in Bodenfelde ist überall spürbar. Es ist kalt an diesem Freitagmorgen, das Wetter ist trüb, vereinzelt liegen Schneereste auf den Hausdächern. Am Straßenrand steht ein Meer aus Kerzen, Kuscheltiere liegen auf dem Gehweg, dazwischen immer wieder Plakate mit der Frage «Warum?». Es sind kaum Menschen auf den Straßen zu sehen, und die wenigen, die unterwegs sind, wirken betroffen und abweisend. Reden möchte an diesem Morgen niemand. "Wir sind zum Trauern hier", sagen sie, wenn man sie anspricht.

Dieser Freitag, das machen auch Bürgermeister Hartmut Koch und die Kirchenvorstände deutlich, gehört der Familie und den Angehörigen von Nina. Am Morgen findet in der kleinen Dorfkirche die Beerdigung des in der vergangenen Woche getöteten Mädchens statt, am Samstag soll der 13-jährige Tobias beerdigt werden. Rund 400 Verwandte und Freunde von Nina haben sich vor der Kirche zusammengefunden, deren Glocken minutenlang zur Trauerfeier rufen. Viele Gottesdienstbesucher sind selbst kaum älter als das ermordete Mädchen, die Schüler tragen Rosen in der Hand und versuchen, sich gegenseitig zu trösten.

"Somewhere over the rainbow"

Aus der Kirche klingt leise Musik, der Text von "Somewhere over the rainbow" ist zu hören. Das Innere des schlichten, kleinen Gotteshauses wirkt hell und freundlich, es will nicht so recht passen zu der Stimmung an diesem Morgen. Im vorderen Kirchenschiff steht ein schmaler Sarg, er ist mit weißen Blumen bedeckt, daneben brennen Kerzen. Marc Trebing, der Pfarrer der Gemeinde, bemüht sich in seiner Predigt, die Gefühle in der Gemeinde in Worte zu fassen. "Wir stehen hilflos, verzweifelt und sprachlos vor dieser grausamen Tat", sagt er. "Der Mörder hat Ninas Leben zerstört und auch unsere Leben tief getroffen."

Es ist schwer, in einer solchen Situation Worte des Trostes zu finden. Pfarrer Trebing erzählt von Nina, von ihren Hobbys und ihrer großen Tierliebe. Gesungen habe sie gerne, sagt er, auf ihr Äußeres geachtet, und sie sei gerne mit Freunden unterwegs gewesen. Auch über ihre Zukunft habe sie viel nachgedacht, was sie werden könnte, nach der Schule. "Und jetzt müssen wir viel zu früh Abschied von ihr nehmen", sagt Trebing.

Sexuelle Motive

Unterdessen hat ein 26-jähriger arbeitsloser Mann, der am Montag verhaftet worden war, die Tat gestanden. Vor dem Untersuchungsrichter am Amtsgericht Northeim habe der 26-Jährige umfassend ausgesagt, teilte die Staatsanwaltschaft Göttingen am Freitagnachmittag mit. Dabei gab er an, Nina aus sexuellen Motiven getötet zu haben. Das Mädchen habe seine Annäherungsversuche abgewehrt. Tobias habe er dann Tage später ermordet, um die erste Tat zu vertuschen. Der Junge sei in der Nähe des Ortes gewesen, wo Ninas Leiche lag. In dieser Situation habe Jan O. sich entdeckt gefühlt und deswegen Tobias umgebracht.

Wie sehr die Geschehnisse der letzten zwei Wochen alle im Dorf aufgerüttelt und entsetzt haben, wird vor allem nach dem Gottesdienst für Nina deutlich: Seite an Seite stehen die Einwohner von Bodenfelde am Straßenrand, sie bilden eine schweigende Menschenkette von der Kirche bis hin zum Friedhof. Jeder von ihnen hält ein Teelicht in der Hand, manche heben selbstgemalte Schilder hoch, "Wir setzen ein Licht gegen Gewalt" ist darauf zu lesen. "Wenn so etwas passiert, das schweißt zusammen", sagt Jan-Eric Müller-Zitzke, der mit seinem Bekannten Rainer Mescke zu der Aktion aufgerufen hatte.

Hoffnung auf Ruhe

Die Menschen in dem sonst beschaulichen 3.400-Seelen-Ort hoffen aber auch darauf, dass nach den Trauerfeiern wieder mehr Ruhe einkehrt. "Eine solche Tat kann man nicht einfach so wegwischen", sagt Bürgermeister Hartmut Koch nach der Beisetzung. "Aber das Leben wird weitergehen. Auch wenn es anders sein wird." Im Ort wolle man nun versuchen, das Geschehene irgendwie aufzuarbeiten. "Wir haben ein reges Vereinsleben und eine gute Dorfgemeinschaft, das kann vieles auffangen", sagt Jan-Eric Müller-Zitzke. "Aber Bodenfelde wird nie wieder das sein, was es einmal war."
 

dpa