Es war eine spannende Wahl: Vor 50 Jahren kandidierte der demokratische Senator John F. Kennedy gegen den amtierenden republikanischen Vizepräsidenten Richard Nixon um das US-Präsidentenamt. "Oh, Häschen, jetzt bist Du Präsident", habe Jacqueline Kennedy gegen halb elf Uhr abends nach der Stimmauszählung im Mittleren Westen zu ihrem Mann gesagt, berichtete Kennedys Haus-und Hof-Journalist Theodore White über den Wahlabend des 8. November 1960.
Aber das stimmte noch nicht ganz. Erst um halb zehn Uhr am Folgetag, Kennedy war nach der langen Wahlnacht noch im Schlafanzug, brachte sein Berater Definitives: Der 43-jährige Demokrat hatte gewonnen. Er wurde der jüngste gewählte Präsident der US-Geschichte - und der erste römisch-katholische.
Vatikanisches Schreckgespenst
Katholiken weit oben auf der politischen Leiter sind heutzutage in den USA selbstverständlich - Vizepräsident Joe Biden ist Katholik genauso wie Nancy Pelosi, die Sprecherin des US-Repräsentantenhauses. Vor fünf Jahrzehnten aber war das grundlegend anders und musste mühsam erkämpft werden.
Die USA waren protestantisch, mit einer katholischen Minderheit von nicht einmal 20 Prozent. "Und es existierte noch diese Angst vor den Katholiken", erläutert der Religionswissenschaftler Stephen Prothero. Das "Schreckgespenst einer vatikanischen Machtübernahme" geisterte jahrhundertelang durch die USA.
Der Protestantismus gehört zur Gründungsgeschichte der USA. Die britischen Kolonien und die durch Revolution 1776 entstandenen Vereinigten Staaten von Amerika waren auch Zufluchtsort für verfolgte protestantische Glaubensgruppen.
Verbot der politischen Betätigung
Doch manche Siedler waren selbst nicht sonderlich tolerant. Während die meisten Gründerväter eine Vermischung von Politik und Glauben ablehnten, erließen viele US-Bundesstaaten anfangs religiöse Vorschriften. In New York etwa durften Katholiken Ende des 18. Jahrhunderts keine politischen Ämter ausüben.
Nichts habe streitende protestantische Geistliche schneller versöhnt als ihr "gemeinsamer Hass auf die Kirche Roms", heißt es im Standardwerk "American Catholicism". Protestanten bezweifelten, dass die vermeintlich "Rom-hörigen" Katholiken die neue Republik verteidigen würden.
Als dann noch Mitte des 19. Jahrhunderts viele bettelarme Katholiken aus Irland in die USA kamen, schienen sich die schlimmsten Befürchtungen zu bestätigen. Sie wurden von den Protestanten verspottet und gleichzeitig gefürchtet, galten als ungehobelte und nicht anpassungswillige Ausländer.
Kennedys aus Irland
Unter den irischen Einwanderern waren auch John F. Kennedys Großeltern. Sein Vater Joseph brachte es in den 20er Jahren mit Aktiengeschäften zu einem sagenhaften Vermögen. Doch als er 1929 sein Haus in Hyannis in Massachusetts kaufte, zeigten die Nachbarn ihm die kalte Schulter.
Ein Jahr zuvor hatte erstmals ein Katholik für das US-Präsidentenamt kandidiert. Al Smith verlor nach einer Schlammschlacht voller anti-katholischer Vorurteile. Smiths Kandidatur sei "der Höhepunkt der katholischen Kampagne, Amerika zu beherrschen", schimpfte Senator Thomas Heflin aus Alabama. Es gebe "Geheimanweisungen" aus Rom.
Kampf gegen alte Vorurteile
Während des Zweiten Weltkrieges veränderte sich dann viel. Millionen Katholiken dienten in Uniform, auch John F. Kennedy, der als Marineleutnant im Pazifik verwundet wurde.
Im Wahlkampf aber hatte er mit den alten Vorurteilen zu kämpfen: Auf einer Veranstaltung in West Virginia wurde er von einer Frau auf seine "religiöse Tauglichkeit" angesprochen. Er sei voll und ganz für die Trennung von Kirche und Staat, entgegnete der Kandidat, und es sei wichtig, seine Kirchenzugehörigkeit offen anzusprechen.
Im August 1960 erklärten 150 leitende protestantische Geistliche, Protestanten müssten es sich doch genau überlegen, ob ein Katholik ins Weiße Haus einziehen sollte. Der Südliche Baptistenverband, eine der größten US-Kirchen, beschloss gar eine Resolution gegen Kennedy. Protestantischer Darling war der Republikaner Richard Nixon, ein Freund des Baptistenpredigers Billy Graham.
Bei politischen Fragen "spreche ich nicht für meine Kirche"
Im September 1960 wagte sich Kennedy in die Höhle des Löwen: Er sprach bei einer Konferenz des protestantischen Pastorenverbandes von Houston. Er sei nicht der katholische Präsidentschaftskandidat, sagte Kennedy, sondern der Kandidat der Demokratischen Partei, der zufälligerweise auch katholisch sei. Und er stellte klar: Bei politischen Fragen "spreche ich nicht für meine Kirche, und meine Kirche spricht nicht für mich." Auf diesen Grundsatz berufen sich noch heute US-Politiker bei Fragen über ihren Glauben.
Mit der Wahl John F. Kennedys vor 50 Jahren sind die Katholiken angekommen im politischen Amerika. Heute hat die römisch-katholische Kirche in dem Land mehr als 68 Millionen Mitglieder und ist vor allem infolge der Zuwanderung aus Lateinamerika die größte Kirche in den USA. Sechs der neun Obersten US-Richter sind Katholiken. Religion und Glauben aber sind weiter im Umbruch. Nicht-christliche Religionen wie der Islam wachsen, und der Anteil der US-Amerikaner ohne oder zumindest ohne feste Glaubenzugehörigkeit wird größer.