Die weibliche Seite des deutschen Judentums

Die weibliche Seite des deutschen Judentums
Erstmals seit 75 Jahren wird in Deutschland wieder eine Frau zur Rabbinerin ordiniert. Die 31-jährige Alina Treiger tritt in die Fußstapfen der berühmten Berlinerin Regina Jonas. An der Ordinationsfeier am Donnerstag in der Hauptstadt nimmt auch Bundespräsident Christian Wulff teil.
04.11.2010
Von Yvonne Jennerjahn

Sie hat es geschafft. Alina Treiger hat Deutsch und Hebräisch gelernt, Tora und Talmud studiert und dabei noch eine Universitätsausbildung abgeschlossen. Im Jahr 2004 hat die heute 31-Jährige ihr Studium am liberalen Potsdamer Abraham-Geiger-Kolleg begonnen. An diesem Donnerstag wird die gebürtige Ukrainerin in Berlin zur Rabbinerin ordiniert - als erste Frau in Deutschland seit 75 Jahren.

"Ich bin nicht die ganz erste", sagt die schmale Frau mit den rötlich-blonden Haaren bescheiden und lacht. In Deutschland gibt es bereits drei weitere Rabbinerinnen. Doch die wurden in anderen Ländern ausgebildet und haben dort ihre Anerkennung erhalten.

Die Berlinerin Regina Jonas war 1935 die weltweit erste Frau, die zur Rabbinerin ordiniert wurde. Ausüben konnte sie ihren Beruf nur mit Einschränkungen, weil die jüdischen Gemeinden sie nur als Religionslehrerin akzeptierten. 1942 wurde Regina Jonas von den Nazis zusammen mit ihrer Mutter nach Theresienstadt deportiert und 1944 in Auschwitz ermordet.

An alte Traditionen anknüpfen

Mit der Ausbildung liberaler Rabbiner und der Ordination von zwei weiteren Absolventen am Donnerstag, Konstantin Pal und Robert Ronis, will das Abraham-Geiger-Kolleg zur Erneuerung des Judentums beitragen und an die Tradition anknüpfen, die der Holocaust zerstört hat. "Wir müssen an diese Geschichte wieder den Anschluss finden", betont Rektor Walter Homolka. "Das tun wir hier."

Alina Treiger wird künftig für die jüdischen Gemeinden in Delmenhorst und Oldenburg arbeiten. Dort ist man bereits seit längerem an Frauen im Rabbineramt gewöhnt, denn dort hat sich von 1995 bis 2004 Bea Wyler um die Gemeinden gekümmert - als erste jüdische Geistliche in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg.

Dass sie als Frau im orthodoxen Judentum nicht als Rabbinerin anerkannt wird, stört Alina Treiger nicht. "Ich habe diese Lebensart nicht", sagt sie freundlich und diplomatisch. "Ich toleriere ihre Meinung, ich kämpfe nicht um diese Anerkennung."

Elternhaus ohne Religion

Ihr Weg zum Rabbineramt war kein selbstverständlicher. In ihrem Elternhaus in Poltawa in der Ukraine habe Religion keine Rolle gespielt, erzählt sie. "Es gab keine Gebete, keine Synagoge, keine Rabbiner." Dass sie Jüdin war, sei ihr trotzdem klar gewesen, betont sie: Durch Feste, Hochzeitsbräuche, Geschichten von Verwandten. "Seit ich Kind war, wusste ich das."

Dann kam der Zusammenbruch der Sowjetunion und das jüdische Leben wurde lebendiger. An die erste Schabbatfeier erinnert sie sich, mit Kerzen und Tee. "Keiner wusste, was man weiter macht", erzählt sie. Es wurden Lieder gesungen, von denen sie erst viel später erfahren hat, dass es keine Lieder, sondern Gebete waren. Da wollte sie mehr über die jüdische Religion wissen, hat sich in Gemeinden engagiert und das Reformjudentum kennengelernt.

Seminar vor zehn Jahren eröffnet

Und dann hat ihr jemand vorgeschlagen, zum Studium nach Deutschland zu gehen und Rabbinerin zu werden. "Da war ich 20 Jahre alt", sagt sie. Und sie hat es getan. "Ich wollte das Judentum auch auf einem professionellen Niveau erlernen." Rund 30 Rabbinerinnen und Rabbiner aus der ganzen Welt werden ihr nun am Donnerstag mit einer Urkunde bestätigen, dass sie das geschafft hat und ihr Amt ausüben darf, als Seelsorgerin arbeiten und Gottesdienste leiten kann.

Und das Abraham-Geiger-Kolleg kann zugleich ein weiteres Jubiläum feiern: Vor zehn Jahren wurde das Rabbinerseminar eröffnet, am 12. November 2000. Sechs Jahre später wurden die ersten Absolventen ordiniert. Fünf Frauen und 17 Männer werden dort derzeit zu Rabbinern und Kantoren ausgebildet.

epd