Familienministerin Kristina Schröder kritisiert die "Deutschenfeindlichkeit" bei muslimischen Jugendlichen und fordert Konsequenzen. Schnelle Verurteilung bei Straftaten und – in letzter Konsequenz – auch Abschiebung.
Spätestens seit Thilo Sarrazin ist die Ausländerdebatte in Deutschland wieder entbrannt. Wer wie unlängst Horst Seehofer von der "deutschen Leitkultur" redet, erhält breite Zustimmung in der Bevölkerung. Dass muslimische Jugendliche Deutsche auf Schulhöfen und U-Bahnen anpöbeln, zur Gewalt neigen und sich der Integration verweigern, sind Erfahrungen, die einige Menschen in Deutschland machen. Aber Deutschland hat dennoch kein Ausländerproblem. Deutschland hat nicht einmal ein Problem mit dem Islam. Deutschland hat ein Unterschichtenproblem.
In Düsseldorf gibt es sehr viele Japaner, die in einer eigenen Subkultur leben. Sie haben japanische Geschäfte, japanische Ärzte, japanische Schulen. Viele sprechen auch kein deutsch und viele sind keine Christen. Niemand hat ein Problem mit Japanern in Düsseldorf, obwohl sie nicht integriert sind. Warum? Weil die Japaner in Düsseldorf in der Regel nicht aus der Unterschicht kommen. Sie pöbeln keine Menschen in der U-Bahn an, sie werden nicht kriminell.
Häufiger kriminell
Dass Menschen, die aus sozial schwachen Schichten kommen, häufiger kriminell werden - vor allem überdurchschnittlich oft Gewalttaten verüben - ist hinlänglich untersucht. Dass Mitbürger mit Migrationshintergrund, die überproportional aus sozial schwachen Schichten stammen, häufiger in der Kriminalstatistik auftauchen, lässt sich im Kern allein mit diesem Zusammenhang erklären.
Bevölkerungsgruppen neigen dazu, sich gegen andere Gruppen abzugrenzen, um die eigene Identität zu wahren und das eigene Selbstwertgefühl zu steigern. Das Bewusstsein "Wir sind nicht wie Gruppe A" stärkt das Gemeinschaftsgefühl der Gruppe B. Ein Prinzip, das gerade Politiker zur Mobilisierung ihrer eigenen Wähler immer wieder anwenden. Konservative Parteien setzen im Wahlkampf oft darauf, Ängste gegen Minderheiten wie Ausländer zu schüren, um sich so Wählerstimmen zu sichern – siehe Roland Koch 1999. Links-alternative Parteien wiederum mobilisieren oft, indem sie Neidreflexe auf Gutverdienende bedienen. Gerhard Schröder machte 2005 auch Wahlkampf mit einem in Deutschland weiterhin verbreiteten Antiamerikanismus.
Negative Abgrenzung
Durch die – leider oft negative - Abgrenzung gegen eine andere Gruppe, wird der innere Zusammenhalt gestärkt. Umgekehrt steigert die Abgrenzung aber auch die Zusammengehörigkeit der Ausgegrenzten. Gegenseitige Feindbilder werden wechselseitig manifestiert. Dies ist ein Teufelskreis, der schwer zu durchbrechen ist.
Unterschichten sind für Demagogen besonders anfällig. Sie spüren, dass sie "nicht dazugehören" und polieren ihr eigenes Selbstwertgefühl auf, indem sie sich an Werten und Normen orientieren, die mitunter speziell für die jeweils eigene Gruppe sind. Für Dämagogen, die Feindbilder schaffen und so das Selbstwertgefühl der Unterpreviligierten steigern, sind Unterschichten oft leichte Beute. Dass sich ausländische Jugendliche gegen Deutsche vor allem durch ihre Religion abgrenzen, ist naheliegend. Kristina Schröder hat also Recht, wenn sie feststellt, dass bestimmte Strömungen des Islam Teil des Problems sind. Gleichzeitig mobilisiert sie als Politikerin ihre Anhänger aber mit demselben psychologischen Prinzip, mit dem auch Islamisten ihre Anhänger hinter sich scharen.
Abgrenzungstendenzen finden sich im Übrigen auch in der deutschen Bevölkerung und auch hier besonders stark in der Unterschicht. Viele sozial schwache Deutsche steigern ihr Selbstwert- und Zusammengehörigkeitsgefühl aber eher durch Hass auf Ausländer, Juden oder Homosexuelle.
Problem der Ausgrenzung
Der "Abgrenzungshass", der - wie das Beispiel der Judenverfolgung zeigt - extreme und erschreckende Wirkkräfte entfalten kann, ist in Deutschland also kein neues Phänomen. Der "normale Deutsche" war von diesem Hass nur bislang selten betroffen, deshalb hat er ihn als weniger störend empfunden. Dadurch, dass sich nun aber eine zahlenmäßig relevante Unterschichtengruppe ausgerechnet durch Hass auf Deutsche abgrenzt, spürt nun auch der "normale Bundesbürger", was es bedeutet, ausgegrenzt zu werden.
Zynisch ausgedrückt könnte man sagen, dass der Durchschnittsdeutsche nun um eine Erfahrung reicher ist, die bislang nur andere Gruppen (Juden, Homosexuelle, Ausländer etc.) in Deutschland gemacht haben. Wünschenswert wäre, dass sich diese Erfahrung nicht nur in einer stärkeren Abgrenzung gegen jugendliche Ausländer äußert, sondern auch in einer größeren Sensibilität für das, was Minderheiten schon seit Jahren in Deutschland erleben.Wünschenswert wäre auch, dass sich die verschiedenen Gruppen nicht durch die Bildung von Feindbildern untereinander abgrenzen, sondern - wenn überhaupt - durch positive Unterschiede. Hier sind die Eliten der Gruppen gefragt, das gilt auch für den Islam.
Wenn Frau Schröder ankündigt, neue Erzieherstellen an Kindertagesstätten mit hohem Migrationsanteil einzurichten, packt sie das Problem übrigens tatsächlich an der Wurzel. Bildung und Teilhabe ist der Schlüssel, um Abgrenzungshass einzudämmen. Wer nur auf eine Gruppe eindrischt, stärkt nur ihren inneren Zusammenhalt. Wer die deutsche Leitkultur predigt, trägt indirekt dazu bei, dass sich bestimmte Gruppen von dieser "Leitkultur" – was immer das sein mag – weiter entfernen. Das ist der Preis, den man dafür zahlt, die eigene Gruppe hinter sich zu versammeln.
Henrik Schmitz ist Redakteur bei evangelisch.de