"Die Blätter fallen, fallen wie von weit", heißt es bei Rilke: Herbstlaub leuchtet am Montag golden durch die großen Fenster des Hamburger Michel und ergänzt die griechischen Ornamente in dem barocken Prachtbau. Die Stimmung vor der Trauerfeier für Loki Schmidt ist gemessen und gelassen, gemischt mit ein wenig Heiterkeit und Neugier auf die Prominenz. Lampen erinnern an bürgerliche Wohnlichkeit – der Michel ist nicht nur Kirche, sondern auch die gute Stube der Hansestadt. Abgesehen davon gibt es für Versammlungen dieser Größenordnung in Hamburg gar keinen anderen Ort.
Zu Beginn, wie als Kontrast, ein magischer Moment. Die Prominenz mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU), ihrem Vorgänger Gerhard Schröder (SPD) und den Ex-Präsidenten Richard von Weizsäcker und Horst Köhler an der Spitze hat die Plätze eingenommen, die Musik setzt ein, ein Vorhang links vom Altarraum öffnet sich und Helmut Schmidt wird hereingeschoben, tief in einen Rollstuhl versunken. Der Witwer wirkt wie zerbrochen. Alle erheben sich von ihren Plätzen, wie elektrisiert, niemand hat ein Zeichen dazu gegeben. Eine solche Geste, das ist zu spüren, entfaltet nur in einer Kirche ihre volle Kraft und Sinnlichkeit. Der Michel ist der richtige Ort. Er balanciert das Verhältnis von Heiterkeit und Ergriffenheit richtig aus.
Weder bürgerlich noch religiös
Findet die protestantische Idee der Heiligung des Alltags ihre Entsprechung im Gedanken der Verbürgerlichung der sakralen Sphäre, wie es im Michel den Anschein hat, noch dazu am katholischen Allerheiligentag? Loki Schmidt ist ein denkbar schlechtes Beispiel für solcherlei Thesen, ihr Elternhaus war weder bürgerlich noch religiös. Als Arbeiterspross und "Heidenkind" in Hamburg geboren, lernte sie als Zehnjährige den gleichaltrigen Helmut Schmidt kennen. Sie wird Lehrerin, Naturkundlerin, Kanzlergattin. Ihre uneitle Art, gepaart mit hanseatisch spröder Herzlichkeit, macht sie zu einer der beliebtesten Frauen in Deutschland.
68 Jahre waren Helmut und Loki Schmidt verheiratet. Von einer "Jahrhundertliebe" schrieben Journalisten des öfteren, gepaart mit Treue, mit gegenseitiger Zuneigung und stetem Respekt. Dies hob Hamburgs Bürgermeister Christoph Ahlhaus ("Loki Schmidt war so, wie sich unsere Stadt gerne sieht") in seiner Traueransprache hervor. Die besondere Ehe der Schmidts, so der CDU-Politiker mit kulturkritischem Impetus, sei zum Vorbild geworden "in einer Zeit, in der unbedingtes Füreinander-Einstehen leider zur Seltenheit geworden ist".
Taufe vor der Hochzeit
So eng der eheliche Zusammenhalt, so locker die Haltung zur Religion. "Bei mir sind Bindungen an Gott nie gewesen", sagte Loki Schmidt einmal, die sich nur deshalb evangelisch taufen ließ, um 1942 ihren Helmut kirchlich heiraten zu können. Allerdings hegte sie Bewunderung für die Haltung der Kirchen in der NS-Zeit und erkannte an, dass der christliche Glaube vielen Menschen helfen könne. Und die Existenz einer "übergeordneten Macht", die das Gefüge der Welt zusammenhält, wollte auch sie nicht abstreiten. Nur müsse man die nicht Gott nennen.
Angst vor dem Tod? Fehlanzeige bei dieser starken Frau. "Man verschwindet körperlich nicht", unterstrich die leidenschaftliche Naturkundlerin Loki Schmidt. "Man bleibt der Erde auf eine völlig anderer Weise erhalten. Und das finde ich, ist ein tröstlicher Gedanke." Am liebsten, so hatte sie jüngst geäußert, würde sie gemeinsam mit Helmut "davongehen". Ihr Mann aber antwortete gewohnt knurrig, sie habe nicht zu bestimmen, wann einer von beiden "den "'Aufenthaltsort ändert", wie er es nannte.
Schon Lichtjahre von allem entfernt
Nun ist Lokis Aufenthaltsort unbestimmt. Der Mensch, dessen sterbliche Hülle bei der Trauerfeier im von cremefarbenen Lilien bedeckten Sarg liegt, ist schon Lichtjahre von allem entfernt. Auch vom Trauerprediger Eduard Lohse, ehemaliger Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Er hält eine recht fromme Ansprache, bekundet "verehrungsvollen Respekt" für Lokis Taufe und sagt ansonsten Sätze wie: "Unsere Erdenzeit unterliegt gesetzten Maßen." Schon Loki Schmidt konnte sich herzlich über unpersönliche Ansprachen zu Begräbnissen aufregen.
Ein Freund der Familie Schmidt, Ex-Bürgermeister Henning Voscherau (SPD), sorgte am Ende für große Ergriffenheit. "Wir nehmen Abschied von einer großen Frau – und von unserer Freundin Loki" sagte er und erzählte die Geschichte, wie sie ihn bereits vor einigen Jahren als Trauerredner engagiert hatte: "Kann man bei dir noch Bestellungen abgeben?" Voscherau zitierte den Schluss von Rilkes Blättergedicht ("Und doch ist einer, welcher dieses Fallen unendlich sanft in seinen Händen hält") und endete mit den Worten: "Falle sanft, Loki, und ruhe sanft. Wir werden dich nicht vergessen." Dann wurde der Sarg aus der Kirche getragen.
Bernd Buchner ist Redakteur bei evangelisch.de und zuständig für die Ressorts Politik und Religion.