"Es geht in den volkstümlichen Schlagern nicht um Glauben"

"Es geht in den volkstümlichen Schlagern nicht um Glauben"
Was ist von den christlichen Anklängen in der Volksmusik zu halten? Die Musikwissenschaftlerin Mechthild von Schoenebeck sieht den Trend mit gemischten Gefühlen.
15.10.2010
Die Fragen stellte Uwe Birnstein

In vielen volkstümlichen Schlagern ist der christliche Glaube Thema. Eigentlich könnten sich die Kirchen doch freuen über diese musikalischen Missionare.
Mechthild von Schoenebeck: Ich denke, das ist ein Fehlschluss. Es geht in den volkstümlichen Schlagern nicht um Glauben, sondern um bestimmte Zeichensysteme, die allesamt mit Heimat zu tun haben. Da sich die Sendungen vornehmlich an Ältere richten, kommen religiöse Anspielungen durchaus vor, denn für ältere Zuschauer, in deren Erziehung Religion noch vorkam, sind bestimmte Zeichen durchaus mit Glauben verbunden. Aber das ist nicht mehr als Oberfläche, nicht mehr als Projektion und Illusion und geht auf keinen Fall tiefer. Glaube ist auch unbequem. Wenn deutlich würde, dass Glaube auch Verantwortung bedeutet, würden diejenigen sofort aussteigen, die nur Bequemlichkeit, Rückzugsgebiet und Projektionsflächen für ihre Wünsche suchen.

Dieser Befund ist ein Ergebnis wissenschaftlicher Untersuchungen volkstümlicher Schlager, die Sie vor einigen Jahren durchgeführt haben.
von Schoenebeck: Ja. Ich erinnere mich zum Beispiel an ein Lied von Judith und Mel, das "Nordlicht am Himmel, vom Herrgott gemacht". Da wurde das Nordlicht als Zeichen für das Numinose, für göttliche Einflüsse gesetzt. Das war's dann aber auch schon. Und dann gab es eine ganze Reihe von Texten, die sich um Maria drehten. Da gab's irgendwelche Madonnenstatuen am Gardasee, die besungen wurden. Aber auch nur als wundertätig oder als Zufluchtsort, nie ging es wirklich um Glaubensfragen oder Glaubenssätze.

"Es ist alles Heimat"

Was fasziniert denn so viele Menschen am volkstümlichen Schlager?
von Schoenebeck: Es ist alles Heimat: die einfachen Melodien, die Strophenformen. Es sind die Volksinstrumente, die man sieht: Akkordeon, Trompete und so weiter. Es sind die Trachten oder Pseudotrachten, in denen man bestimmte Regionen wiedererkennen zu können glaubt, es sind die Produkte, die in den Sendungen beworben werden, also Schinken und Bier und Schnaps. Und es sind nicht zuletzt auch die Landschaften selbst, all das muss man ja zusammen sehen. Es sind nicht nur die Texte, die sowieso nicht von allen Leuten verstanden werden. In den Refrains, die man sich grad noch merken kann, müssen Reizworte drinstehen. Wenn dann der "liebe Gott" drin vorkommt oder "Maria dell weiß ich wo", dann glauben die Leute vielleicht, es hätte etwas mit Religion zu tun. Aber liest man die Texte weiter, ist das nicht so.

Die Kirche will doch dem Volk aufs Maul schauen. Vielleicht ist die Kirche zu verkopft, hat zu hohe intellektuelle Ansprüche an Musik?
von Schoenebeck: Ich glaube nicht, dass die Kirche sich einen Gefallen damit tut, wenn sie auf bestimmtes musikalisches und textliches Niveau heruntergeht. Diese Texte der volkstümlichen Schlager, und mag noch so viel "Madonna" oder "Herrgott" drin vorkommen, sind keine literarisch wertvollen Produkte. Das sind Tagesprodukte, die werden rausgehauen, mal mehr, mal weniger gut und sprachlich interessant. Aber sie bestehen keinen Vergleich zum Beispiel mit den einfachen, aber anspruchsvollen und mehrschichtigen Texten von Paul Gerhardt.


Prof. Mechthild von Schoenebeck (Jahrgang 1949) unterrichtet Musik und ihre Didaktik an der Universität Dortmund. Zu ihren Fachschwerpunkten gehört die Erforschung der populären Musik, insbesondere des Schlagers.