Sonja Domröse: "Frauen der Reformzeit"

Sonja Domröse: "Frauen der Reformzeit"
Beginn der neuzeitlichen Emanzipation: Pastorin Sonja Domröse erschließt in ihrem Buch "Frauen der Reformzeit" mit Hilfe von acht Biographien reformatorische Aussagen und Impulse.
14.09.2010
Von Johannes Neukirch

Die Bibel selbst in die Hand nehmen und sich ein eigenes Urteil bilden - darin liegt die zentrale Kraft der Reformation. Dies haben im 16. Jahrhundert nicht nur einige Herren Theologen begriffen, sondern auch gebildete Frauen. Sie haben das Schriftprinzip - wahr ist nur, was sich direkt aus der Heiligen Schrift herleiten lässt - konsequent umgesetzt und sich theologisch betätigt. Sei es als Liederdichterin (Elisabeth Cruciger), als Verfasserin von Flugschriften (Argula von Grumbach) oder als Fürstin, die die Reformation in ihrem Herrschaftsgebiet eingeführt hat (Elisabeth von Calenberg-Göttingen). Besonders den Verfasserinnen von Flugschriften kam die Erfindung des modernen Buchdrucks zu Hilfe, die die bezahlbare massenhafte Publikation erst möglich machte.

Sonja Domröse, Pastorin und Kommunikationsmanagerin, hat sich in ihrem Buch "Frauen der Reformationszeit" acht ganz unterschiedlich verlaufende Biographien bürgerlicher und adeliger Frauen vorgenommen. Sie sind verbunden durch die emanzipatorische Erkenntnis, dass sie durch eigene Lektüre Gottes Willen erkennen können. So widerlegen sie zum Beispiel das Schweigegebot für Frauen in der Gemeinde oder begründen ihren Austritt aus dem Nonnenkloster.

Ansätze der heutigen feministischen Theologie

Argula von Grumbach etwa, die "bekannteste Flugschriftenautorin der Reformationszeit" (S. 17) beweist großen Mut, wenn sie in einem Sendbrief die Professoren der Ingolstädter Universität zu einem Streitgespräch auffordert, obwohl das Diskutieren über Luthers Lehren in ihrem Gebiet verboten war. Die fränkische Adlige kannte nicht nur die Schriften Martin Luthers, sondern stand mit ihm und weiteren Reformatoren in regem Briefkontakt.

Oder Katharina Zell, "Predigerin und unerschrockene Bürgerin" (S. 45). Sie verteidigte öffentlich ihre Eheschließung mit Matthäus Zell, einem Prediger am Straßburger Münster. Sie kümmerte sich um Glaubensflüchtlinge und verfasste einen Trostbrief an deren zurückgebliebene Frauen. Auch sie hatte Kontakt nach Wittenberg und "mischte sich mit einem Brief an Luther direkt in den Abendmahlsstreit ein, indem sie dem Wittenberger Reformator nach dem Scheitern der Gespräche vorwarf, die Liebe untereinander nicht genug beachtet zu haben, denn sie sei wichtiger als alle Lehrstreitigkeiten" (S. 50). "Aus heutiger Sicht", so Domröse, "finden sich in Katharina Zells theologischem Werk bereits Ansätze zu den Anliegen der heutigen feministischen Theologie. So las sie die Heilige Schrift bewusst aus der Perspektive einer Frau, wie ihre theologischen Auseinandersetzungen mit den paulinischen Schriften deutlich machen." (S. 57)

Luthers "Ambivalenz in seinen Äußerungen zu Frauen"

In dem Kapitel "Martin Luther und seine Sicht der Frau" kommt auch der in seinen Tischreden manchmal derb frauenfeindliche Luther zu Wort. In seinen Schriften ist, so Domröse, "eine gewisse Ambivalenz in seinen Äußerungen zu Frauen festzustellen". (S. 140) Argula von Grumbach etwa nannte er in einem Brief eine "Jüngerin Christi" und ein "besonderes Werkzeug Christi" (S. 142). Luthers Lehre vom Priestertum aller Gläubigen ermutigte jedoch zweifellos viele Frauen, ihre Stimme öffentlich zu erheben.

Ambivalentes zeigt auch das Schlusskapitel "Auswirkungen der Reformation auf Leben und Stellung der Frau". Die Reformation brachte der Rolle der Ehefrau "eine ganz neuartige Achtung und Schätzung", schon allein weil die Reformatoren allesamt heirateten und damit die Ehe und die in ihr lebenden Frauen deutlich aufwerteten (S. 145). Auf der anderen Seite gab es keine Nachfolgeinstitution für die aufgelösten Nonnenklöster - "auch ein geistliches Leitungsamt für Frauen, wie es beispielsweise die Äbtissin einen Klosters innehatte, gab es auf evangelischer Seite nicht mehr. (...) Die Reformation hat für Frauen keine Ämter in der Kirche geschaffen, und es sollte Jahrhunderte dauern, bis sich dieses änderte." (S. 147)

Dieses leicht verständlich geschriebene Buch erschließt entscheidende reformatorische Aussagen und Impulse mit Hilfe der Frauen-Biographien und zeigt sehr gut, welche enormen Kräfte durch die neue Lehre freigesetzt wurden. Die hier beschriebenen Frauenschicksale sind Beispiele beginnender neuzeitlicher Emanzipation und geben einen Vorgeschmack auf den dann folgenden Siegeszug des Individuums.

Sonja Domröse, Frauen der Reformationszeit: gelehrt, mutig und glaubensfest, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2010, ISBN 978-3-525-55012-0, 157 Seiten, 16,90 Euro


Dr. Johannes Neukirch ist Pressesprecher der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers