Die Furcht vor Orkanen, Überschwemmungen und Erdbeben ist demnach so hoch wie nie zuvor. 64 Prozent der befragten Deutschen äußerten entsprechende Ängste - so eine jetzt veröffentliche Studie. Angst gehört zum Menschsein dazu. Interessant ist aber, dass selbst in unserer durch Technik geprägten Welt die Unbill der Natur noch immer Furcht verbreiten. Vielleicht rührt diese Angst aber auch daher, dass Naturgewalten deutlich machen, dass Menschen nicht alles kontrollieren können. Es gibt Mächte und Kräfte, denen sie schutzlos ausgeliefert sind.
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Neben Naturkatastrophen herrscht bei den Deutschen die größte Angst vor steigenden Lebenshaltungskosten und einer schlechten Wirtschaftslage - die Sicherung der eigenen Existenzgrundlage scheint für viele in Frage gestellt. Hier wäre der Vergleich mit anderen Ländern interessant. Leider gibt diese Studie keine Antwort darauf, was die Bevölkerung in den Ländern fühlt, die sich noch nicht von der Wirtschaftskrise erholt haben. Oder ist die Angst um den Lebensstandard größer, je höher der Wohlstand ist? Was unternehmen die Deutschen gegen ihre Angst? Interessant wären Untersuchungen, ob es in Deutschland mehr Versicherungen gibt. Oder steigt die Sparquote, weil man gegen die wirtschaftlichen Folgen von Arbeitslosigkeit finanziell abgesichert sein will? Oder wendet man sich der Religion zu, um so seine Sorgen zu bekämpfen?
Ist der Kirchenbesuch etwa ein Gradmesser, wie hoch die Existenzangst der Bevölkerung ist? Oder gilt, je höher die Kirchgangquote der Bevölkerung ist, desto geringer ihre Sorgen? Sind Amerikaner optimistischer in ihrer Grundhaltung, weil sie religiöser sind als die pessimistischen Deutschen, die von der "German angst" geprägt sind?
Natürlich müsste in unserer multikulturellen Gesellschaft auch der Moscheen- und Synagogen-Besuch in eine Analyse einbezogen werden. Vielleicht kommt es auch mehr auf die Ausprägung der Religiosität als auf die Religion an? Verspricht nicht der Fundamentalismus sichere Deutungsmuster?
Bedürfnis nach Sicherheit
Angst erzeugt jedenfalls ein Bedürfnis nach Sicherheit. Jedoch gibt es gegen viele Grundrisiken des Lebens eben keine Versicherungspolicen. Wo Versicherungen keinen Schutz bieten, suchen Menschen Halt in der Religion. Gerade zum Beginn und zum Ende des Lebens wird die Unverfügbarkeit der menschlichen Existenz sichtbar und die Unsicherheit spürbar. Rituale versuchen, Halt zu geben. Taufe - als rituelle Handlung verstanden - soll Schutz dem Kinde gewähren, wo Eltern den Lebensweg ihres Kindes nicht vorhersehen können. Ebenso soll am Ende des Lebens der Glaube an ein Jenseits hier im Diesseits die Angst vor dem Tode nehmen. Religionskritiker führen mit Recht an, dass Religion hier nur eine Funktion erfülle, sie befriedige das menschliche Bedürfnis nach Sicherheit, Religion sei das Gegenmittel gegen menschliche Grundangst.
Aus einer distanzierten religionsphilosophischen Sicht betrachtet mag diese Analyse stimmen, doch wie sieht aus einer Innensicht der Religion dieses Argument aus? Aus dem Selbstverständnis der christlichen Religion trifft diese Kritik jedoch nicht. Das Christentum versteht sich nämlich nicht als Daseinsstrategie für ein gesichertes Leben. Im Gegenteil.
Dies gilt nicht nur für das Neue Testament, sondern diese Haltung findet sich bereits in der Hebräischen Bibel, dem Alten Testament und gilt auch für das Judentum. Ein zentrales Motiv ist der Exodus - der Auszug des Volkes Israel aus Ägyptenland. Die Israeliten verlassen die Fleischtöpfe Ägyptens und machen sich auf in ein neues Land, in dem sie sich erst ihre Freiheit erstreiten müssen. Sie tauschen das geregelte Leben von Fronarbeitern gegen eine unsichere Zukunft, in der sie sich erst noch in ihrer Freiheit bewähren müssen. Sie machen sich auf den Weg, weil sie der Verheißung ihres Gottes Vertrauen schenken, ihr Glaube führt sie zum Aufbruch in ein neues Leben. Aufbruch statt gesicherte Existenz.
Die Welt ist überwunden
"In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden" - so heißt es in der Abschiedsrede Jesu im Johannesevangelium (Joh 16,33). Hier wird den Glaubenden kein bürgerliches Leben in Sicherheit versprochen, sondern ein zukunftsoffenes Leben in der Nachfolge Jesu. Ihre Familien, ihre Freunde, ihren Besitz, ihre Heimat und ihr Land verlassen Jesu Anhänger, um die Botschaft in die Welt zu tragen. Sich für Jesu Sache einzusetzen, lässt Neues wagen, denn die Welt - ihre Werte und Abhängigkeiten - sind überwunden. Wer sich so auf Jesus einlässt, wagt sich in eine Zukunft, die er nicht kennt. Bei diesem Aufbruch verheißt Jesus seinen Anhängern seinen Geist, den er auch Tröster oder Beistand nennt - und die christliche Theologie als Heiligen Geist bezeichnet.
Vor dem Hintergrund solch einer existenziellen Interpretation des christlichen Glaubens bezeichnet Karl Barth, der bekannteste protestantische Theologe des 20. Jahrhunderts, sogar Religion als Unglaube. Der Religion stellt Karl Barth den Glauben gegenüber. Der Glaube rufe die Menschen dazu auf, sich auf Gott einzulassen, ohne dass der Glaubende weiß, wohin ihn dieses Leben führt. Der Ruf Gottes ereilt den Menschen, der ihn aus festgefahrenen Bahnen wirft. Religion dagegen diene dazu, dem Menschen bei der Existenzbewältigung zu helfen, ihm Sicherheit zu geben - sie ist der Versuch, sich gegen Angst zu wappnen.
Christlicher Glaube ist - so verstanden - daher kein Mittel gegen Angst und keine Garantie für ein sorgloses Leben, sondern der Ruf, sich auf eine Zukunft einzulassen, die nicht vorherbestimmt ist, sondern von Gott empfangen wird.