Der rund 40-köpfige SPD-Landesvorstand beschloss am Montag bei einer Gegenstimme und einer Enthaltung, ein eigenes Parteiordnungsverfahren gegen den früheren Berliner Finanzsenator einzuleiten. Das gab der Berliner SPD-Chef Michael Müller nach einer intensiven, eineinhalbstündigen Debatte bekannt. Er begrüßte es ausdrücklich, dass auch die Bundes-SPD einen entsprechenden Beschluss gefasst hat.
Sarrazin war wegen seiner Thesen, vor allem muslimische Zuwanderer seien integrationsunwillig und in der Mehrheit dümmer als Deutsche, scharf in die Kritik geraten. Sarrazin warnte unter anderem vor einer Überfremdung Deutschlands. Auch seine teils zurückgenommene Behauptung, alle Juden teilten bestimmte Gene, löste Empörung aus.
"Wer dumm geboren ist, bleibt dumm"
Bei der Entscheidung gehe es nicht darum, eine kritische Debatte zur Integrationspolitik zu unterdrücken, betonte Müller. Vielmehr habe Sarrazin mit seinen jüngsten Äußerungen einen Punkt überschritten und gegen Grundsätze der Sozialdemokratie verstoßen. Müller bezog sich vor allem auf Sarrazins bildungspolitischen Ansatz, den die Berliner SPD nicht länger akzeptieren wolle.
Sarrazin sage im Kern, "wer dumm geboren ist, bleibt dumm", kritisierte Müller. Der Ex-Senator gehe von einer Klassengesellschaft mit einer Unter- und einer Oberschicht aus, die sich auch durch gleiche Bildungschancen für alle nach seiner Ansicht nicht verändere. "Dagegen kämpfen Sozialdemokraten seit 147 Jahren an. Wir wollen genau dieses Menschenbild nicht. Hier werden Grundsätze der Sozialdemokratie verletzt. Auf dieser Grundlage können wir nicht mehr mit Sarrazin zusammenarbeiten", betonte Müller.
Zugleich verteidigte der Berliner SPD-Landes- und Fraktionschef die Entscheidung der Länder Berlin und Brandenburg, ausgerechnet Sarrazin als Vorstandsmitglied für die Bundesbank nominiert zu haben. Der Berliner Senat habe mehr als sieben Jahre gut mit Sarrazin zusammengearbeitet, sagte Müller. "Er hat immer gern provoziert, aber da hat er sich in der Regel auf seine finanzpolitischen Themen beschränkt. Dass er sein Themenspektrum so erweitert, dass er jetzt meint, allumfassend Antworten geben zu können, das war nicht abzusehen", sagte Müller.
Er erinnerte an die Entscheidung der Landesschiedskommission der Berliner SPD vom März, die noch gegen einen Parteiausschluss von Sarrazin votiert hatte. Schon damals sei Sarrazin mit auf den Weg gegeben worden, dass dies kein Freibrief sei, weiterhin mit so provokanten Thesen aufzutreten. "Wenn Sarrazin dauerhaft gegen Grundsätze der Sozialdemokratie verstößt, ist keine Zusammenarbeit möglich", unterstrich der SPD-Vorsitzende.
Schnelle Entscheidung ist nicht zu erwarten
Das Parteiordnungsverfahren werde jetzt vom für Sarrazin zuständigen Kreisverband Charlottenburg-Wilmersdorf eingeleitet. Zuständig sei die Kreis-Schiedskommission, die ebenfalls schon einmal Sarrazin vor dem SPD-Rauswurf bewahrt hat. Eine schnelle Entscheidung sei nicht zu erwarten. Das könne Wochen dauern, so Müller.
Nach Medienberichten hat sich die Berliner SPD gegen ein Eilverfahren entschieden, da Sarrazin keine Parteiämter innehat, in denen er der SPD schaden könnte. Zudem könnte die Partei durch ein so beschleunigtes Verfahren Sarrazin einen Anfechtungsgrund liefern, weil es für ihn als einfaches Mitglied nicht verhältnismäßig sei. Sarrazin hat schon angekündigt, dass er gegen einen möglichen Parteiausschluss vorgehen würde.