Es gibt Gelächter, als Schneider von seiner Maschine erzählt: 250er BMW, Baujahr 56. Wohlgemerkt: Der dort auf der Bühne steht und erzählt, ist Präses Nikolaus Schneider, der höchste Mann in der Evangelischen Kirche. Dass er auf einem Motorrad gesessen hat, ist lange her. Aber: "Jeder Porsche sah alt aus gegen mich", sagt er. "Und ich saß bei jedem Wetter auf dem Moped. Dieses Gefühl vergisst man nie."
Zeche Zollerverin, Essen, Ruhrgebiet: Mehrere hundert Biker sind auf das Gelände der Kokerei gekommen, um das bundesweite christliche Biker-Festival zu feiern. Um gemeinsam zu essen, den Korso zu fahren und den Motorrad-Gottesdienst zu hören. Manche haben hier in Zelten übernachtet. Andere sind heute morgen erst gekommen. Von Bochum oder Dortmund, Paderborn und Siegen, Köln und Bonn. Zwei Tage dauerte das Festival im Rahmen der Kulturhauptstadt. Der Sonntag beginnt mit einem Gottesdienst. Warum Schneider heute hier ist? "Weil ich die Biker-Kultur klasse finde", sagt er.
Eine von den Bikern auf dem Gelände im Essener Norden ist Nina. Sie kommt aus Gelsenkirchen, Motorradfahren ist ihr Hobby, in einem Club ist sie nicht, aber Festivals wie dieses besucht sie häufiger. Wenn sie Zeit hat, dann geht sie auch mal in die Kirche. Aber einen Bikergottesdienst hat sie noch nie mitgemacht. Was ihr gefällt: die lockere Atmosphäre, die Rockmusik, die Klamotten. "Alles sind eben so, wie sie sind."
Rockbank spielt zur Einstimmung
Tatsächlich ist der Gottesdienst anders als das, was man so in der Kirche erlebt. Auf der Bühne steht ein Tisch mit Kerzen, davor sind Bierbänke aufgebaut. Die Maschinen haben die Biker vorher abgestellt, in Reih und Glied säumen mehrere Hundert den Gang auf das Gelände. Orgelmusik gibt es nicht, statt dessen spielt zur Einstimmung eine Rockband. Das Kreuz der Kulturhauptstadt wird per Motorrad zur Bühne gefahren. Den Gottesdienst feiern alle gemeinsam, egal welcher Konfession sie angehören. Dann spricht der Essener Pfarrer Rolf Zwick: "Ich habe den Talar heute gegen die Lederjacke getauscht. Aber trotzdem geht es heute um Gott, unseren Herren, der unserem Leben den Sinn gibt."
Vor dem Eingang des Geländes steht Uwe. Natürlich ist auch er mit seiner Maschine hier, allerdings hat er sie auf dem Bürgersteig abgestellt. Über seiner Biker-Kluft – Lederhose und Lederstiefel – trägt er die neongelbe Helfer-Weste. Sein Job heute: Organisation. Er leitet die Motorradfahrer auf den richtigen Weg zum Gelände und hilft auch beim Korso. Auf den Ärmeln seines Shirts steht Blue Knights, sein Club. Die Blue Knights ist der Motorradclub der Polizisten, des Bundesgrenzschutzes und der Zollbeamten. Wer an ihm vorbei fährt, der winkt oder nickt. Überhaupt zählt hier das Wir. Uwe kann nicht beim Gottesdienst dabei sein, was er ein bisschen schade findet, weil er so etwas noch nie erlebt hat. Aber er ist auch zufrieden, dass er helfen kann.
"Kriegst du die Kurve?", ist die Frage, die sich durch den Gottesdienst zieht. Ein Thema, das auf die Biker-Gemeinde abgestimmt ist. "Wer Motorrad fährt, der ist dem Tod immer nah", sagt Heiner Mausehund, Pfarrer in Essen-Steele, der die Predigt hält. Die Kurve kriegen, das gelte auf der Straße, denn es sind die Kurven, die beim Motorradfahren besonders Spaß machen, bei denen es aber auch gefährlich werden kann. Die Kurve kriegen, wieder auf die Spur kommen, gelte auch fürs Leben, wenn man etwas Traumatisches erlebt habe.
Applaus für Präses Schneider
Wie zum Beispiel Präses Schneider. Er erzählt von seiner Verzweiflung, als seine Tochter 2005 starb. Von einer Zeit, in der er mit seinem Latein am Ende war, in der er nicht wusste, ob er weiterhin würde predigen können, weil er so etwas Schlimmes erfahren musste. In der er erlebte, dass andere für ihn da waren, als er selbst nicht mehr konnte. Und dass Gott trotz alle dem die Hand über ihn hielt. Die Gemeinde klatscht. Auch das ist anders an diesem Gottesdienst.
"Es gibt noch immer eine Menge Vorbehalte gegen Biker", sagt Pfarrer Heiner Mausehund, der selbst passionierter Biker ist. Sofort sei das Bild der Hells Angels oder der Bandidos präsent. Die Wirklichkeit sehe anders aus, sagt Pfarrer Rolf Zwick, habe nichts mit Bandenkriminalität und Rowdytum zu tun. "Wir sind nicht so. Wenn Biker Gottesdienst feiern, ist das ein Gottesdienst ohne Orgelmusik, Kirchenbänke und dogmatische Sätze. Kirche kann auch anders sein, weil Christen so unterscheidliche sind und der Glaube sich sehr unterschiedlich ausdrücken kann."
Erst zögerlich, aber dann doch gut zu hören, spricht die Biker-Gemeinde den Psalm des Motorradfahrers: " Herr, wenn ich den Fahrtwind im Gesicht spüre, fühle ich einen Hauch deiner Ewigkeit. Wenn ich meinen Motor aufheulen lasse, so drücke ich meine Lebensfreude aus. Doch, Herr, wenn ich in den Morgen fahre, weiß ich nicht, ob ich den Abend noch sehen werde." Und dann endet der Psalm doch nicht so anders als andere: "Herr behüte mich vor Unfall und Gefahr. Herr ich will dich loben auf der Straße im frischen Fahrtwind, solange ich bin. Amen."