Koalition uneins über Öffnung des Arbeitsmarktes

Koalition uneins über Öffnung des Arbeitsmarktes
Eine stärkere Öffnung des Arbeitsmarktes für ausländische Fachkräfte bleibt in der schwarz-gelben Koalition umstritten. Ein Konzept soll nun helfen.

Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) wirbt dafür, mehr Fachkräfte aus dem Ausland zu holen. Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) hatte dies in der vergangenen Woche noch abgelehnt. Auch der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin, Klaus Zimmermann, hält eine Zuwanderung qualifizierter Arbeitskräfte für notwendig. Bundesbank-Vorstand Thilo Sarrazin bekräftigte unterdessen seine Kritik am deutschen Einwanderungssystem, das seiner Ansicht nach vor allem bildungsferne Ausländer anzieht.

Brüderle will ein umfassendes Konzept zur Anwerbung ausländischer Fachkräfte ausarbeiten. "Wir werden ohne Fachkräfte aus dem Ausland unseren Wohlstand nicht halten können", sagte er der "Wirtschaftswoche". Laut einer in der vergangenen Woche vorgestellten Umfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) haben gut zwei Drittel der Unternehmen Probleme, offene Stellen zu besetzen.

Von der Leyen gegen stärkere Öffnung

Seine Initiative sei nicht gegen deutsche Arbeitskräfte gerichtet, unterstrich Brüderle. Durch die Zuwanderung qualifizierter Fachkräfte würden die Beschäftigungschancen deutscher Arbeitnehmer sogar größer. Arbeitsministerin von der Leyen hatte sich vergangene Woche gegen eine stärkere Öffnung des Arbeitsmarktes für Ausländer ausgesprochen. Auch nach Einschätzung von Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) kann die Zuwanderung ausländischer Fachkräfte nur einen kleinen Beitrag zur Lösung des Problems leisten.

Brüderle empfahl, das für Zuwanderer erforderliche Mindesteinkommen deutlich zu senken und die Prüfung, ob es für eine Tätigkeit deutsche Bewerber gibt, abzuschaffen. Bislang werde von Zuwanderern ein "viel zu hohes Mindesteinkommen" von 66.000 Euro gefordert, kritisierte der Minister. Im vergangenen Jahr hätten weniger als 150 hochqualifizierte Migranten eine unbegrenzte Niederlassungserlaubnis in Deutschland erhalten. "Wir verschenken da ein gewaltiges Potenzial", sagte der FDP-Politiker.

Bundesbank-Vorstand Sarrazin bekräftigte unterdessen seine Kritik am deutschen Einwanderungssystem. Dieses schaffe mehr Probleme als es löse. "Es ist zu 90 Prozent nicht die qualifizierte Einwanderung, die Australier, Kanadier oder Amerikaner intelligent organisieren", sagte Sarrazin am Sonntag im "Interview der Woche" des Deutschlandfunks. "Ich bin der Meinung, dass wir die Einwanderung genau nach dem Vorbild dieser Länder auf die Qualifikationen, die wir brauchen, konzentrieren sollten."

Warnung vor pauschaler Diskreditierung

Die Thesen des früheren Berliner Finanzsenators (SPD) über die mangelnde Integrationsbereitschaft von Ausländern stießen weiter auf scharfe Kritik. So warf die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Maria Böhmer (CDU), ihm vor, mit seiner pauschalen Polemik ein "Zerrbild der Integration in Deutschland" zu zeichnen. Zwar gebe es unbestritten großen Nachholbedarf bei der Bildung vieler Migranten. Sarrazin blende aber die vielen Zuwanderer aus, "die tagtäglich im Büro, im Labor, als Handwerker oder als Computerspezialist zur Steigerung der Wirtschaftskraft unseres Landes beitragen", sagte Böhmer der Zeitung "Bild am Sonntag".

Auch die niedersächsische Sozialministerin Aygül Özkan warnte vor einer pauschalen Diskreditierung von Migranten. "Es gibt unendlich viele fleißige Zuwanderer - diese verdienen Respekt, nicht Häme", sagte die erste türkischstämmige und muslimische Ministerin in Deutschland in "Bild am Sonntag". Hingegen sagte die in der Türkei geborene Soziologin Necla Kelek der Zeitung, Sarrazin leiste einen wichtigen Beitrag zur Integrationsdebatte, "indem er uns Muslime auffordert, über unsere Rolle in Deutschland und Europa zu reflektieren." Kelek stellt am Montag in Berlin Sarrazins neues Buch "Deutschland schafft sich ab" vor.

Der Berliner Bildungsexperte Nihat Sorgec warf Sarrazin "gefährlichen Populismus" vor. Anders als Sarrazin behaupte, profitiere Deutschland sehr wohl von den Zuwanderern, sagte der Leiter des gemeinnützigen Bildungswerkes Kreuzberg der "Frankfurter Rundschau" (Samstagsausgabe). Vorhandene Integrationsdefizite bei muslimischen Zuwanderern seien nicht in ihrer Religion begründet, sondern darin, "dass viele von ihnen aus unteren Schichten stammen", so der Experte.

DIW: Wir brauchen qualifizierte Einwanderer

DIW-Chef Zimmermann hält einen Teil der Thesen Sarrazins für berechtigt: "Die Äußerungen von Herrn Sarrazin haben einen berechtigten Kern, wo sie auf unsere Fehler bei der Selektion und der Integration hinweisen. Auch kann man eigene Integrationsanstrengungen von Zuwanderern einfordern", sagte Zimmermann dem in Berlin erscheinenden "Tagesspiegel" (Samstagsausgabe). Zugleich unterstrich der Wirtschaftswissenschaftler: "Wir brauchen aber dringend qualifizierte Einwanderer auch aus anderen Kulturen. Das muss die Debatte klar erbringen."

Sarrazin sagte im Deutschlandfunk, er stütze sich bei seinen Untersuchungen zur Integration und zu Bildungserfolgen bei muslimischen Ausländern auf offizielles Datenmaterial der Bundesregierung. Zudem sei sein Buch bislang nur in Auszügen veröffentlicht. Keiner der Kritiker kenne das Buch.

Der braunschweigische Landesbischof Friedrich Weber warnte vor einem falschen Zungenschlag in der Debatte um Migranten in Deutschland. Es gehöre zur Kultur eines Landes, "die Probleme, die durch Zuwanderung entstehen, so anzusprechen und zu diskutieren, dass am Ende nicht Fremdenfeindlichkeit, womöglich noch mit rassistischem Grundton dabei herauskommt", sagte er am Sonntag in Wolfenbüttel.

dpa