Der Weg zum Kloster ist ein geteerter, aber kariöser schmaler Feldweg. Durch das langgezogene bewaldete Tal wie aus dem Bilderbuch fernab der Hauptstraße quälen sich auch an diesem Sonntagmorgen wieder hunderte von Fahrzeugen. Doch die sonst am Steuer sehr fluchfreudigen Rumänen weichen geduldig aus. Denn diese Straße bringt sie für einige Stunden dem Heiligen näher. Sie fahren zum Gottesdienst in das Kloster Prislop bei Hatzeg (rumänisch Ha?eg) in den westlichen Karpaten des Landes.
Tätowierte bekreuzigen sich
Der Gottesdienst der Ostkirche dauert mehrere Stunden. Auch hier bei den Mönchen, die wissen, dass hunderte von Menschen die Liturgie im Hof des Klosters bei Hitze, Wind und Wetter über große und manchmal dröhnende Lautsprecher verfolgen. Tief ins Gebet versunken, lauschen die Gläubigen und beten mit. Hartgesottene Männer mit mancher Tätowierung auf dem Arm stehen still und bekreuzigen sich. Nach dem Gottesdienst geben die Menschen ihre Gaben im Kloster ab – Mehl, Zucker, Reis, Speiseöl – und holen sich geistlichen Rat.
Die Mönchspriester sind gefragte Seelsorger. Einige lassen ihr Auto segnen – mit Weihwasser und Gebeten für eine behütete Fahrt. Erst spät am Nachmittag leert sich der Parkplatz. So wie hier im Kloster Prislop haben sich die orthodoxen Klöster in ganz Rumänien seit der Wende wieder zu Stätten der Spiritualität entwickelt. Menschen sind hier Gott auf der Spur. Manche kommen zu Klostergottesdiensten aus weiter Entfernung angereist. Pilger aus umliegenden Dörfern laufen zu Fuß oft mehrere Kilometer weit. Vor allem für alte Leute bei Schnee oder Hitze kein leichtes Unterfangen.
Franziskaner in der Moldau
Szenenwechsel. Das Kloster der Franziskaner am Stadtrand von Roman in der Moldau ist schwer zu finden. Hinter schmutzigen Werkshallen, Baracken und Betriebshöfen ist es versteckt. Der in kommunistischer Zeit verfolgte Orden der Franziskaner hat sich auch in der Moldau wieder etabliert, wie etwa 50 andere katholische Ordensgemeinschaften in Rumänien auch. Fromm und gleichzeitig von großer Herzlichkeit erwarten die Franziskaner hier Gäste und Pilger. Nach einem Kloster sieht das Gebäude nicht gerade aus, eher nach einem Internat. Der Bau wurde nach 1990 aus dem Boden gestampft und umfasst auch ein Studentenwohnheim.
Denn zum Kloster gehört ein Theologisches Institut, an dem rund 90 Mönche und Novizen aus unterschiedlichen katholischen Orden Theologie studieren. Es ist die einzige Hochschule für Ordensmönche mit Rumänisch als Unterrichtssprache im Land, sagt Pater Iosif Bisoc, Professor am Theologischen Institut. In der Region von B?c?u und Roman in der Moldau sind die Katholiken traditionell gut vertreten, in Jassy (rum. Ia?i haben sie einen Bischof. Die große Zahl von Novizen und jungen Mönchen ist für Pater Iosif „ein Grund zur Freude und Dankbarkeit gegenüber Gott. Rumänien ist ein geistlich reiches Land und kann diesen Reichtum in Europa einbringen“, sagt er.
Explosion der Berufungen
Dieses neue Aufblühen des Mönchtums seit 1989 nach über 50 Jahren staatlich verordnetem Atheismus war so nicht vorauszusehen. Das Mönchtum und die Klöster waren stets im besonderen Visier der berühmt-berüchtigten Securitate. Das Dekret 410 aus dem Jahr 1959 – der Zeit des finstersten Stalinismus in Rumänien – brachte das Aus für die Klöster. Die meisten wurden geschlossen, Mönche und Nonnen mussten das Ordenskleid ablegen. Aber zerstört oder zweckentfremdet wurden die Kirchen nicht, anders als in der Sowjetunion. Selbst hochdekorierte Kommunisten hielten sich ein Hintertürchen zum lieben Gott offen und ließen sich nachts heimlich trauen oder ihre Kinder taufen.
1989 hatte die orthodoxe Kirche immer noch rund 100 Klöster mit 450 Mönchen und Nonnen. Bei der ersten Volkszählung nach der 1992 Wende ergaben sich sensationelle Zahlen: nur 0,1 Prozent der Bevölkerung erklärten sich zu Atheisten, 87 Prozent für orthodox und rund fünf Prozent für katholisch. Daran hat sich bisher kaum etwas geändert.
Der orthodoxe Metropolit von Siebenbürgen, Erzbischof Lauren?iu von Sibiu/Hermannstadt (Foto), nennt den neuen Aufbruch "eine Explosion der Berufungen nach der Zeit der Verfolgung". Die Zahlen sind beeindruckend: heute gibt es rund 600 orthodoxe Klöster mit etwa 8.000 Mönchen und Nonnen. Etliche wurden nach 1989 völlig neu gegründet. Metropolit Lauren?iu meint schmunzelnd: "Es gibt wunderschöne Beschreibungen des Mönchtums und des Zölibats durch verheiratete Theologen. Die Freuden des Ehelebens werden hingegen von zölibatär lebenden Autoren in den höchsten Tönen gelobt."
Orthodoxe wie Katholiken profitieren vom kirchenfreundlichen gesellschaftlichen Klima in Rumänien. Wer in Deutschland als junger Mensch erklärt, ins Kloster gehen zu wollen, erntet Kopfschütteln. In Rumänien gilt dies als Ehre und Segen für die Familie, die Kirchengemeinde und das Dorf oder die Stadt. Freilich gibt es auch fundamentalistische Tendenzen im Mönchtum. Der Metropolit weist diese zurück: "Einige glauben, dass sie stärker sind im Glauben als andere. Denen fehlt die Demut. Und die erste Sünde ist der Stolz."
Nachdem sich die orthodoxen Bischöfe klar von fundamentalistischen Strömungen abgrenzen, hat die Kirche auch den Skandal von Tanacu 2005 gut überstanden. Damals starb eine junge Frau nach einem Exorzismus. Doch das Kloster Tanacu war nicht einmal offiziell anerkannt, die Kirche distanzierte sich sofort und wirkte an der Aufklärung des Falles mit.
Kloster im Donnerhall
Der Liebe der Menschen zu den Klöstern tat dieser Vorfall keinen Abbruch. Immer mehr Menschen pilgern gerne zu Klöstern. Einige wollen den Gottesdienst mitfeiern und beten, andere bitten um ein Segensgebet für die Familie. Viele lassen ihre Kinder im Kloster taufen. Auch die schöne Liturgie in den Klostergottesdiensten gefällt den Menschen. Die Klöster leben heute von Spenden und dem Verkauf ihrer Erzeugnisse wie Kerzen, Ikonen und Teppichen, Kirchensteuer gibt es in Rumänien nicht.
Das kleine Kloster Cornet (Foto: Deckenfresko in der Kirche) liegt im malerischen Alttal in der Walachei direkt an der Europastraße zwischen Hermannstadt und Bukarest. Während der Gottesdienste donnern draußen dröhnende Vierzigtonner vorbei. Und unter dem kleinen Kirchlein rattert die Eisenbahn rhythmisch hindurch: die Linie verläuft direkt unter dem Kloster. Doppelter Donnerhall als Begleitmusik für die Liturgie.
"Unser Leben hier ist nicht alles. Wir versuchen viel zu oft, unsere Seele mit irdischen Dingen zu füllen, dabei füllt Gott unser Herz mit den Dingen der Ewigkeit", sagt Schwester Veronica (57), die als 25jährige noch zu kommunistischer Zeit in dieses Kloster eingetreten ist. Ihre Berufung beschreibt sie mit den Worten: "Gott zu dienen ist Sinn unseres Lebens. Wir sind nicht nur auf der Erde, um unserem Leib zu dienen."
Dr. Jürgen Henkel ist Pfarrer der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern sowie Publizist. Er leitete von 2003 bis 2008 die Evangelische Akademie Siebenbürgen (EAS) in Sibiu/Hermannstadt. Derzeit ist er Pfarrer in Erkersreuth bei Selb in Oberfranken. Sein Buch "Neue Brücken oder neue Hürden? Eine Bilanz der Dritten Europäischen Ökumenischen Versammlung 2007" erschien 2008 im LIT-Verlag. In Vorbereitung: "Coca-Cola und Ikonen. 20 Jahre Wende von der kommunistischen Ideologie zur konsumistischen Idiotie".