In der Schweiz fand Helma Wever ihr Glück: Vor zwei Jahren traute die aus Norddeutschland stammende Pfarrerin in ihrer Gemeinde Erlenbach im Berner Oberland ein Paar zu Mann und Frau. Dabei lernte sie den Bruder des Bräutigams kennen. Heute ist er ihr Mann. "Michael ist ein Schweizer, der hier im Dorf aufgewachsen ist", sagt die 35-jährige Pfarrerin der reformierten Gemeinde in Erlenbach.
Wie Helma Wever aus der Grafschaft Bentheim an der niederländischen Grenze zog es in den vergangenen Jahren Dutzende evangelische Pfarrerinnen und Pfarrer in das Land der Berge, Seen und Banken. In einigen Landeskirchen wie Graubünden stellen die Geistlichen aus der Bundesrepublik fast die Hälfte aller Pfarrer. In der evangelisch-refomierten Landeskirche beider Appenzell besetzen die Deutschen zehn von 28 Pfarrstellen.
"Wahnsinniges Glück mit der Gemeinde"
"Wir gehen davon aus, dass auch in Zukunft deutsche Pfarrer und Pfarrerinnen sich in Schweizer Gemeinden um freie Stellen bewerben werden", sagt Christian Tappenbeck, Kirchenjurist im Schweizerischen Evangelischen Kirchenbund. Die Eidgenossen, so betont Tappenbeck, seien dankbar um die deutschen Theologen. "Man erlebt sie als eine Bereicherung", sagt er. Die meisten Geistlichen bereuen ihren großen Schritt in den Süden nicht. Bei Helma Wever schwingt das Wohlsein in der Stimme mit. "Ich habe wahnsinniges Glück mit meiner Gemeinde", erzählt sie. "Die Leute hier halfen mir gleich von an Anfang sehr beim Einleben."
Unter den Höhepunkten des Kirchenlebens sind die zwei Berggottesdienste Anfang August und Anfang September, fast Hundert Gläubige versammeln sich dann in der grandiosen Bergwelt des Berner Oberlandes. Die Pfarrerin predigt und tauft, der Musikverein spielt und der Jodlerclub singt. "Da stehen wir in Gottes freier Natur und finden einen anderen Zugang zu unserem Herrn", berichtet die Frau aus dem norddeutschen Flachland.
Die Laien reden stärker mit
Claudia Schulz stammt aus Rheinhessen. Vor vier Jahren kam sie als Pfarrerin nach Schlieren, Kanton Zürich. Besonders die "flachen Hierarchien" in ihrer neuen Landeskirche beeindrucken sie. "Die Wege sind kürzer und die Mitsprache der Laien ist viel stärker ausgeprägt als in deutschen Landeskirchen", sagt Schulz. Ebenso berichtet sie über mehr Diskussionen über biblische Inhalte in ihrer Gemeinde. "Die Zürcher Kirche ist eben bekenntnisfrei, man ist nur auf die Bibel und das eigene Gewissen verpflichtet."
Zwei Söhne im Alter von zwölf und 14 Jahren begleiteten das Ehepaar Schulz in die Schweiz, der älteste Sohn (26) lebt und arbeitet in Deutschland. "Allerdings ist das Pfarrersleben in der Schweiz keine Hängematte", sagt die Rheinhessin. Alle vier Jahre entscheiden die Gemeindemitglieder über eine Verlängerung ihres Vertrages. Andere deutsche Pfarrer spüren auch gewisse Vorbehalte gegenüber den Deutschen. Besonders die Schweizer Medien schüren die Ängste vor den Deutschen, die den Eidgenossen den Job wegnähmen.
Lob für gute Ausbildung
"Die Deutschen, und natürlich auch die Pfarrer, weisen eine gute Ausbildung vor", sagt Claudia Schulz. Die Geistlichen aus dem "großen Kanton" müssen sich auch auf gravierende Unterschiede gefasst machen: Das fängt bei der Bewerbung an. Deutsche Interessenten für eine Stelle als Pfarrer in der Schweiz schicken schwere Bewerbungsmappen. Die Deutschen, so heißt es aus einer Landeskirche, listen alle Aktivitäten auf, vom Posaunenchor bis zur Mitarbeit in einer kirchlichen Jugendgruppe. Die Schweizer hingegen legen nur wenige Dokumente in die Mappe, wie die Ordinierungsurkunde.
Auch der Schweizer Dialekt bereitet den Deutschen Kopfzerbrechen. "Da verstand ich am Anfang sehr, sehr wenig", räumt Helma Wever ein. Oft machen Kleinigkeiten den großen Unterschied. Als Claudia Schulz in ihrem ersten Gottesdienst in ihrer Züricher Gemeinde ein Kreuz schlug, schloss sich kein Gemeindemitglied an. "Das machen sie in meiner Zürcher Kirche eben nicht", sagt die Deutsche. "Ich mache es jetzt auch nicht mehr."
Ein Stück Sehnsucht bleibt
Zwar haben sich die meisten Pfarrerinnen und Pfarrer aus der Bundesrepublik angepasst und eingelebt. "Ein Stück Sehnsucht nach Deutschland bleibt aber", verrät die Norddeutsche Wever. "Es fehlt mir schon, dass ich am Sonntag nachmittag nicht mal eben zu meiner Mutter zum Reden bei Kaffe und Kuchen fahren kann."