Pakistanische Flutopfer: Von Ruinen zu Ruinen

Pakistanische Flutopfer: Von Ruinen zu Ruinen
Die Pakistaner haben einiges mitgemacht in den vergangenen Jahren. Ganz unten angekommen sind die Flutopfer im Nordwesten des Landes. Szenen aus einem Flüchtlingscamp: Die Menschen haben nicht viel mehr als ihr nacktes Leben.
05.08.2010
Von Sajjad Malik und Nadeem Sarwar

Als Helfer Wasserspender und Matten von ihrem Lastwagen abladen, liefern sich am Mittwoch Hunderte von Flutopfern ein Wettrennen. Im Flüchtlingslager Khandar in der Stadt Noshwera stoßen sie und drängeln. Nur die Stärkeren haben eine Chance. Frauen und Kinder kommen mit leeren Händen zurück. Das Lager liegt in einem der am schlimmsten getroffenen Flutgebiete Pakistans, in der Provinz Khyber-Pakhtunkhwa.

"Wir haben kein Essen, kein Wasser, einfach nichts!"

Die traditionelle paschtunische Sitte, auf Schwächere Rücksicht zu nehmen, gilt nicht. Nicht in einer Zeit, in der jeder auf sich selbst gestellt ist, um zu überleben. "Wir leben hier wie Hunde und kämpfen wie sie um die paar Sachen, die wir von der Regierung oder Hilfsorganisationen bekommen", sagt der Flüchtling Musarrat Khan: "Wir haben kein Essen, kein Wasser, einfach nichts!"

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Er findet ein passendes Bild für seine Lage und die von zig anderen Flutopfern: "Wir haben Khandar hinter uns gelassen und sind doch wieder in Khandar angekommen." Khandar ist Urdu und heißt: Ruine. Khan ist einer von rund 4.000 Flüchtlingen in diesem provisorischen Flüchtlingslager in Schulgebäuden.

Mindestens drei Millionen Menschen hat die schlimmste Flutkatastrophe in Pakistan seit 80 Jahren getroffen. Die Wassermassen haben Häuser weggespült, aber auch die Ernte. Das wasser hat Dutzende Orte dem Erdboden gleichgemacht und wohl mehr als 1.500 Menschen das Leben genommen.

Wut auf die Regierung

Ein paar Stunden zuvor haben die Flutopfer noch die Hauptstraße der Stadt blockiert und in Sprechchören ihre Regierung angeprangert. Die spärliche Hilfe kommt ihnen viel zu spät, sie werfen Islamabad Versagen vor. Besonders erzürnt hat einige, dass Präsident Asif Ali Zardari trotz der Flut nach Europa jettete - samt Zwischenstopp in einem luxuriösem Schloss in Frankreich. "Völlig unnötig" sei das, finden sie hier.

Sie hingegen sind schon zufrieden, wenn sie satt werden. Rund 1,8 Millionen Menschen werden für die nächsten drei Monate allein in dieser Provinz von Nahrungsmittelhilfen abhängig sein, schätzt Amjad Jamal, ein Sprecher des UN-Welternährungsprogramms. Lokale Behörden schätzen, dass rund 100.000 geschwächte Menschen anfällig für Seuchen wie die Cholera sind.

Flut trifft ein schwaches Land

Pakistan kämpft mit einer strauchelnden Wirtschaft, Terrorattacken von Selbstmordattentätern und politischer Instabilität. Tausende Soldaten und Freiwillige versuchen, gestrandete Menschen in schwer erreichbaren Bergregionen zu versorgen, vor allem im Swat-Tal. Oft werden sie auch eine Woche nach dem Ausbruch des heftigen Monsunregens von unpassierbaren Straßen und zerstörten Brücken aufgehalten.

Und auch in den Lagern läuft es nicht rund. "Wir tun alles, um den Menschen zu helfen", sagt Ali Usman Qamar, der Leiter des Khandar- Lagers. "Wir geben ihnen zweimal am Tag eine warme Mahlzeit - und sauberem Trinkwasser. Doch die sanitären Einrichtungen reichen in Noshwera bei weitem nicht für alle Flutopfer und Ärzte sind auch nicht genügend da.

Weitere Islamisierung befürchtet

Die 13-jährige Kainat hat einen Hautausschlag und braucht medizinische Hilfe. "Ich möchte zurück nach Hause, aber es geht nicht", sagt das Mädchen, das mit acht Verwandten aus seinem Dorf geflohen ist. "Die Regierung tut doch nichts für uns", ist Nasir Farid überzeugt. "Wenn etwas ankommt, stammt es von privaten Hilfsorganisationen." Die Unzufriedenheit mit der Regierung und der Einsatz einiger radikalislamischer Hilfsorganisation könnte den Kampf des Landes gegen Al-Kaida und die Taliban in den Grenzgebieten zu Afghanistan noch schwieriger machen. Erst im Juli ermordeten Schützen auf Motorrädern den Sohn des Informationsministers Mian Iftikhar Hussain. Bei seiner Beerdigung brachte ein Selbstmordbomber acht weitere Menschen um.

Aber auf den Kampf gegen den Terror verschwenden die Flutopfer in Noshwera im Moment kaum einen Gedanken. Sie möchten sich erst einmal um ihre eigenes Leben kümmern. Denn es gleicht einer Khandar, einer Ruine.

dpa

Die Diakonie Katastrophenhilfe hat ein Spendenkonto für die Überschwemmungsopfer unter dem Stichwort "Fluthilfe Pakistan" eingerichtet (Konto 50 27 07, Postbank Stuttgart, BLZ 600 100 70).